Ihr stinkt!"
Immer mehr Leute wurden aufmerksam, den Vampiren war das äußerst unangenehm und sie trauten sich nicht mehr fester zuzugreifen, dadurch gelang es ihr, sich loszureißen. Die Vampire hielten nur noch einen Fetzen ihres Kleides in der Hand.
Lisa tauchte unter der Deichsel des Karrens weg und rannte im Zickzack zwischen den mit dem Abbau der Stände beschäftigten Marktstandbesitzerinnen und -besitzern hindurch.
Eine kräftige Frau, die Lisas Schreien gehört hatte und nun sah, wie zwei unangenehm fischig stinkende Männer in Trenchcoats ein kleines Mädchen verfolgten, hielt einen von ihnen am Mantel fest und verprügelte ihn mit einer Zucchini. Doch in diesem Moment verlor Lisa das Gleichgewicht und fiel über einen Blumenkohl. Alles schien umsonst gewesen zu sein. Gleich würde der zweite Vampir sie erreichen und ihr die kleine Vampirgurke entwinden und sie töten und danach, Lisa wagte sich nicht vorzustellen, was er mit ihr tun würde.
Doch inzwischen hatten die anderen sich gesammelt, Ka, Sara und Kolja bewarfen den Vampir mit altem Obst. Eine faule Birne traf ihn genau im Gesicht und er konnte einen kurzen Augenblick lang nicht richtig sehen. Der Vampir übersah eine alte Banane und rutschte mit Wucht in einen Abfallhaufen aus Altgemüse am Kanalufer, der ihn unter sich begrub. Noch bevor er wieder auf den Beinen war, wurde der ganze Abfall mitsamt dem Vampir über eine Rutsche auf ein Abfallschiff im Kanal geschoben. Lisa dachte einen kurzen Moment lang, dass dadurch der Geruch des Vampirs nur besser werden konnte, seine Kleidung würde aber wohl etwas leiden.
Sie nutzte den Moment um sich aufzurappeln. Hinter sich hörte sie noch die Stimme des zweiten Vampirs, den immer noch die Marktfrau festhielt. Ein zischender kalter Hauch in ihren Ohren. "Wir sehen uns wieder! Glaub’ nicht, dass wir dich vergessen."
Blitzschnell verschwand sie hinter einigen Marktständen. Sie zitterte und es fröstelte sie trotz des Sonnenscheins. Aber wo waren die anderen?
"Pst!" Das war Sara.
Sara, Ka und Kolja hatten sich genau hier versteckt und von dort aus mit dem alten Obst geworfen. Ka zog Lisa mit sich. Schnell rannten sie weiter in eine Seitenstraße, bis der Markt nicht mehr zu sehen war. Alle waren außer Atem. Lisa war völlig erschöpft und so außer sich, dass sie immer noch weinte. "Diese Fischgesichter, sie töten sie, wir müssen sie retten."
Ka berührte Lisa sanft am Arm. "Klar. Aber du hättest es uns ruhig früher sagen können."
Lisa schluchzte jetzt. "Es war doch mein Geheimnis und ich wollte so gerne Haustiere. Und dann wusste ich nicht mehr, wie ich es euch sagen sollte, weil ich es doch zuerst verschwiegen hatte."
Ka begriff langsam. "Du hast auch welche bei dir zu Hause?"
"Ja, aber es geht ihnen nicht gut. Ich habe ihnen im Keller in einer Kiste einen Unterschlupf gebaut."
Ka erinnerte sich an das faule Gemüse und die blassgrüne Bewegung, die sie im Keller gesehen hatte. Lisa schniefte. "Aber der Keller ist zu trocken. Und irgendwie schaffen sie es immer wieder aus dem Keller heraus nach oben ins Haus zu kommen. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Und auf dem Markt werden sie zerquetscht und wenn sie an die Sonne kommen, sterben sie. Und jetzt werden sie auch noch von diesen Fischgesichtern ermordet."
Lisa schluchzte nun noch mehr. Noch immer hielt sie die kleine Vampirgurke in einer Falte ihres Kleides verborgen. Sie hatte sie die ganze Flucht über nicht fallen lassen. Ka nahm Lisa in den Arm und versuchte sie zu beruhigen. Sara half ihr, die kleine Vampirgurke sicher zu verstauen. Dann gingen sie langsam zurück zu ihrem Hauptquartier, das Kolja ja noch gar nicht kannte. Sara und Ka ließen Lisa in ihrer Mitte gehen. Als sie den Dachboden erreichten, war Lisa wieder etwas ruhiger.
"Vertraut ihr mir trotzdem noch?"
"Ja, klar." Ka legte Lisa einen Arm um die Schulter und Kolja nickte, sein Blick wanderte über den Dachboden. Auch ihm gefiel die Villa.
Vorsichtig holte Lisa die kleine Vampirgurke hervor. Hier auf dem Dachboden war der Geruch nach vergammelndem Gemüse, den sie ausströmte, nur ganz leicht wahrnehmbar.
