Die Teilnahme am Après-Ski bedeutete für Hetty allerdings dann auch keine Erholung. Abgesehen davon, dass sie schon unter Tags reichlich Rum in ihren Kaffee kippen ließ, um die eisigen Temperaturen von siebenundzwanzig Grad im Aufenthaltsraum erträglicher zu machen, sorgte sie ab dem frühen Nachmittag dafür, dass ihre Leber sich endgültig ans Arbeiten machte. Irgendwie musste sie die Wartezeit ja verbringen, bis Kai endlich wieder auftauchte.
Der hatte ungewohnt viel Farbe im Gesicht, wenn er von einem ausgiebigen Pistentag zurückkam und suhlte sich anschließend genüsslich im Spa des Hotels. Der wies bei weitem nicht die Größe auf, die sie von australischen Anlagen gewohnt war und als sie beim ersten Mal mit einer leichten Verzögerung nach Kai den Badebereich betrat, musste sie zähneknirschend feststellen, dass sie körperliche Gewalt hätte anwenden müssen, um in dem Planschbecken auch noch Platz zu finden. Kais gutes Aussehen war natürlich von sämtlichen Frauen in weitem Umkreis bemerkt worden und wenn Hetty sich ansah, wie nahe ihm die Schicki-Micki-Miezen im Wasser rückten, hätte ihr Freund vor jedem Gericht der Welt recht bekommen, wenn er von sexueller Nötigung gesprochen hätte.
Schulterzuckend hatte sie sich abgewandt und stattdessen einige Runden im Pool gedreht, der direkt nebenan lag und von dem aus sie unmissverständlich erkennen konnte, dass Kai leider nicht das geringste Problem damit hatte, dass ihm gutaussehende Frauen zu nahe kamen. Da natürlich alle einigermaßen Englisch sprechen konnten, hatte er auch keine Schwierigkeiten damit sich zu verständigen, wobei er sich, wie üblich, mit wenigen Sätzen begnügte und ansonsten mit halbwegs interessiertem Ausdruck zuhörte.
Eine Stunde später war dann Abendessen angesagt und hinterher Teilnahme am Après-Ski-Rummel in den Bars. Der einzige Unterschied, den Hetty hier zum Ablauf im Spa feststellen konnte, war, dass die Frauen wenigstens angezogen waren. Doch die Distanz zwischen den in Positur geworfenen aufgepushten Oberweiten und Kais Körper konnte sich nach wie vor nur in Mikromillimetern messen lassen. Und ihr Freund erweckte auch hier nicht den Eindruck, als ob ihm das alles zu viel würde.
Hettys Stimmung war auf dem Nullpunkt. Es war kalt, es war alles so eng und draußen gab es kein Grün, sondern nur weißen, widerlichen Schnee mit grausiger Kälte. Hier befand sie sich in der sprichwörtlichen Hölle auf Erden.
»Na, na, na!«, äußerte sich der Verstand. »Jetzt lass mal die Kirche im Dorf. Du sitzt hier in einer Nobelklitsche und es gäbe viele Leute, die gerne mit dir tauschen würden.«
Hetty schnaubte in sich hinein. »Ja, und diese verfluchten Weiber kosten mich den letzten Nerv!«
»Es geht dir doch gar nicht um die Frauen, du hast ja nur ein Problem damit, dass Kai ihnen nicht die kalte Schulter zeigt. Sprich, du bist eifersüchtig!«
Hetty ließ den Kopf hängen. Wie sollte sie denn da auch auf die Dauer mithalten können. Nach wie vor war ihr absolut durchschnittliches Aussehen mit einer Größe von 1.60 Meter, den halblangen braunen Haaren und grünen Augen, zu keiner tollen, superschlanken Blondine mutiert.
Inzwischen waren sie und Kai, wenn man die Phase ihrer Amnesie mitrechnete, zwar schon fast zwei Jahre ein festes Paar und in der Zeit hatte er ihr oft genug beteuert, dass er sie genauso liebte, wie sie war. Doch trotzdem fühlte sie sich jetzt verunsichert. Auch wenn die meisten der Damen hohle Nüsse waren, aber irgendwann würde eine dabei sein, die nicht nur gut aussah, sondern auch nett und intelligent war und damit auch Kai interessieren würde – und dann?
Der hatte Hetty aus den Augenwinkeln beobachtet und innerlich schmunzelnd zugesehen, wie ihre Stimmung immer tiefer in den Keller rutschte. Zufrieden lächelte er einer aufgedonnerten Tussie zu, die mit aller Macht versuchte ihm klarzumachen, dass sie gerne mit ihm ins Bett gehen würde. Dieser Gedanke lag allerdings fernab von seinen Plänen, denn wenn er tatsächlich vorgehabt hätte, einen Schritt zur Seite zu tun, dann wäre er viel diskreter vorgegangen.
