Durch die stete Sommerwärme und die Einwirkung des starken Lichts legten die Hühner mit kurzen Unterbrechungen das ganze Jahr.
Möller hatte Brutkästen mit elektrischen Heizkörpern angefertigt, so daß die Hennen nicht durch Brüten vom Legen abgelenkt wurden.
Den jeweiligen Verpflegungssendungen für die Höhlenbewohner gab man immer eine genügende Menge frisches Gemüse, sowie Fleisch und Futterstoffe mit.
Es hatte große Mühe gekostet, dies zu erreichen, doch die Eingabe Maders wurde durch die ärztlichen Gutachten Katzbergs und seiner zwei Assistenten bekräftigt, da bei steter Konservenkost der Ausbruch von Krankheiten, insbesondere Skorbut, befürchtet werden mußte.
Im allgemeinen ließ der Gesundheitszustand wenig zu wünschen übrig. Anfangs, das heißt, in den ersten vier Wochen, spürte man überhaupt nichts; nachher erst wurden manche Leute von einer seltsamen Krankheit befallen. Sie bekamen plötzlich Atemnot, verfärbten sich und verrenkten die Arme stark nach rückwärts. Dann trat Ohrenbluten ein. Die Krankheit erinnerte in manchem an die »Bent«, die Caissonkrankheit, von der die in Caissons unter Wasser arbeitenden Männer befallen werden, wenn man sie zu rasch ausschleust. Viele sterben daran. Die Wissenschaft steht noch heute bei der »Bent« einem Rätsel gegenüber.
Von den in der Höhle unter diesen Erscheinungen Erkrankten war zwar noch niemand gestorben, doch mußten schon mehrere Mann nach Hause geschickt werden, da sie immer mehr von Kräften kamen. In der Sonne erholten sich die Leute in kurzer Frist.
Viel schlimmer war es mit denen bestellt, die infolge des gänzlichen Abschlusses von der Oberwelt und vom Tageslicht, sowie durch die sexuelle Enthaltsamkeit in Melancholie verfielen.
Es waren schon vier Fälle dieser Art vorgekommen, von denen einer mit Tobsucht geendet. Der Unglückliche hatte im See von Dom 1 Selbstmord begangen.
Sonst herrschte unter der ganzen Besatzung Zufriedenheit und ein den Lebensbedingungen nach guter Stand des Wohlbefindens.
Blaß und weiß waren die Gesichter alle durch den Mangel an Tageslicht.
Die Verpflegung war ausgezeichnet.
Die einlaufenden U-Boote brachten von den versenkten Schiffen alle möglichen Dinge mit. Niemals herrschte Mangel.
Die Mannschaften arbeiteten täglich zehn Stunden.
Zwei Stunden, und zwar mittags von ein bis zwei Uhr und abends von acht bis neun Uhr, war »Korso«, das heißt, in diesen zwei Stunden durfte niemand sitzen, sondern jeder mußte sich im Dom 9 Bewegung machen. Es wurde geturnt und Fußball gespielt, damit der Körper nicht die ihm nötige Bewegung entbehre.
Zweimal wöchentlich konzertierte eine Kapelle, die sich aus zwölf Mann der Besatzung gebildet hatte. Außerdem krähten und krächzten abwechselnd Grammophone. Ein Maurerklavier, oder, wie der schnoddrige Berliner Koch, der Stübbecke, sagte, eine Quetschkommode, gab den zwei Gigerln der Besatzung, Lehmann und Hansen, Gelegenheit, ihre neuesten Schieber zu tanzen.
Der Schrittenbacher Max, ein Feinmechaniker ersten Ranges aus Feldafing in Bayern, hatte einen Gesangverein gegründet und in Stimmung gebracht. Dieser Max plattelte, wenn Stübbecke ihm den »Heitauer Doppelschlag« auf der Ziehharmonika vorspielte.
Überhaupt der Schrittenbacher Maxl! Er war ein kreuzfideles Haus und hatte stets die Lacher auf seiner Seite.
Jeden Sonnabend gab es Bier. Da war der Maxl schon drei bis vier Tage beim Korso äußerst beschäftigt, einigen Nichtbiertrinkern ihr »Quantum« abzuschachern. Maxl versprach, zu singen, zu tanzen und die schönsten Dinge aus seinen Liebesgabenpaketen. Obwohl es verboten war, mehr als einen Liter Bier pro Kopf zu erhalten, hatte der Maxl immer sechs bis sieben Liter für sich versteckt. Betrunken wurde er nie, nur äußerst lustig.
Er brachte Stimmung in die ganze Besatzung.
Mader mußte immer wieder schmunzeln, wenn er an eine unfreiwillig belauschte Unterhaltung zurückdachte.
