Ka blickte immer noch etwas sauer drein. "Aber da braucht ihr doch Unmengen an Blut!"
"Nein, die meisten Vampire trinken menschliches Blut nur zu besonderen Anlässen und ansonsten Kunstblut.
Nur Vampire aus der Bewegung für natürliche Ernährung versuchen, ausschließlich von Menschen- und Tierblut zu leben."
Lisa blickte Kolja entsetzt an, ihre Stimme war kaum zu hören. "Hast du schon ein Tier ausgesaugt?"
Kolja nickte. "Klar, natürlich, mit elf Jahren. Wenn wir Vampire und Vampirinnen elf Jahre alt werden, feiern wir ein Fest, vergleichbar dem, was ihr Kommunion oder Jugendweihe nennt. Als elfjähriger Vampir bekommst du ein weißes Kaninchen geschenkt und ein Höhepunkt des Festes ist, dass du es aussaugst.
Meine Eltern haben eine Pfote des Kaninchens in ihrem Schlafzimmer hängen." Er verzog das Gesicht. "Sie glauben, das bringt Glück und sie erzählen bei allen unpassenden Gelegenheiten, wie niedlich ich beim Aussaugen ausgesehen habe."
Lisa war sprachlos, ihre Lippen zitterten leicht. Auch Ka wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Doch Sara lachte: "Ich esse auch gerne Kaninchen."
Selbst Lisa musste zugeben, dass da kein großer Unterschied war und sie war zwar Vegetarierin, aber schließlich aßen auch ihr Vater und ihre Schwester Fleisch.
Als sie Kolja dann Blutoka trinken sahen und dabei seine Vampirzähne sichtbar wurden, mussten sie alle lachen, auch Lisa.
Kolja blickte erstaunt auf. "Was ist denn?"
Ka lachte. "Das sieht lustig aus, wie du die Blutoka schlürfst."
Sie alberten noch eine Weile herum, bis Ka sie unterbrach. Sie sah Kolja an. "Wieso hast du uns eingeladen?"
Kolja zögerte einen Moment lang, dann raffte er sich auf: "Ich will Filmemacher werden."
Ka sah ihn verdutzt an. "Und was hat das mit uns zu tun?"
Kolja schluckte. "Vampire finden Filme und Fotos widerlich. Zu Fotografieren gilt als krankhaft. Ein Vampir macht keine Filme. Wenn ich als Vampir andere Vampire fotografieren würde, würde niemand mehr etwas mit mir zu tun haben wollen. Die Vampiraufsicht würde mich vermutlich in ein Erziehungslager stecken." Kolja seufzte. "Ich hatte schon große Mühe, meine Eltern zu überzeugen, mir das Ansehen von Filmen zu gestatten." Er sah bedrückt aus dem Fenster. "Nur Urgroßmutter sieht das lockerer. Sie meint, dann müsste ich halt mit Menschen filmen." Er blickte die Mädchen schüchtern an.
Lisa strahlte, sie sah sich schon in einem von Koljas Filmen als Piratenkapitänin. Sara schien nicht sehr begeistert zu sein. Ka runzelte die Stirn. "Aber wieso finden Vampire Fotografieren widerlich?"
Kolja zuckte mit den Schultern. "Das weiß niemand so recht. Meine Eltern meinen, das hinge damit zusammen, dass die Magnesiumblitze der frühen Fotoapparate teilweise die Augen von Vampiren verletzt haben. Vampire sind gegen bestimmte Lichtblitze sehr empfindlich und die Augenverletzungen sind extrem schmerzhaft." Kolja fuhr grummelnd fort. "Aber heute wird so etwas ja gar nicht mehr verwendet und lichtempfindliche Kameras schaden auch Vampiren nicht." Einen Augenblick lang schwieg er, dann seufzte er. "Urgroßmutter meint, Vampire wären einfach konservativ, intolerant und würden alles Neue ablehnen. Die meisten heute lebenden Vampire sind im elisabethanischen Zeitalter vor mehr als 300 Jahren geboren. Da gab es noch keine Fotografie. Sie ist überzeugt, dass viele Vampire insgeheim Angst haben, dass Fotos ihnen ihr innerstes Ich stehlen würden."
Sara grinste: "Bei Menschen ist das nicht anders." Sie dachte an ihre Großmutter und Diskussionen über kurze Haare bei Mädchen.
Lisa wollte Kolja gerade noch weiter über seine Filmideen ausfragen, als auf einmal ein Glockenklang zu vernehmen war. Kolja horchte auf. "Meine Urgroßmutter muss uns bemerkt haben. Ich denke, sie will, dass wir zu ihr kommen."
