1 ...8 9 10 12 13 14 ...39 Danach aßen alle am Tisch schweigend weiter. Karl Brammer spürte, dass er für seine Tochter nicht überzeugend argumentiert hatte. Er ärgerte sich darüber. Dann fiel ihm plötzlich aber noch etwas ein, von dem er meinte, seiner Tochter zusätzlich als Erklärung sagen zu müssen: "Der Chef der deutschen Polizei, der Reichsführer SS, der Schutzstaffel also, will den Geschlechtsverkehr zwischen fremdvölkischen Arbeitskräften und deutschen Volksgenossen deshalb nicht, weil er eine Gefährdung des rassischen Bestandes des deutschen Volkes befürchtet. Das ist doch verständlich. Oder nicht?"
Ein bisschen kam er sich wie ein Parteiredner vor, als er diesen Standpunkt vortrug. Er spürte aber, dass für seine Tochter auch diese Antwort unbefriedigend war. Sie blickte ihren Vater ungläubig an und schwieg.
Fritz Tegtmeier dagegen konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen: "Hei Hei Heinrich Hi Hi Himmler, der Chef der deu deu deutschen Po Po Polizei, ist ein klug klug kluger Mann, der wei wei weiß schon, wa wa warum er so etwas ver ver verbietet."
Fritz Tegtmeier sagte das mit einem leicht ironischen Unterton und grinste etwas.
"Woher weißt du denn, dass er ein kluger Mann ist? Du kennst ihn doch gar nicht," hielt Marie Tegtmeier ihrem Mann vor.
"So so sonst wäre er nicht Po Po Polizeichef ge ge geworden," antwortete Fritz Tegtmeier, immer noch leicht grinsend, "für da da das ga ga ganze groß groß großdeutsche Reich so so sogar. O o oder glaubst du, ein du du dummer Kerl wäre in ei ei eine so so solche Ste Ste Stellung geko ko kommen?"
Um Karl Brammer abzulenken, stellte Fritz Tegtmeier nach einigen Augenblicken die Frage: "Ko ko kommen denn nun ü ü übermo mo morgen der Po Po Polake und der Fran Fran Franzmann, Ka Karl?"
"Zwischen sieben und acht werden beide gebracht," antwortete der Bauer etwas unwirsch. "Schlafen werden sie in der Leibzucht oberhalb der Waschküche. Der Raum reicht für sie aus. Aber warum erzähle ich das. Wir haben das ja schon längst besprochen."
"Und wo sollen sie essen?" fragte Lina Brammer vorsichtig. "Darüber haben wir noch nicht gesprochen."
Ihr Mann schwieg und blickte etwas irritiert auf den Tisch.
"Doch wohl nicht in ihrem Zimmer, Karl. Der Raum ist nicht beheizbar und zu weit von der Küche weg," gab Lina Brammer zu bedenken.
"Wir können sie doch auch nicht auf der Diele, im Flur oder gar im Stall essen lassen", unterstützte Sophie Brammer ihre Schwiegertochter, "auch nicht in der Waschküche, die nur hin und wieder beheizt wird."
"Da da dann bleibt ja nur noch eu eu euer Wo Wo Wohnzimmer", amüsierte sich Fritz Tegtmeier, "oder die Kü Kü Küche."
"Das Wohnzimmer kommt nicht in Frage. Auch in meinem Wohnzimmer will ich sie nicht haben", schaltete sich Anna Zurheide in das Gespräch ein.
"Da da dann ko ko kommt nur noch die Kü Kü Küche in Be Be Betracht", ergänzte Fritz Tegtmeier und blickte erwartungsvoll in die Runde. Alle merkten, dass er das Gespräch nicht ernst nahm.
"Du solltest dich da raus halten," riet Marie Tegtmeier ihrem Mann etwas verärgert, "das sind nicht unsere Bohnen."
"Karl, wie soll es denn nun werden?" wiederholte Lina Brammer nach einem Augenblick des Schweigens ihre eingangs gestellte Frage.
Alle blickten Karl Brammer an, der noch immer verunsichert auf den Tisch starrte und dann nach einiger Zeit darauf hinwies, dass es verboten sei, Kriegsgefangene zusammen mit Deutschen am selben Tisch essen zu lassen.
„Es ist verboten," wiederholte er etwas ratlos, "daran kann ich nichts ändern, und an dieses Verbot müssen wir uns halten."
"Aber Karl, denk doch mal an die Mehrarbeit für mich, wenn ich auch noch in einem anderen Raum auftischen muss," gab seine Frau zu bedenken. "Diese dauernden Laufereien. Ich bin sowieso schon von morgens bis abends auf den Beinen. Außerdem wäre es mir ehrlich gesagt unangenehm, wenn die beiden woanders als in der Küche essen müssten. Sie helfen uns doch, und vielleicht sind es anständige Männer, vielleicht haben sie zu Hause sogar eine Familie."