Maxl saß mit einigen Kameraden »Am Wasserfallhügel« bei der »Hexe« und hielt einem der Melancholie verfallenen Metalldreher eine Standpauke:
»Hanswurst, damischer, du Mordsrindviech! Ja, den schaug an. Ja, was war denn dös? Oh Bluatsau! Tat der Hanswurscht woana, weil er nöt bei seiner Alten sei kunnt. Ja, Herrgottsakra! Bluatiger Heanadreck! Wart, i nim zerscht an Schmalzler, damit ’s mar net de Red verschlagt. Ja sei, grad sei g’juchtzt hab i, wie i g’hört hab, daß’s a Kommandierung gibt, wo ma koan Urlaub nit kriagt. Woaßt, i mag s’ scho, mei Alte, – aber manchmal muß i ihr scho oane in d’Letschen eini hau’n, damit s’ a Ruah gibt. A guts Wei is, aber sie gibt eahnder koan Fried, bal i ihr nöt oani einihau. Ja moanst, daß sie sich dös g’fallen lasset? Oh mei, gar koa Idee von oaner Gspur. Was s’ halt grad derwischt hat, hat s’ ma am Schädel g’haut. Sie is halt a bisserl gach, aber a guats Wei is. Wie i z’letzt furt ganga bin, hat s’ gwoant; i hab s’ tröst und do hat s’ ma, wie i scho in der Tür g’standen bin, was nachg’schrien. I hab mi umdraht, hab zurückg’schrien: ›Du mi a!‹ und dann bin i mit schwerem Herzen furtganga. – Juchhuuu! Du Mordshammel du, jetzt hörst sei glei auf z’groana oder i stirr dir oane ins Gletsche.«
Mader vermochte sich schwer in die Psyche dieses Menschen hineinzufinden. Er konnte niemals an Maxl vorbeikommen, ohne an das belauschte Gespräch zu denken.
Einmal war der Schrittenbacher zum Rapport befohlen und Mader war gezwungen, ihn abzukanzeln.
Der Maxl stand mit todernstem Gesicht dabei. Als er abtreten sollte und schon an der Türe war, rief ihn Mader zurück.
»Schrittenbacher – ich weiß, was Sie sich jetzt an der Türe gedacht haben!«
»Kunnt scho sei, Herr Kapitänleutnant.«
»Abtreten.«
Fast alle Fahrzeuge, die das Mittelländische Meer befuhren, hatten ihre Not mit den deutschen U-Booten.
Man war nirgends mehr sicher. Sogar in dem Kriegshafen von Spezia sollten sie gesehen worden sein.
In der ganzen Welt wurde von einer geheimen U-Boot-Basis im Mittelmeer gesprochen.
Kein Mensch der Entente glaubte mehr, daß Pola oder ein anderer feindlicher Hafen die ganze Strecke versorgen könne.
Ganze Geschwader der Gegner suchten die Küsten immer und immer wieder ab.
Man vermutete die geheime Station zuerst an der Küste von Korsika, dann wurden die afrikanischen und die asiatischen Gestade genauest beobachtet.
Nichts! Nichts!
Italien ließ nichts unversucht. Sardinien, Sizilien, ja sogar die Küsten im Ligurischen Meer standen monatelang unter schärfster Bewachung.
Alles blieb vergebens. Nichts wurde entdeckt.
Niemand in Italien hatte eine Ahnung, daß sich im eigenen Lande eine unterirdische deutsche Werkstätte befinde, die Granaten und Torpedos herstellte. Kein Mensch vermutete, daß sogar ein kleiner Typ feindlicher U-Boote sich unter heimischer Erde im Bau befand und daß eine kleine Schar von Menschen in treuester Pflichterfüllung seit Jahren nicht mehr die Sonne sah und fern von ihren Liebsten weilte, die nicht wußten, wo sich Vater, Sohn, Bruder, Gatte oder Bräutigam aufhielten.
Eine Gemeinde von Männern lebte mitten im Feindesland und darbte nach dem Licht des Tages.
In der Heimat wurde allerlei von der geheimen U-Boot-Basis gemunkelt.
Kein Mensch, mit Ausnahme der U-Boot-Besatzung und einiger Eingeweihter im Hauptquartier wie im Marine- und Kriegsministerium, wußte darum, und auch von diesen kannten nur die Kommandanten der U-Boote die Lage der Höhlen genau.
Der Sommer 1918 war vergangen. Mit Riesenschritten eilte der Herbst ins Land.
Hertha von Zöbing stand vor einem Briefkasten an der Ecke von Graf-Adolf-Straße und Königsallee und schob nach kurzem Überlegen ihren Brief in die Öffnung. Langsam ließ sie den Deckel über den Schlitz fallen. Sie strich mechanisch mit der Hand über den Briefkasten und entfernte sich dann eiligen Schrittes.
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