1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Auf einem Stalagmitenstummel ließ sich Mader nieder. Der Hund setzte sich vor seinen Herrn, legte ihm den mächtigen Kopf aufs Knie und blickte ihn mit seinen großen treuen Augen bittend an.
Wenn Tiere sprechen könnten – insbesondere Hunde! Mit welchen tiefen Worten würden sie ihre große Liebe ihrem Herrn kundtun. Ihre Rede würde die Liebesworte des Menschen in den Schatten stellen, denn der Menschen Liebe ist nie so selbstlos wie die des Hundes zu seinem Herrn.
Mader umschlang den Hals des Tieres und liebkoste es zart. Er fühlte in dem Hunde das Mitempfinden eines seine Trauer verstehenden Wesens.
Tags darauf ließ Mader die Leute zwanglos antreten.
Es mußte ein Arbeitsplan festgelegt werden. Die Leute sollten beschäftigt werden. Nur in geregelter Lebensweise war es möglich, die Qual der Ungewißheit niederzukämpfen.
Erwartungsvoll blickten die Mannschaften auf ihren Kommandanten.
Mader holte tief Atem und sprach mit ruhig sachlicher Stimme:
»Ich habe euch antreten lassen, um genau über unsere nächste Zukunft mit euch zu sprechen.
Wie ich gestern schon sagte, ist in der Heimat die Revolution ausgebrochen. Es herrscht ein wildes Chaos. Bruder steht gegen Bruder. Die Deutschen zerfleischen sich gegenseitig.«
Aufmerksam lauschten die Leute, zum Teil mit Entsetzen, den Ausführungen Maders.
»Es gibt keine Armee und auch keine Kaiserliche Marine mehr. Ihr seid also freie Männer und keine Untergebene!«
Mader machte eine kurze Pause.
»Da Ihr euch aber nach allem, was ich gestern und vorgestern darlegte, entschlossen habt, zu bleiben, so muß naturgemäß eine Einteilung unseres ferneren Lebens hier unten geregelt und beschlossen werden! Es muß gearbeitet werden, und es muß auch eine Befehlsstelle geben. Ein planloses Leben ohne Arbeit würde in Kürze die schlechtesten Früchte treiben!«
Zustimmend nickten die Leute.
»Wir haben Lebensmittel für über zwei Jahre in Konserven, Hülsenfrüchten und Gewürzen; wir haben unsere Ziegen- und Kaninchenzucht und unseren großen Geflügelhof, die uns auf lange Zeit hinaus mit frischem Fleisch, Eiern und Milch versorgen. Ferner ist noch die Kuh hier. Wir besitzen Hühnerfutter für etwa sechs Monate, und gepreßtes Heu für fast ein Jahr. Es fehlt uns nicht an Wäsche, Kleidern und Schuhen. Wir sind also gut mit dem Nötigsten versehen. Nur mit dem Rauchen müssen wir uns einschränken. Es sind noch Zigarren, Zigaretten und Kautabak in großer Menge vorhanden, aber es muß damit besonders hausgehalten werden! Aber auch an diese Einschränkung werden wir uns gewöhnen. Bücher, die sich in der Zeit unseres Hierseins angesammelt haben, geben hinreichend Lektüre auf lange Zeit.
Nun aber das Hauptsächlichste: Die Arbeit! Es wird eine Einteilung getroffen werden, die es jedem erlaubt, seine Sonderwünsche in der freien Zeit zu befriedigen. Es sind für jeden Tag fünf Arbeitsstunden und drei Schulstunden angesetzt. Die Herren Ingenieure werden abwechselnd Unterricht in allen technischen Fächern geben und jedem von euch ist Gelegenheit geboten, sich so auszubilden, daß ihm später in der ganzen Welt die besten Technikerstellen offen stehen. Auch Sprachunterricht in Französisch, Englisch, Portugiesisch und besonders Italienisch wird erteilt, und es ist jedem freigestellt, von dieser Lerngelegenheit Gebrauch zu machen.«
Hier unterbrachen einige Leute mit zustimmenden Rufen den Kapitän.
»Um nicht ganz von der Außenwelt abgeschlossen zu sein, werden wir auf U.10 unsere drahtlose Anlage aus den anderen Booten verstärken und zweimal wöchentlich des Nachts ausfahren, um Neuigkeiten von der Heimat und der übrigen Welt zu vernehmen.
