Sie gab Kai einen ungnädigen Rempler, mit dem Ellbogen. »Ich brauche unbedingt etwas Warmes zum Anziehen und Winterschuhe. Mir ist saukalt.«
Ihr Traumprinz ließ sich durch ihre schlechte Laune nicht entmutigen. »Dann lassen wir uns vom Bahnhof aus gleich zu einem Kaufhaus fahren, in dem wir alles bekommen, was du brauchst.«
Hetty knurrte. »Hier in den kleinen Orten gibt es keine großen Kaufhäuser, sondern nur schweineteure Boutiquen und Schuhgeschäfte.«
Denn natürlich gastierten sie nicht irgendwo am berühmten Arsch der Welt, sondern waren unterwegs zum derzeit angesagtesten Skiort. Und auch wenn es dort mit Sicherheit Billigläden gab, für Kai war grundsätzlich nur das Beste gut genug und er wies den Taxifahrer entsprechend an.
Dann setzte er sich in aller Seelenruhe auf einen Stuhl neben den Ankleidespiegel und sah zu, wie sich Hetty durch das Angebot mühte. Die hasste nichts mehr, als Bekleidung zu kaufen und ihre Laune wurde auch nicht dadurch verbessert, dass die meisten Teile, wie üblich, für Magersüchtige geschnitten waren. Aber schlussendlich hatte sie doch etwas gefunden, was auch ihr zusagte und überreichte seufzend ihre Kreditkarte. Das kostete alles ein Vermögen und würde in ein paar Wochen in die Altkleidersammlung kommen. Denn sie würde einen Teufel tun und das Zeug nach Australien mitschleppen und in Zukunft immer zuerst die Klimatabelle studieren, bevor sie ihr Ok zu einer Urlaubsreise gab.
Nach dem anschließenden Schuhkauf war sie endlich wieder mit der Welt versöhnt und als sie bemerkte, dass ihre Zehen wieder Gefühl bekamen, glaubte sie, das Schlimmste hinter sich zu haben.
Doch das Schicksal hatte sie nur deshalb mit warmer Kleidung versorgt, damit sie bei vollem Bewusstsein war, wenn es zum nächsten Schlag ausholte.
Kai hatte darauf bestanden, dass er in einem Hotel wohnen wollte, das zumindest etwas von dem Flair zeigte, das er mit einer Alpenregion verband. Lieber verzichtete er auf fünf Sterne – Hauptsache er bekam noch etwas Ursprüngliches mit. Glücklicherweise war er nicht der Einzige, der diese Vorstellung hatte und so fanden sie eine angemessene Unterkunft, die einen gelungenen Spagat zwischen alt und neu machte. Sprich, hier gab es allen Komfort und auch noch alte Holzbalken und eine antike Außenfassade.
Hetty sah sich in der ansprechend gestalteten Eingangshalle um, während Kai die Formalitäten erledigte und wollte schon los, um auf ihr Zimmer zu gehen, als sie ihn den Portier fragen hörte. »Wo kann man hier eine Skiausrüstung bekommen?«
Während der einen Moment um Geduld bat und hinter sich in einem Prospektständer kramte, starrte Hetty ihren Freund voller Entsetzen an und stotterte perplex die Frage hervor. »Du kannst Skifahren?«
Im selben Moment wurde ihr bewusst, dass sie hier einem Mann, der grundsätzlich alles konnte, unterstellte, er hätte einen Schwachpunkt.
Kai nahm freundlich dankend den Flyer an, den ihm der Portier aushändigte und antwortete dann mit hochgezogener Augenbraue. »Selbstverständlich. Auch wir Australier haben unsere Skigebiete und im Notfall ist Neuseeland nicht weit.«
Er deutete auf das Prospekt. »Aber hier sind richtig schöne große Berge und da werden wir sicher eine Menge Spaß haben.«
Hetty sah ihn kopfschüttelnd an und gestand mit hilflos erhobenen Händen. »Aber nur du. Ich kann nämlich nicht Skifahren.«
Das brachte ihr zumindest noch einen der so seltenen Lachanfälle ihres Freundes ein. In der Hinsicht entwickelte sich die Reise inzwischen zum vollen Erfolg und wenn sie so weitermachte, würde Kai komplett verwandelt nach Hause zurückkehren.