Karl Brammer fühlte sich erneut in die Enge getrieben. Einerseits leuchteten ihm die Argumente seiner Frau ein, andererseits wusste er aber auch, dass für die Regierung eine allzu große Nähe der Kriegsgefangenen zur deutschen Bevölkerung unerwünscht war, dass ein gemeinsames Essen an einem Tisch sogar verboten war. In diesem Augenblick waren das zufriedene Gefühl, das er während seines Weges zum Hochsitz und zur Jagdhütte empfunden hatte, und die Freude über das seinem Neffen verliehene Ritterkreuz dahin. Er fühlte sich unwohl in seiner Haut und blickte verunsichert auf den Tisch. Er wünschte sich, er wäre schon mit seinem Fahrrad unterwegs zur Familie seiner Schwester. Erst die schockierende Nachricht über die Verhaftung seines Kollegen Heinrich Senne, dann die Auseinandersetzung mit den Frauen darüber, wo die beiden Kriegsgefangenen essen sollen. Ihm reichte es für heute. Er schluckte den letzten Bissen seines Butterbrotes hinunter und wollte gerade aufstehen, als seine Mutter mit energischer Stimme erklärte: "Karl, Lina hat Recht. Es ist für sie unzumutbar, in zwei verschiedenen Räumen aufzutischen. Du deckst doch den Tisch nicht. Ihr Männer setzt euch nur hin und esst. Um das Auftischen, Abräumen und Abwaschen kümmert ihr euch nicht, dreimal am Tag muss das erledigt werden, dreimal am Tag. Ihr habt keine Ahnung, wie viel Zeit dafür aufgewendet werden muss. Dann erwartet ihr auch noch, dass wir Frauen kräftig im Stall und auf dem Feld mithelfen und eure schmutzige Wäsche waschen. Ich habe noch nie erlebt, dass einer von euch an Waschtagen mal mit angefasst hat. Nein, Karl, es kommt nicht in Frage, dass in zwei verschiedenen Räumen aufgetischt wird. Wir werden alle in der Küche essen, auch die Kriegsgefangenen."
Karl Brammer schien sich unter den Worten seiner Mutter zu ducken. So bestimmend kannte er sie schon seit Jahrzehnten, wenngleich sie in den vergangenen Monaten auffallend zurückhaltend gewesen war. Bereits sein Vater hatte die energische Art seiner Mutter zu spüren bekommen. Aber jener hatte sie geduldig ertragen, und Karl Brammer hatte nie den Eindruck gehabt, dass sein Vater darunter gelitten hatte. Jener hatte wohl gespürt, dass seine Frau im Grund herzensgut war, und meistens waren ihre Auffassungen ja auch zutreffend gewesen. Karl Brammer fühlte sich unwohl im Blickpunkt seiner Tischnachbarn und schwieg.
Dann ergriff Fritz Tegtmeier amüsiert lächelnd das Wort: "Bra bra bravo, Sophie. Du ha ha hast mir aus der See See Seele gespro spro sprochen. Ich ma ma mache dir einen Vor Vor Vorschlag, Karl. Lass den Po Po Polaken und den Franz Franz Franzmann doch an dem run run runden Tisch vor dem So So Sofa essen. Bis da da dahin sind es nur ein paar Schri Schri Schritte mehr. So so soweit ich weiß, ist es nur ver ver verboten, mit den Ge Ge Gefangenen am sel sel selben Tisch zu essen, aber im sel sel selben Zi Zi Zimmer ist es nicht ver ver verboten."
Fritz blickte in die Runde und wartete auf eine Reaktion der anderen, die alle auf Karl Brammer schauten. Jener aber schwieg weiter.
"Das wäre doch eine Lösung, Karl," versuchte Lina Brammer ihren Mann zu einer Antwort zu bewegen. "Ich bin mit dem Vorschlag einverstanden."
"Karl, sag endlich was," forderte seine Mutter ihren Sohn energisch auf, "wir wollen eine Antwort von dir haben."
"Papa, ich bin auch der Meinung, dass der Vorschlag von Fritz eine Lösung ist," redete Anna auf ihren Vater ein. "Bist du damit einverstanden?"
Karl Brammer richtete sich auf und brummte gerade noch verständlich für die anderen: "Meinetwegen."
Dann erhob er sich vom Stuhl und erklärte kurz: "Ich fahre jetzt nach Brinke zu Claus."
Er war froh, dass für ihn das unbehagliche Gespräch zu Ende war. Innerlich dankte er jedoch seinem Knecht, dass jener den Vorschlag mit dem runden Tisch vor dem Sofa gemacht hatte. Diesen Essplatz glaubte er für die beiden Kriegsgefangenen akzeptieren und auch gegenüber seinen Parteigenossen und der Polizei rechtfertigen zu können. Er war sich darüber im Klaren, dass irgendwann ein Außenstehender mitbekommen würde, wo die Gefangenen aßen. Wenn das am Küchentisch zusammen mit seinen Angehörigen und den Eheleuten Tegtmeier sein würde, hätte er Schwierigkeiten mit der Polizei und der Partei bekommen. Davon war er überzeugt.
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