Hashimoto trat zu Patrick und klopfte ihm auf die Schulter. »Gratuliere – da muss ich mich wohl geschlagen geben!«
Susi zog Hetty etwas auf die Seite und flüsterte ihr eine Frage ins Ohr. Als Kai sah, dass Hetty mit den Schultern zuckte, einen kurzen Blick auf ihren Tanzpartner warf und dann die beiden Frauen laut loslachten, dämmerte ihm ein leiser Verdacht, warum Patricks Augen so funkelten.
Chrissie gab Kai einen Stupser mit dem Ellbogen. »Die zwei können einfach eine Show abziehen, das muss ich ihnen lassen. Hetty schafft es doch immer wieder, Patrick mal etwas aus sich herauszulocken.«
Kai der gerade einen Schluck von seinem Weinglas genommen hatte, verschluckte sich und hustete krampfhaft. Patrick musste nicht gelockt werden, der hatte soeben Hetty vor aller Augen auf der Tanzfläche geküsst und das so raffiniert gedreht, dass nur ihr Tisch und Hashimoto das nicht hatte sehen können. Doch Susi war vom Blickwinkel her, so wie es aussah, begünstigt gewesen und hatte offenbar nachgefragt, ob sie richtig vermutete. Allerdings gestand sich Kai ein, dass ihn der Kuss nicht im Geringsten störte. Den hatte Patrick sich mit dieser Show wirklich verdient und zumindest hatte der ihn wieder aus der Trance gerissen. Das war um Längen besser, als wenn er wieder in seine, schon so oft gezeigte, unterdrückte Traurigkeit verfallen wäre. Kai war es viel lieber, wenn er einfach nur der clevere Gegner war, der ihm hin und wieder eine mitgab und gegen den er kämpfen konnte. Dann musste er kein Mitgefühl mit ihm haben. Denn er hatte den Jungen viel zu gerne, als dass ihm sein Kummer nicht nahe ging und das brachte ihn immer wieder ihn eine emotionale Zwickmühle.
Der Sieg musste natürlich gefeiert werden. George hielt sich, wie immer, mit dem Alkohol zurück. Abgesehen davon, dass er nichts vertrug, schätzte er Wein und Bier nicht sonderlich und trank mit Leidenschaft und Begeisterung seine Smoothies. Von den anderen blieb als einziger Kai relativ abstinent. Nat und ein paar seiner Männer hatten einen diffizilen Auftrag zu erledigen und er hatte mit ihnen vereinbart, dass sie im Notfall anrufen sollten. Deswegen war es nicht ratsam, zu viel zu trinken, schließlich konnte es sein, dass er heute noch seine volle Leistungsfähigkeit brauchte.
Als die Musiker erneut anstimmten, hörte er sich die ersten Takte an und forderte dann Hetty auf. »Komm, jetzt tanzen wir eine Runde.«
Hashimoto und Susi schlossen sich an, während die anderen zusahen. Patrick hatte Kai noch nie tanzen sehen und war ehrlich interessiert, wie der sich auf der Tanzfläche gab. Jemand, der so sportlich war wie er, konnte normalerweise auch kein schlechter Tänzer sein. Doch das, was der große Meister da jetzt vorführte, brachte ihn zum Schlucken. Kurzzeitig fragte er sich, wie er überhaupt auf die Idee gekommen war, sich tatsächlich zu überlegen, ob dieser Mann, der alles konnte, ausgerechnet beim Tanzen Schwächen zeigte.
Kai hatte nicht nur eine Köperhaltung, um die ihn jeder Profitänzer beneidet hätte, sondern führte auch noch mit einer fast schon aufreizenden lässigen Arroganz, die einen glauben ließ, dass für ihn auch schwierige Schrittkombinationen nur ein leichter Spaziergang waren. Dazu hatte er noch das perfekte Rhythmusgefühl und man hatte den Eindruck, die Musik wäre nur für seinen Bewegungsablauf geschrieben worden. Sogar beim Tanzen trat er mit einer Überlegenheit auf, als ob niemand ihn meinen könnte. Es war auch ganz klar zu erkennen, dass er führte und bestimmte, wie der Tanz ablief, obwohl er Hetty genügend Freiraum für Soloeinlagen ließ.