Begeistert schauten die Mädchen nicht, aus den Erzählungen Koljas waren sie nicht sicher, ob es ratsam war, dieser uralten Vampirin gegenüber zu treten und außerdem waren sie schon so viele Treppen gelaufen. Ka sah Kolja an. "Gibt es keine Abkürzung?"
Kolja zögerte: "Wir könnten einen der Rutschtunnel benutzen."
"Was?"
"Das hängt wieder mit der Raumverzerrung zusammen. Mein Onkel hat damals in die Kaugummiblase einige Trichter gebohrt und sie verbunden. Wir können also statt außen rum auch quer durch rutschen."
So ganz verstanden hatten das Lisa, Sara und Ka wieder nicht, aber es hörte sich besser an, als zu laufen.
Ka stand auf. "Dann lass uns das doch machen."
Kolja deutete auf eine kleine Klapptür in der hinteren Wand. Ka hatte gedacht es wäre ein Speiseaufzug, aber als Kolja sie öffnete wurde dahinter ein Tunnel mit Rutsche sichtbar.
"Damit müssten wir direkt im Flur vor dem Zimmer meiner Urgroßmutter landen."
"Müssten?"
"Die Raumverzerrung ist manchmal unzuverlässig."
"Ach, lasst es uns probieren." Lisa war einfach zu müde. Kolja rutschte als Erster. Lisa folgte ihm, dann Sara und zum Schluss Ka. Nur am Anfang fühlte sich das Ganze wie die Bewegung auf einer Rutsche an, dann wurde es immer schneller, sehen konnte sie nichts, nur die Schreie der anderen waren zu hören, nun hatte sie den Eindruck, in einer Achterbahn zu sitzen, sie wurde in Kurven gepresst und zeitweilig schien sie verkehrt herum zu rutschen. Endlich plumpste sie hinter den anderen auf einige Kissen in einem halbdunklen Flur. Kolja fluchte laut: "Mist, wir sind falsch. Na ja, es hätte schlimmer kommen können."
"Wieso schlimmer?"
"Meine Urgroßmutter meint, es könnten sich Risse ausbilden in der Blase, durch die man durchfallen würde."
"Wohin?"
Kolja zuckte nur mit den Schultern. Ka massierte sich ihren Arm, auf dem sie etwas unglücklich gelandet war. "Lasst uns lieber zu Fuß gehen."
Es ging weiter durch immer weitere Flure und Zimmer, vorbei an Dutzenden von Türen über Treppen immer weiter hinauf und hinab, bis sie in einen dunklen Gang kamen. Das Tageslicht war nur noch als schwacher Schimmer zu sehen, die schweren Vorhänge waren hier alle zugezogen.
Als Ka sie berührte, fühlten sie sich kühl und sanft an. Alle Geräusche wurden vom Stoff gedämpft. In der Luft lag ein erdiger Geruch wie von frischer Rote Bete.
Für Vampire war es Schlafenszeit, nur Kolja hatte wieder mal den Tag zur Nacht gemacht. Aber die Fürstin hatte einen leichten Schlaf und sie deswegen gehört.
Koljas Urgroßmutter saß in einem abgedunkelten Zimmer inmitten eines großen, düsteren Himmelbetts.
Nur mühsam konnte Ka sie erkennen. Ka hatte einen Sarg erwartet, aber dieses Bett sah irgendwie noch unheimlicher aus als ein Sarg. Schwere schwarze Vorhänge umgaben das alte Bett aus dunklem, fast schwarzem Holz, in welches unheimliche Fratzen als Verzierungen geschnitzt waren. Die Vorhänge waren hochgeschlagen, der feuchte, dumpfe Geruch nach Rote Bete war hier im Zimmer noch stärker.
Kolja stellte sie vor und sie begrüßten die alte Frau schüchtern. Die Fürstin erwiderte die Begrüßungen nur mit einem leichten Kopfnicken und winkte sie heran, sie hielten aber alle vorsichtig Abstand. Dann griff die Fürstin nach einer Art flachem, bauchigem silbernen Fläschchen und schüttelte sich etwas metallisch schwarz schimmerndes Pulver auf die Hand. Sie sog es mit der Nase in zwei dunkle Nasenlöcher und nieste, eine gespenstische, dunkel schimmernde Wolke erhob sich aus ihrer Nase und verteilte sich im Zimmer. Ein stechender bitterer Geruch stand mit einem Mal in der Luft. Ka, Lisa und Sara versuchten dem Geruch auszuweichen. Lisa spürte das Bedürfnis wegzulaufen, doch auch dafür hatte sie zu große Angst. Ihr Herzschlag schien ihren Hals zu verstopfen.
Die uralte Vampirin betrachtete ihre Furcht mit einem leicht spöttischen Lächeln. Dann blickte sie sie durchdringend an und schwieg. Keine traute sich etwas zu sagen. Nervös traten sie von einem Fuß auf den anderen.
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