„Ist doch egal, woher wir das wissen,“ zeigte sich nun Steiner von seiner unfreundlicheren Seite. „Ich will nur klipp und klar von Ihnen wissen, ob diese Mombach jemals in Ihrer Wohnung gewesen ist.“
„Jedenfalls nicht, wenn ich da war,“ konterte Heiko ebenfalls wenig freundlich. „Es soll ja manchmal Zufälle geben, die es eigentlich nach aller Wahrscheinlichkeit gar nicht geben dürfte. Wer ist denn diese Person konkret?“
„Das sagte ich Ihnen doch soeben. Die Frau, die Angela Jahn aus Kassel weggeekelt hat.“
„Weggeekelt?“ wiederholte Nille erstaunt. „Angela hat mir gegenüber niemals behauptet, aus Kassel weggeekelt worden zu sein. Mir erzählte sie, in Köln habe sie die besseren Aufstiegschancen vorzufinden geglaubt.“
Nun mischte sich Monika ein. „Könnte es sein, dass die Angela Nachteile für Ihre gemeinsame Beziehung befürchtete, wenn sie zugegeben hätte, warum sie in Wirklichkeit Kassel verlassen hatte?“
Heiko seufzte. „Angela sprach nie gerne über ihre Vergangenheit. Sie ertrug auch keine Niederlagen, jedenfalls keine blamablen. Hätte ich von solchen Kenntnis gehabt, hätte mir das wenig ausgemacht. Unsere Beziehung hätte das, was mich angeht, bestimmt nicht belastet. Aber ja, Sie könnten Recht haben, dass sie mir solche Vorfälle verschwiegen hat. Na und?“
„Danke, Herr Nille, das war es schon, was wir Sie zur Mombach fragen wollten,“ erklärte Harald, um nun doch noch eine andere Sache zur Sprache zu bringen. „Sagt Ihnen denn der Name Tarek Khan mehr?“
Heikos anfängliche Unfreundlichkeit schlug nun in Resignation um. „Wer soll das sein? Vielleicht ein Schuhputzer, der Angela irgendwann mal über den Weg gelaufen ist und bei der Gelegenheit ihre Treter entstellt hat?“
Steiner gab einen Lachlaut von sich. Monika begriff sofort, dass ihm der Begriff Schuhputzer im Zusammenhang mit einem Orientalen gut gefiel. „Nun, Herr Nille, wir fanden die Leiche eines Mannes in einem Container, der im Hinterhof eines Restaurants in Nippes stand. Der Tote weist gewisse Ähnlichkeiten mit dem Mörder Ihrer Freundin auf. Möglicherweise war sein Name eben Tarek Khan. Glauben Sie mir, wenn ich erfahre, ein Mörder wird selber ermordet, kommen mir die diffusesten Gedanken. Ich habe heute auch mit Helga Bode gesprochen, die mir relativ schnell eingestand, von Ihnen nach der Trennung regelmäßig Geld kassiert zu haben. Angeblich wegen Ihrer Geschäfte. Dann taucht da bei unseren Recherchen diese Mombach auf, die hier in der Straße herumlungerte. Mal ganz direkt gefragt, Nille: Werden Sie erpresst?“
Heiko musste schlucken, fand aber rasch eine passende Erklärung. „Helga bekommt jeden Monat Geld von mir. Das stimmt. Es ist nicht sonderlich viel Geld. Nach der Beendigung unserer Beziehung hat sie mir zu verstehen gegeben, einiges über meine früheren Geschäfte zu wissen, was mir bei einer Steuerprüfung eventuell an die hunderttausend Euro kosten könnte. Ich habe mich bereit erklärt, ihr für die Dauer einiger Jahre ein wenig finanziell unter die Arme zu greifen. Ich hätte es auch sein lassen und einfach die Steuernachzahlung verrichten können. Die hätte mir unter dem Strich auch nicht mehr gekostet. Jetzt, wo es raus ist, werde ich Letzteres wohl tun und meine Zahlungen an Helga einstellen.“
Zurück in Haralds Dienstwagen, sagte dieser zu seiner Frau: „Die Bode hatte behauptet, sie habe Nille nur auf Verdacht hin zu einem Aderlass genötigt. Frei nach der Devise, jeder habe Dreck am Stecken. Nille redete aber über einen konkreten Betrag, den er den Finanzbehörden vorenthalten hat. Er zeigte sich wenig beeindruckt von der Vorstellung, das Geld nachzuversteuern. Doch im ersten Moment hatte ich den Eindruck, einen ganz wunden Punkt angesprochen zu haben. Vielleicht wird er ja wirklich im großen Stil erpresst. Vielleicht von der Bode, vielleicht von der Mombach.