Chrissie fasste seine Gedanken in Worte. »Wenn man Kai beim Tanzen zusieht, ist man immer versucht hinzugehen und ihm eine zu scheuern, weil er einfach so verflucht großartig ist.«
Nachdem alle ausgiebig gelacht hatten, runzelte George die Stirn und meinte. »Es würde mich echt interessieren, ob die Wertung genauso ausgefallen wäre, wenn Kai mit Hetty gegen Hashimoto und Susi angetreten wäre.«
Chrissie zuckte mit den Schultern und schüttelte dann den Kopf. »Also ich glaube nicht. Patrick und Hetty haben alle mitgerissen, bei Kai und Hetty schaut man nur zu und denkt, es sieht toll aus.«
Ihr Mann nickte zustimmend. Auch wenn er nicht wusste, wie er und Hetty tatsächlich gewirkt hatten, aber die beiden da tanzten nur für sich, nicht für den Rest der Menschheit. Alle anderen waren Nebensache und Kai würde sich nie dazu herablassen, eine Show für das Publikum abzuziehen.
Dass Kai allerdings nicht davor zurückschreckte für ihn einige Tatsachen klarzulegen, wurde ihm bewusst, als die Band „To know him, is to love him“ anstimmte. Nun musste er zusehen, wie Hetty nur noch Augen für Kai hatte und die Welt vergaß. Und das leise schnalzende Geräusch, das Susi von sich gab und wohl nur von ihm gehört wurde, war genau der Kommentar, den er auch am liebsten abgegeben hätte, als Kai doch tatsächlich am Ende des Liedes, Hetty genauso wie er zuvor in die Beuge nahm und küsste. Nur, dass er sich bewusst so hindrehte, dass der ganze Tisch sehen konnte, was er da machte.
Die leichte Röte, die Hetty auf den Wangen hatte, als sie sich wieder zu ihnen setzen, war darin begründet, dass auch ihr nur zu klar war, was Kai damit ausdrücken wollte und die Schlussfolgerung naheliegend, dass er sehr wohl wusste, was zuvor geschehen war. Bei manchen Dingen ging Kai erstaunlich rigoros und unbarmherzig vor. Und sobald es darum ging Patrick in die Schranken zu weisen, kannte er kein Pardon.
Ein kurzer Blickwechsel mit dem Jungen zeigte, dass die Botschaft angekommen war und damit war für ihn das Thema vom Tisch. Wobei auch Patrick diese Episode mit einem leisen Schulterzucken abgehakt hatte. Er konnte diesen Abend trotzdem als Erfolg verbuchen und Kais dezenter Wink mit dem Zaunpfahl ging ihm nicht sonderlich nahe, denn trotz seiner Reaktion wusste er, dass er ihm den Kuss nicht übel nahm. Die Grenzen waren nur erneut abgesteckt worden und nun war es an der Zeit den restlichen Abend zu genießen und fröhlich den Gewinn des Pokals zu feiern.
Als Mitternacht gerade vorbei war, klingelte Mollys Handy. »Oje, ok, wir kommen.« Seufzend sah sie in die Runde. »Tut mir leid, wir müssen aufbrechen, die Kleine hat Fieber und fragt die ganze Zeit nach mir.«
Hashimoto sah Chrissie und Patrick an. »Aber ihr bleibt schon noch, oder?«
Patrick verneinte mit echtem Bedauern. »Wir sind mit den beiden mitgefahren, tut mir leid.«
Susi meinte. »Kai und Hetty übernachten bei uns, wir haben auch für euch genügend Platz. Und morgen könnt ihr dann gemeinsam zurückfahren.«
Chrissie schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt, bin ich ganz schön müde, aber Patrick bleib du doch einfach hier. Ich übernachte bei Molly und morgen holst du mich dort ab.«
Der Einzige in der Runde, der tatsächlich wusste, aus welchen Grund seine Frau diesen äußerst generös wirkenden Vorschlag gemacht hatte, war Patrick. Chrissie würde einen Teufel tun und sich dem Problem aussetzen, mit ihm gemeinsam in einem Bett schlafen zu müssen. Und da sie nicht wusste, wie die Ausstattung von Hashimotos Gästezimmern war, ging sie auf Nummer sicher.
Patrick hatte, nachdem sie ihre Wochenbettdepression mit Hilfe des Psychologen und entsprechender Medikamente schließlich überwunden hatte, einige Male den vergeblichen Versuch unternommen, wieder ein normales Eheleben herzustellen. Doch er hatte feststellen müssen, dass die Distanz, die Chrissie bereits vor der Geburt von Simon, in körperlicher Hinsicht, zu ihm aufgebaut hatte, nach wie vor bestand. Sogar eine zärtliche Berührung ließ sie zusammenzucken und es tat weh, wenn er sah, dass sie eine abwehrende Bewegung unterdrückte. Nachdem von ihr mehrere Versuche eines klärenden Gespräches abgeblockt worden waren und er bemerkte, dass seine Frau begann ihm aus dem Weg zu gehen, hatte er aufgegeben. Sie bewohnten nun schon seit langer Zeit zwei getrennte Schlafzimmer und niemand ahnte, dass der Grund nicht in den angeblichen Schlafproblemen von Chrissie lag.
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