Was die Arbeit betrifft, so werden wir in kleinerem Maßstabe weiter fabrizieren wie bisher. Wir müssen uns eine kleinere Turbinenanlage herstellen und den Betrieb mit den Motoren vereinfachen. Die Schlafkojen könnt Ihr euch so einrichten, daß sie wohnliche Räume werden. Was weiter wird, müssen wir der Zukunft überlassen.
Seid Ihr einverstanden mit meinen Ausführungen?«
»Jawohl, jawohl«, tönte es von allen Seiten überzeugt zurück.
Die Welt war seit dem »Frieden« mehr aus den Fugen gegangen als während des großen Völkerringens.
Haß und Rachsucht vergifteten die Sinne der Völker.
Sechzig Millionen Menschen! Ein ganzes Volk! Ein Land sollte für das bestraft werden, was eine kleine Zahl von Diplomaten, Industriellen und Militaristen vieler Nationen verbrochen hatte.
In Versailles wurde Gericht gehalten. Ein ungerechtes Richten war es.
In allen Kulturstaaten, selbst bei den Buschnegervölkern und Hottentotten gibt man den Angeklagten Gelegenheit, sich zu verteidigen.
Hier unterließ man es.
Männer saßen zu Gericht, deren Psyche nur auf Haß und Rache eingestellt war.
Fälschungen über Fälschungen wurden begangen.
Riesige Ländermassen, die rein deutsch waren, wurden der Welt als fremdsprachliche dargestellt.
Geographie und Geschichte wurden brutal gefälscht.
Die Leichenfledderer waren an der Arbeit und rissen, mit Hilfe der Geschichtsfälscher, blutige Fetzen aus dem gefesselten Körper des deutschen Reiches.
Ein Ideologe der Lehrkanzel, ein sogenannter Gelehrter und Volksbildner, der durch Zufall auf den Regentenstuhl eines überseeischen Riesen-Staates gekommen war und keine Ahnung von Geographie hatte, insbesondere nicht von der alten österreichischen Monarchie, stellte Friedenspunkte auf, tat sich groß in Phrasen und Gesten und wußte trotz Universitätsbildung nicht einmal, daß die deutsche und tschechische Sprache zwei so grundverschiedene Dinge sind, wie schwarz und weiß.
Den fremden Völkern wurden die gröbsten Lügen aufgetischt.
In den Staaten des »fair play« hatte niemand den Mut, den greifbaren Lügen und verdrehten Tatsachen entgegenzutreten, um der Wahrheit freie Bahn zu schaffen.
Tausende von Universitätsprofessoren und sonstigen Gelehrten kannten die Lügen und unterstützten sie noch durch sogenannte wissenschaftliche Abhandlungen.
Von den eigenen Schultern wurde die Last einfach abgeschüttelt. Der Kopf manches Staatsmannes wurde nach Vogel Strauß’ Art in den Sand gesteckt, um die brutale Unwahrheit nicht hören zu müssen.
Die Staatsmänner und Diplomaten logen, wie immer, weiter. Offenkundige Tatsache wurde abgeleugnet und die öffentliche Meinung weiter vergiftet. Niemand trat dem entgegen.
Ihr, die Ihr wissentlich geschwiegen und durch euer ständiges Schweigen euer Einverständnis erklärt habt, Ihr halft einer rachsüchtigen, vor nichts zurückschreckenden Clique einen Justizmord begehen und seid dadurch mitschuldig geworden.
Der Tag wird kommen, an dem den Völkern Aufklärung über ein Verbrechen wird, durch das man erkennen kann, wie ungerecht und grausam mit einem Sechzig-Millionen-Volke verfahren wurde.
Zuckend wand sich ein armes Land, das einige Machthaber ins Elend gestürzt hatten, am Boden.
Wehe über euch Richter, die Ihr so ungerecht gerichtet! Wehe über euch, wenn eure eignen Völker erkennen werden, welch einen in der Weltgeschichte unerhörten Betrug Ihr euch zuschulden kommen ließet.
Hertha von Zöbing hatte immer gewartet, daß Eugen Mader eines Tages zurückkehren werde. Sie nahm bestimmt an, daß durch die Umwälzung auch er den Dienst quittieren würde, und nun einer Verbindung nichts mehr im Wege stünde.
Aber alles Warten war vergebens. Nachforschungen ergaben, daß Kapitän Mader nicht heimgekehrt war.
Sollte er tot sein?
Würde sie nie Gelegenheit haben, sich mit ihm auszusprechen?
Über manches waren ihr inzwischen die Augen aufgegangen. Ihre Ideen von der Menschenverbrüderung hatten einen argen Stoß erhalten.
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