Heinz Schmidt hatte sehr lange rund um den Fundort der Leiche Tarek Khans zusammen mit Leuten der Streife und von Boombergs Truppe zugebracht. Irgendwie war es unvorstellbar, dass niemand in der Nachbarschaft etwas Verdächtiges in der Nacht zum Donnerstag wahrgenommen haben könnte. Aber in der Tat hatte niemand etwas gesehen oder gehört, was mit der Tötung Khans zu tun haben könnte. Dabei hatten die Leute der Spusi eine Ecke im Hinterhof lokalisiert, in der eine angetrocknete Blutlache zu sehen war. Doch von dem Tatwerkzeug, das vermutlich ein länglicher, stumpfer Gegenstand gewesen sein musste, war keine Spur zu finden. Ebenso wenig hatte man bei der Leiche das Mordwerkzeug gefunden, mit dem Khan die Jahn umgebracht hatte. Inzwischen hatte Lambrecht die Todeszeit zwischen Mitternacht und ein Uhr einschränken können. Das Restaurant war um 23 Uhr geschlossen und vom Personal verlassen worden. Schmidts vorrangigste Aufgabe war es, herauszubekommen, wie Mörder und Opfer in diesen von Häusern hermetisch umgebenen Innenhof hatten gelangen, aber vor allem, wie der Täter es wieder hatte verlassen können. Die Angestellten des Restaurants versicherten ihm, dass jemand, der das Restaurant von der Straßenseite her betreten hätte, es nicht von ihnen unbemerkt hätte durchqueren können. Nach 23 Uhr sei das Durchqueren der Räumlichkeiten ohne Schlüssel vollends unmöglich gewesen.
Ganz ähnlich sah es mit den Mehrfamilienhäusern und Läden rings herum aus. Die rückwärtigen Türen der meisten Häuser waren konstant von innen verschlossen gewesen, die eines der Häuser wurde von ihrem Hausmeister immer exakt eine halbe Stunde vor Mitternacht abgeschlossen. Dann gab es noch ein Tor in der Fassade eines dieser Häuser, welches den Zugang zur Straße ermöglichte und fast ausschließlich für Warenanlieferungen genutzt wurde oder eben für die Durchfuhr von Müllcontainern, das aber immer vor Einbruch der Dunkelheit abgeschlossen wurde, - hauptsächlich der Penner und jugendlicher Fixer wegen. Auf gewöhnliche Weise waren Opfer und Mörder hier folglich nicht hineingelangt. So lag der Verdacht nicht fern, einer von beiden oder beide könnten aus einem bestimmten logischen Grund Zugang zu einem der Gebäude gehabt haben. Vielleicht wohnte der Mörder ja sogar hier. Dass das Opfer hier gänzlich unbekannt war, also nicht hier gewohnt hatte und auch nicht hier bei jemand zu Besuch gewesen war, stand schnell fest. Heinz sah schon einen gewaltigen Berg Arbeit auf sich zukommen. Alle Bewohner und Benutzer der umliegenden Räumlichkeiten mussten auf ihre Vergangenheit und vor allem ihren möglichen Beziehungen zu Angela Jahn oder Heiko Nille hin überprüft werden.
Jenny Mombachs Wohnadresse befand sich im Rheinweg. Während Harald den Mercedes einparkte, sagte er zu seiner Frau: „Ich gehe alleine rein. Siehst du den Opel da vorne?“ Monika sah den blauen Opel, der an ihnen vorbeigefahren war und jetzt selber eine Parklücke suchte, und bestätigte Haralds Frage, woraufhin dieser fortfuhr: „Der ist mir schon, seitdem wir auf der A555 fuhren, aufgefallen. Beschleunigte ich, beschleunigte er auch. Fuhr ich langsamer, fuhr er auch langsamer. Halt du mal ein wachsames Auge auf den Fahrer.“
Laut der Anordnung der Namensschildchen auf der Klingelanlage musste die Mombach im vierten Stock wohnen. Natürlich war nicht sicher, ob sie zuhause war. Steiner betätigte auf gut Glück ihre Klingeltaste. Über die Sprechanlage meldete sich eine dünne Frauenstimme mit einem „Ja?“
„Mein Name ist Harald Steiner von der Kripo Köln. Bin ich hier richtig bei Jenny Mombach?“
Die kühle Antwort lautete: „Was wollen Sie von mir?“
„Mit Ihnen über den Tod Angela Jahns reden. Würden Sie mich bitte reinlassen?“
Erst einige Sekunden Schweigen, dann das Surren des Türöffners. Nach einem Marathontreppenaufstieg stand der Hauptkommissar im Flur der vierten Etage. Jenny Mombach stand in der Öffnung ihrer Wohnungstür. Sie trug weiße Schuhe, eine weiße Hose und eine weiße Jacke, unverkennbar die Arbeitskleidung einer im pflegerischen oder medizinischen Sektor Beschäftigten. Sie hatte mittellange, brünette Haare und sah gut aus. Sie winkte ihm zu und rief: „Kommen Sie schon. Ich habe wenig Zeit.“
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