"Sie braucht frisches Gemüse."
Zum Glück hatte Sara ja Gurken eingekauft; die Tasche hatte sie die ganze Zeit mitgeschleppt. Jetzt bekam die kleine Vampirgurke eine der Gurken zum Aussaugen. Sie machte dabei kleine glucksende Geräusche und blickte sich immer wieder ängstlich mit großen Augen nach ihnen um. Das sah wirklich niedlich aus. Der Dachboden war durch den Baumschatten halbwegs kühl und dunkel. Trotzdem schien es der Kleinen nicht gut zu gehen.
Ka bemerkte als erste die Verletzung. Das musste im Kampf mit den Aufsichtsvampiren passiert sein. Sie verlor immer mehr Flüssigkeit. Sie wussten nicht, was sie tun sollten. Bis Sara die Idee mit dem Pflaster hatte. Sorgsam schloss Lisa die Wunde.
Nach einer halben Stunde ging es der kleinen Vampirgurke etwas besser. Sie kuschelte sich im Dunkel unter einem Schrank zusammen und schlief.
Lisa schniefte. Ka ballte die Fäuste. "Wir müssten mehr herausfinden. Irgendwie müssen wir die Kleinen vor den Vampiren der Aufsichtsbehörde schützen."
Eine Weile schwiegen sie alle und hingen aufgebracht ihren Gedanken nach. Selbst am Himmel zogen dunkle Wolken auf.
Ka ließ sich alles noch einmal durch den Kopf gehen. "Stinken eigentlich alle Vampire so?"
Kolja schaffte es irgendwie, obwohl er etwas kleiner als Ka war und auf einer alten Matratze saß, sie von oben herab anzusehen. "Stinke ich so?"
"Nein."
"Also."
Ka überlegte, sie hatte sich in ihrer Fantasie ja etwas Größeres, Eindrucksvolleres vorgestellt, das sie mit BUNG retten würden. Aber für den Anfang waren Vampirgurken und Vampirsellerie vielleicht gar keine schlechte Übung. Abe
r was wussten sie darüber? "Ob das Vampirgemüse Menschen gefährlich werden kann?"
Kolja schüttelte den Kopf: "Das glaube ich nicht, die ernähren sich doch vegetarisch."
Ka war nicht ganz überzeugt: "Hoffen wir das mal. Dir als Vampir kann ja nichts passieren."
Lisa hatte auch schon in der Bibliothek nach Informationen gesucht, ihre Stimme war leise. "Im Folianten stehen weder Vampirgurken noch Vampirsellerie verzeichnet."
Ka sah sie an. "Wie viele Vampirgurken hast du bereits früher hierhergebracht?"
Lisa sah bedrückt aus der Luke. "Etwa ein Dutzend, aber sie büxen immer aus und sind dann überall im Haus. Ihr glaubt gar nicht, wo sie überall hinkommen. Eine saß irgendwann in der Soßenterrine. Und sobald sie Sonnenlicht ausgesetzt sind, sterben sie. Die Hälfte ist inzwischen tot", ihr versagte die Stimme, "ich schade ihnen nur." Sie schniefte. "Ich wusste doch gar nichts über sie."
Dann wandte sie sich zu Kolja. "Wieso haben die Vampire von der Aufsichtsbehörde die Kleinen zertreten?"
Kolja zuckte mit den Schultern. "Sie hassen alle Grenzübertretungen und alle Mischwesen. Jede Vermischung von Vampirwesen mit Nichtvampiren lehnen sie ab. Und sie hassen alles, was unnormal ist, alles muss seine Ordnung haben. Vampirgurken finden sie sicher besonders ekelerregend. Sie haben alle möglichen Bestimmungen zur Unterbindung von ungenehmigtem Vampirismus und gegen Mischlinge und Artveränderungen erlassen.
Und außerdem hatte ich doch gesagt, dass sich viele Vampire heute vor dem Blutsaugen ekeln. Alles Flüssige, was nicht künstlich ist, flößt ihnen Furcht ein, ob Schweiß, Blut oder Gemüsesaft. Sie können einfach die Vorstellung nicht ertragen, dass andere Vampire in etwas hinein beißen, um es auszusaugen. Meine Urgroßmutter macht sich immer über diese modernen Vampire lustig.
Aber leider ist das nicht nur lustig, die Vampiraufsicht kann ziemlich gemein werden. Jugendliche Vampire können aufgrund von Blutsaugen richtig viel Ärger bekommen. Und", einen Augenblick lang schwieg Kolja, dann fuhr er fort: "sie werden wahrscheinlich versuchen, alle Vampirgurken zu töten, falls sie sie finden. Nichts ist ihnen wichtiger, als die Geheimhaltung dessen, dass es uns gibt, und Vampirgemüse auf dem Markt ist nun wirklich ein Risiko für die Geheimhaltung.
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