Der wischte sich, als er sich endlich wieder gefangen hatte, die Tränen aus den Augen und formulierte mühsam. »Du kommst aus Bayern und kannst nicht Skifahren? Ich habe gedacht, euch stellt man schon als Kinder auf die Bretter.«
Hetty giftete ihn an. »Das ist genauso wie in Australien das Thema Känguruh, Schlangen und Spinnen. Bei uns glaubt auch jeder, bei euch wimmelt es auf jedem Meter von diesen Teilen.«
Kai schmunzelte. »Tja, dann übernimmst du halt das Vernichten der Hotelbar und ich komm dann zum Après-Ski und leiste dir Gesellschaft.«
Dass er das auch tatsächlich ernst meinte, wurde ihr dann in den nächsten Tagen leidvoll bewusst. Nach dem späten Frühstück bekam sie noch einen ausgedehnten Kuss und ab dann konnte sie den Rest des Tages alleine durchbringen. Denn Kai machte sich auf den Weg zum Skilift und wollte anscheinend den garantierten vollen Gegenwert für den Pass von der Skischaukel auskosten.
Warum er keinerlei Probleme mit der Kälte hatte, während sie bibbernd vor dem Kachelofen des Hotels saß, war ihr ein Rätsel. Dass er es tatsächlich geschafft hatte, einen pechschwarzen Skianzug mit passenden Stiefeln und Helm und dazu natürlich auch schwarz lackierte Ski zu bekommen, weniger. Schulterzuckend hatte sie die Ausrüstung gemustert und sich abgewandt. Kai in einer anderen Farbe zu sehen, hätte bedeutet, dass die Welt beschlossen hatte, sich in eine andere Richtung zu drehen. Seine Vorliebe für Schwarz hatte ihm ja eben bei ihr, bereits kurz nach ihrem Kennenlernen, den Spitznamen „Graf Dracula“ eingebracht, wobei natürlich auch sein, für einen Australier relativ blasser Teint, eine Rolle gespielt hatte.
Kapitel 5
In den ersten Tagen überlegte sich Hetty noch, ob sie ihr rudimentär vorhandenes Wissen über Skifahren nicht doch ausgraben und sich einem der Schnell-Skifahrlernkurse auf dem Hang für Anfänger anschließen sollte. Ganz ehrlich war ihre Auskunft, die sie Kai gegeben hatte, dann doch nicht gewesen – aber sie fand, dass die eine Woche Skikurs, die sie als Schulkind jeden Winter in der Schule hatte mitmachen müssen, nach so vielen Jahren eindeutig nicht zählte. Schon damals hatte sie das Thema nicht begeistern können, denn Skifahren war eben ein Wintersport und sie hasste nichts mehr, als Kälte.
»Fische!«
Hetty verdrehte die Augen, bei diesem Einwurf ihres Langzeitgedächtnisses. Jawohl, sie hatte eine Fischphobie, aber ein Skihang war kein natürliches Lebensgebiet eines Fisches und von daher die Gefahr gering, dass sie dort einem über den Weg laufen würde.
»Dann kannst du ja mal zum Idiotenhügel gehen und zusehen, wie sich die anderen Nullinger anstellen.«
Tja, diesem Vorschlag von der Abteilung Verstand war sie dann auch nachgekommen. Dick vermummt, mit Schal, Strickmütze und Taschenwärmern in der Daunenjacke, machte sie sich auf den Weg und stapfte durch den knirschenden Schnee zu dem flachen Hang mit Miniskilift, an dem die Kurse stattfanden. Nachdem sie zehn Minuten lang zugesehen hatte, wie sich die paar Erwachsenen, in einer Gruppe von kniehohen Knirpsen, dadurch blamierten, dass sie keine zwanzig Meter im Pflug fahren konnten, ohne lang hinzuschlagen, während die Kleinen zwar noch nicht anständig auf ihren Beinen laufen konnten, aber schon mit Leichtigkeit die Skiführung bewältigten, drehte sie sich auf dem Absatz um und legte ihren sowieso nur ganz klein angedachten Plan, zu den Akten.
Lächerlich machen konnten sich andere. Ein Blick auf den Streckenplan der Skipiste, der neben dem Lifthaus angebracht war, informierte sie darüber, dass es sowieso nur wenige einfache Abfahrten in unmittelbarer Nähe gab und auf eine schwarze Piste würde man sie nur dann mit Ski an den Füßen bringen, wenn die Bretter unten griffige Spikes hatten, die dafür sorgten, dass sie auch keinen Millimeter rutschen konnte.
»Das hat dann aber mit Skifahren nichts mehr zu tun!«
Hetty nickte und schmunzelte. Aber so würde sie zumindest überleben, wenn sie nach dreißig Jahren Skiabstinenz diesen Versuch unternehmen würde. Mit einem fröstelnden Schaudern wandte sie sich ab und machte sich auf dem Rückweg.
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