Aber es tat seiner Freundin ganz gut, am eigenen Leib zu erfahren, wie es war, sich mit der Idee zu beschäftigen, dass man nicht der Einzige war, der mit dem Partner im Bett lag. Und auch, wenn er den Vorfall mit Patrick bereits abgehakt hatte, so war er doch der Meinung, einige vorbeugende Maßnahmen wären vielleicht nicht das Schlechteste. Und dazu gehörte, ihr deutlichst zu zeigen, wie leicht es ihm jederzeit fallen würde, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, denn das war die einfachste Methode, um dafür zu sorgen, dass sie sich nur auf ihn konzentrierte.
Als er allerdings ein paar Stunden später bemerkte, wie ihre Augen einen verlorenen und leeren Ausdruck bekamen, wurde ihm bewusst, dass er ihr mit so einer Aktion auch richtig weh tat. Und somit war für ihn der Spaß eindeutig zu Ende. Es machte einen großen Unterschied, Hetty etwas gegen den Strich zu bürsten, was sie ihm bei Gelegenheit auch sicher wieder heimzahlen würde, oder ihr tatsächlich emotionale Schmerzen zu bereiten.
»Komm Prinzessin von Shiraz, es wird Zeit unsere Gemächer aufzusuchen.« Kai stand mit einem Ruck auf und legte Hetty den Arm um die Schulter.
Dann beugte er sich hinab und gab ihr einen leichten Kuss auf die Wange. »Ich will endlich wieder mit jemandem Vernünftigen reden.«
Hetty sah, dass seine strahlend blauen Augen einen besorgten Ausdruck angenommen hatten und damit war für sie die Welt wieder in Ordnung. Den Wink mit dem Zaunpfahl hatte sie verstanden und jeglicher Gedanke, mit Patrick mehr als eine freundschaftliche Beziehung zu unterhalten, war für immer und ewig verbannt.
Ein paar Leute aus der Abteilung Verdrängung in ihrem Gehirn sahen sich schulterzuckend an. Na ja, da hatten sie die nächste Zeit ja viel zu tun.
Der Typ von der Sarkasmusabteilung schaute vorbei und schlug eine Wette vor. »Wenn sie es schafft, vier Wochen lang, nur rein freundschaftlich an den Jungen zu denken, dann könnt ihr mir für das nächste halbe Jahr einen Maulkorb verpassen, und ich konvertiere zum Katholizismus, da ich wieder an Wunder glaube.«
Der Chef sah ihn seufzend an und zuckte entnervt mit den Schultern. »Da bräuchte ich viel mehr Personal, die Wette nehme ich sicher nicht an. Es genügt mir schon, wenn du wieder wie ein Papagei, dein ewiges „Was hab ich euch gesagt?“ von dir gibst.«
Hetty hatte diesen Disput gekonnt ignoriert und trank ihr Weinglas aus. Sie wollte nur noch raus hier und endlich mit Kai alleine sein. Der folgte ihr aus der Bar, ohne die sehnsuchtsvollen Blicke der lauernden Damenmeute auch nur im geringsten zu beachten.
In ihrer Suite zeigte sich dann allerdings, dass er für den Abend schon genügend geredet hatte und statt dessen eine ausgiebige, nonverbale Kommunikation bevorzugte. Was zugegebenermaßen auch Hettys Präferenzen für den Rest des Abends waren.
Kapitel 6
Am nächsten Morgen stand fest, dass sie diesem Hotel den Rücken kehren würden und Hetty atmete erleichtert auf. Das Fegefeuer war zu Ende.
Während des Frühstücks näherte sich ihnen ein etwas korpulenter Herr im frisch gebügelten Geschäftsanzug und, nachdem er zögerlich neben dem Tisch, an dem sie saßen, stehen geblieben war, druckste er heraus. »Entschuldigen sie die Störung. Aber ein Bekannter hat mir erzählt, dass sie eine Sicherheitsfirma und Detektei leiten. Ich hätte da ein Anliegen. Könnten sie vielleicht ein paar Minuten für mich erübrigen?«
Dabei sah er Kai mit einem so hoffnungsvollen Blick an, mit dem wohl auch ein Kandidat in der Todeszelle seinen Anwalt betrachten würde, wenn dieser mit einem Zettel in der Hand, fünf Minuten vor Verabreichung der Giftspritze, auftauchte.
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