Beim Betreten der Wohnung erfasste Harald sofort, dass diese für eine Einzelperson oder bestenfalls ein junges Paar ausgelegt war. Kein Korridor, sondern ein Wohnzimmer, von dem aus drei Türen abgingen. Vermutlich befanden sich dahinter ein Schlafzimmer, ein Badezimmer und eine Küche. Das Wohnzimmer selber beherbergte neben einer Garnitur mit einem niedrigen Salontisch eine Couch und zwei Sessel. Entlang einer Wand stand ein großer Schrank, entlang einer anderen ein Bücherregal mit wenigen Büchern, vielen CDs und einer Stereoanlage. Auf einem Tischchen standen ein Fernseher und ein DVD-Player. Ein Schreibtisch hatte seinen Platz in einer Ecke zwischen Tür und Regal gefunden. Auf diesem Tisch ein Monitor, darunter der Rechner und ein Drucker. Davor ein Drehstuhl. Nichts von alledem wirkte besonders teuer.
Jenny bot dem Kripomann Platz in einem der Sessel an und ließ sich selber auf das Sofa nieder. „Was sagten Sie? Angela Jahn hat das Zeitliche gesegnet?“ Sie machte nicht den Eindruck, überrascht, erschüttert oder betrübt zu sein.
„Ganz recht. Man darf sogar davon ausgehen, dass sie ermordet wurde.“
„Ermordet?“ Jennys Augenbrauen schnellten hoch. „Wer soll sie denn ermordet haben?“
„Wer sie ermordet haben dürfte, wissen wir mit größter Sicherheit. Allerdings war der nur das ausführende Organ eines oder einer anderen. Der Mörder wurde wenige Stunden nach der Tat selber umgebracht. Momentan sind wir damit beschäftigt, uns ein Bild eventueller Motivlagen zu machen, was uns zwingt, Frau Jahns Werdegang nachzuvollziehen, in dem Sie zeitweise eine Rolle gespielt haben.“
„Das sind aber sehr alte Kamellen, Herr Kommissar,“ äußerte sich die Mombach.
„Sehr alte Kamellen, würde ich es mal nicht nennen,“ meinte Harald. „Laut allem, was wir über jene Vorfälle zwischen Ihnen und Angela Jahn in Kassel erfahren haben, müssen Sie ihr ja böse zugesetzt haben.“
„Ich glaube, es war wohl andersherum,“ protestierte Jenny. „Sie hatte mich mit einer Schere angegriffen und ist deswegen auch verurteilt worden.“
„Der Scherenangriff ist uns als solcher bestätigt worden. Man sollte aber der Richtigkeit halber hinzufügen, dass Sie diesen provoziert haben.“
„Wer behauptet das?“ fragte Jenny empört.
„Ihr früherer Meister, und es geht auch aus den Akten des Jugendgerichts hervor. Des Weiteren sollen Sie Angela laufend gemobbt haben, vor und nach diesem Vorfall. Sie sollen mehrfach vergeblich versucht haben, ihr etwas anzuhängen.“
Jenny bekam einen hysterischen Anflug. „Das sind alles Lügen, und der Meister, der ist doch auch nur ein Lügner. Der hat sogar meinen Lehrvertrag gekündigt, aber den der Angela, - dieses schleimerische Luder -, nicht.“
„Lassen wir einmal Ihre Version gelten, Frau Mombach, dann könnten Sie sich ja auch so in Rage geschaukelt haben, jemanden zu engagieren, der die Jahn umbringen sollte,“ trumpfte Steiner nun listig auf.
„Wie? Was?“ Jennys Hysterieanfall schlug in Angst um. „Das können Sie doch nicht wirklich meinen. Mord! Mord ist doch…“ Sie überlegte und fing sich wieder ganz. „Was kostet denn so ‚n Auftragskiller?“
„In der Regel Geld,“ kam es trocken von Steiner. „Aber selten unter tausend Euro, meistens das Vielfache dessen.“ Er wusste, was nun ihrerseits kommen würde. Und genau das kam jetzt auch. Sie lachte auf und warf kurz ihren Kopf in den Nacken.
„Haben Sie eine Ahnung, was ich in meinem Job verdiene?“
„Nein, tut mir leid. Ich habe nicht einmal eine Ahnung, was Ihr Job ist.“
„Ich bin Altenpflegerin im ambulanten Dienst geworden, nachdem mich diese blöde Jahn rausgeekelt hatte. Wenn ich nach Abzug meiner Miete und den Nebenkosten noch 500 Euro im Monat zum Leben habe, kann ich mich glücklich schätzen. Da kann ich mir nicht auch noch einen Killer leisten.“
„Gut, diesen Aspekt muss ich wohl gelten lassen. Aber es gibt ja auch Mörder, die sich anderswie zum Mord anstiften lassen,“ gab Harald zu bedenken. „Schenke ich den mir vorliegenden Berichten aus Kassel Glauben, sind Sie durchaus in der Lage, Ihnen nahe stehende Personen zu unlauteren Taten und Aussagen anzustiften.“
Sie grinste überheblich. „Und wie soll ich das nun wieder angestellt haben?“
„Schauen Sie einfach mal in den Spiegel.“ Mehr brauchte er hierzu nicht zu sagen und nahm sich einen weiteren Aspekt vor. „Da wäre aber noch etwas, was nicht ohne Brisanz sein dürfte. Ausgerechnet in der Straße und unweit des Hauses, in dem Angela Jahn zuletzt gewohnt hat, ist Ihr Nissan Micra mehrfach abgestellt worden und das erst, seitdem Frau Jahn dort eingezogen war. Was haben Sie dazu zu sagen?“
Jenny wusste, die Schlinge um ihren Hals begann sich zuzuziehen, und sie erdachte sich dennoch eine Ausrede. „Ich gehe hin und wieder in der Bonner Straße shoppen. Da ist es schon mal sinnvoller, zum Parken in eine Nebenstraße zu fahren.“
„Woher wollen Sie denn wissen, dass Frau Jahn in der Nähe der Bonner Straße gewohnt hat? In den Zeitungen hat das nicht gestanden.“
„Doch, doch. Irgendwo habe ich es gelesen oder gehört,“ verwehrte sich Jenny.
Steiner war sich nicht sicher, ob das im Bereich des Möglichen lag. Die Artikel über den Mord, die er gelesen hatte, hatten lediglich über eine junge Frau aus Köln gesprochen, aber ob es Artikel oder Rundfunkausstrahlungen gegeben hatte, die das konkreter gebracht hätten, vermochte er nicht objektiv zu beurteilen. Trotzdem: „Als ich Ihnen eingangs den Grund meines Besuchs kund tat, verhielten Sie sich so, als sei Angelas Ermordung eine Neuigkeit für Sie. Jetzt geben Sie zu, sogar zu wissen, wo sie zuletzt wohnte. Das sind mir einige der Zufälle zu viele.“ Die Mombach wollte etwas einwenden, aber Harald hatte nicht vor, sie zu Wort kommen zu lassen, sondern ihr jetzt komplett einzuheizen. „Aber bleiben wir ruhig bei Ihrem Shoppen in der Bonner Straße in Marienburg. Wenn dem so ist, wird es ja auch gewisse Geschäfte geben, die Sie mehrfach aufgesucht haben. Es wird Ihnen gewiss nicht schwerfallen, mir einige davon zu nennen. Andernfalls werden wir selber sämtliche Läden abklappern und deren Personal nach Ihnen befragen. Oh weh Ihnen, keiner kann sich an Sie erinnern. Wie die Sache dann aussieht, kann ich Ihnen jetzt schon sagen. Wir werden annehmen, Sie haben über Wochen hinweg das Tun und Lassen Ihrer Exkollegin studiert, um ihr eine Falle stellen zu können. Dann haben Sie einen Mörder angeheuert oder sonst wie mobilisiert. Und als Triebfeder Ihrer Mordlust werden wir von Ihren Rachegelüsten gegen Angela Jahn ausgehen, weil diese nach Ihrem subjektiven Dafürhalten die Ursache Ihrer verpatzten Karriere gewesen ist. Käme noch hinzu, dass der Mörder selbst zum Mordopfer wurde. Wo waren Sie denn überhaupt in der Nacht vom Mittwoch auf den Donnerstag, der Zeit als Jahns Mörder ermordet wurde? Allein zuhause? Dann haben Sie ja noch schlechtere Karten. Wenn Sie die Angela behelligten, geben Sie es jetzt besser zu. Mit jedem weiteren Detail, das wir zu Ihren Lasten ausfindig machen werden, reiten Sie sich nur tiefer in die Sache hinein.“
Jenny Mombach war ob Steiners Heftigkeit entsetzt. Ihr wurde klar, wie nahe sie am Rande einer Mordanklage wandelte. Dann offenbarte sie: „Also gut, ich gebe es zu. Ich habe Angela gehasst. Aber ich habe sie nicht getötet und nicht töten lassen. Ich wollte nur, dass sie genauso tief fällt, wie ich gefallen bin. Damals, als ich in Kassel meine Lehrstelle aufgab, fand ich keine neue mehr als Frisöse. Nur im Pflegebereich war noch was zu bekommen. Als ich dann hörte, die Angela sei nach Köln gezogen, bemühte ich mich darum, ebenfalls nach Köln zu kommen. Ich nahm eine Stelle bei einem Pflegedienst in Köln an, fand aber nur hier in Bonn eine bezahlbare Wohnung. Ich habe einen großen Teil meiner Freizeit damit verbracht, Angelas Gewohnheiten zu studieren. Was glauben Sie, wie stinkig ich war, als ich herausbekam, mit welch tollem Typen sie da zusammengezogen war? Dann fuhr sie ihre Arbeitszeit bei ihrem Chef zurück und ging fast täglich nach der Arbeit einige hunderte Meter weiter in einem verwaisten Ladenlokal ein und aus. Mir war schnell klar, dass sie darin ein eigenes Geschäft einrichten wollte. Ich rief bei der Maklerin an, die ihr den Laden vermittelt hatte, und erfuhr, sie habe die Absicht, dort einen luxuriösen Frisiersalon einzurichten, den sie im März eröffnen wollte. Da dachte ich mir, das könnte ihren Boss interessieren, und habe ihm das gesteckt.“
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