Und wenn Kai nicht ganz genau gewusst hätte, dass sich an Patricks Liebe für Hetty nichts geändert hatte, wäre er absolut überzeugt davon gewesen, dass auf der Farm tatsächlich alles eitel Freude und Sonnenschein war. Chrissie und Patrick führten eine harmonisch wirkende Ehe und als Außenstehender musste man die Überzeugung gewinnen, dass es eine gute Ehe war. Die beiden gingen zwar größtenteils ihre eigenen Wege, aber nichts ließ darauf schließen, dass das einer von ihnen als Nachteil empfand.
Patrick war immer noch kein Partyfan und vermied es nach Möglichkeit mit Chrissies Schicki-Micki-Freundeskreis zusammenzutreffen. Diese Leute lagen einfach nicht auf seiner Wellenlänge und es kostete ihn Überwindung und Kraft, den ganzen Abend Smalltalk zu machen. Also drückte er sich vor Einladungen, wenn er irgendwie konnte, was ihm seine Frau allerdings in keinster Weise übelnahm. Chrissie war es eindeutig egal, wenn sie alleine zu ihren Freunden fahren musste, solange ihr Mann keine Einwände dagegen erhob, dass sie öfter auch über Nacht in Brisbane blieb. Kai hatte noch nie erlebt, dass Patrick etwas anderes getan hatte, als ihr viel Spaß auf der Party zu wünschen und Grüße an die Freunde auszurichten. Chrissie hatte andererseits noch nie eine negative Bemerkung bezüglich seiner langen Arbeitszeiten in der Mine von sich gegeben und er konnte zuhause solange vor seinem Laptop sitzen, wie er wollte, ohne dass sie genervt wirkte. Ansonsten lachten und scherzten sie miteinander, ritten gemeinsam aus, wenn dafür mal Zeit war und es gab keinen Hinweis darauf, dass die Ehe nicht so lief, wie sie laufen sollte.
Und trotzdem hatte Kai ein ungutes Gefühl und den diffusen Eindruck, dass er nur eine gut einstudierte Theatervorstellung erlebte. Irgendetwas war nicht so, wie es sein sollte, aber er konnte einfach nicht sagen, was es war. Aber sein Unterbewusstsein, gab immer wieder Warnsignale von sich und deshalb behielt er den Jungen nach wie vor im Auge. Praktischerweise hatte er für die Aufsicht jetzt noch einen kleinen Spion an der Seite und das war sein Taufkind Simon. Der war mittlerweile mit seinen vier Jahren schon genauso clever und smart wie der Vater und hatte sich zu einem ziemlichen Früchtchen entwickelt.
Sehr schnell hatte er mitbekommen, wie er alle Haushaltsangehörigen um den Finger wickeln konnte und sogar Hetty hatte Mühe, seinem kindlichen Charme zu widerstehen. Der Kleine war das pure Ebenbild seines Vaters, hatte dessen blaue Augen und blonde, allerdings immer etwas zu lange Wuschellocken. Dazu hatte er das Redetalent von Patrick geerbt, glänzte, wenn er denn wollte, mit erstklassigen Manieren und war, durch den dauernden Umgang mit älteren Menschen, sehr frühreif und altklug. Seine Mutter hatte zwar nach wie vor keine innige, liebevolle Beziehung zu ihrem Sohn, aber das berührte den Kleinen anscheinend nicht sonderlich. Schließlich waren noch genug Menschen auf der Farm, die sich um ihn kümmerten und ihn herzten, wenn er meinte, er bräuchte wieder einmal Streicheleinheiten. Und auch wenn Chrissie sich nicht in dem Maße mit ihm abgab, wie sein Vater, Dolly und Fritz, so war sie doch sehr stolz auf ihren Sohn und nahm regen Anteil an seinen Fortschritten. Sie war auch diejenige, die dafür sorgte, dass er Spielgefährten in seiner Altersgruppe hatte und fuhr ihn, wann immer er wollte, zu ihrer Freundin Molly auf die Nachbarsfarm. Dort konnte er dann mit deren Kindern Bruce und Lisbeth herumtoben und sie sich in der Zwischenzeit mit Molly unterhalten und Kaffee trinken. Ihre Freundschaft aus Kindertagen hatte immer noch Bestand und auch wenn Molly das absolute Gegenteil zu ihren sonstigen Schickeria-Freunden war, verstanden sie sich immer noch hervorragend.
Hetty und Kai dagegen hatten eine etwas ambivalente Einstellung zu dem Kleinen. Auf der einen Seite war der Junge eine Nervensäge, da man sich dauernd um ihn kümmern sollte, aber andererseits dabei so liebenswert, dass man ihn einfach gern haben musste. Sie hatten sich mittlerweile daran gewöhnt, unter Tags auf Schritt und Tritt mit ihm konfrontiert zu werden, aber nach wie vor fanden sie es äußerst angenehm, wenn er mit seinem Vater die Großeltern in Cairns besuchte und sie so eine Weile ihre Ruhe hatten.
Simon störte der mangelnde Enthusiasmus, den sie ihm gegenüber aufbrachten, nicht im Geringsten. Im Gegenteil, für ihn gab es nichts Spannenderes, als einen Weg zu finden, sie dazu zu bringen, sich mit ihm abzugeben. Das war für ihn ein Spiel und das spielte er mit Begeisterung und Leidenschaft. Und er hatte sehr schnell bemerkt, dass sein Taufpate immer bereit war, zuzuhören, wenn er von einem gemeinsamen Ausflug mit Hetty und seinem Vater berichtete. Da er Kai schlichtweg vergötterte und es für ihn das Allerschönste war, wenn der sich für ihn Zeit nahm, war das eine wunderbare Möglichkeit, ihn ganz für sich alleine zu haben. Und so war es ihm zu einer lieben Gewohnheit geworden, sobald er zurück war, Kai aufzulauern und ihn zu fragen, ob er wissen wolle, was heute so los gewesen war. Wenn der dann nickte und er sich zu ihm setzen durfte, war er überglücklich und berichtete äußerst detailliert von seinen Erlebnissen, um ja seinen Aufenthalt bei Kai auf ein Maximum auszudehnen.
Auf diese Weise hatte Kai dann auch erfahren, dass seine Freundin sich hin und wieder zu der Erwiderung eines Kusses von Patrick hinreißen ließ. Und auch wenn sonst nicht mehr passierte, dann war das für ihn ein sicherer Hinweis, dass er sich keinesfalls beruhigt zurücklehnen sollte.
Schließlich hatte er ein gutes Gedächtnis und so konnte er sich nur zu gut an ein lange zurückliegendes Gespräch mit dem Jungen erinnern, bei dem dieser ihn amüsiert gefragt hatte. »Wie konnte sie nur glauben, dass ich es bei einem Kuss belassen würde?«
Solange Simon dabei war, würde es bei einem Kuss bleiben, aber Kai war sich absolut sicher, dass Patrick wenn sich die Gelegenheit ergab, zu seinem alten Motto zurückkehren würde. Und obwohl er Hetty jederzeit sein Leben anvertraut hätte, sobald es um Patrick ging, konnte er sich nur darauf verlassen, dass er sich eben nicht darauf verlassen konnte, dass sie sich an die vorgegebenen Regeln hielt.
Kapitel 2
Trotz seiner Vorbehalte, verlief der Abend äußerst angenehm. Was allerdings kein großes Wunder war – schließlich saßen hier am Tisch lauter Menschen, die sich mochten. Hetty, Patrick und Hashimoto sorgten für die Unterhaltung und die Runde wurde immer vergnügter. Leider war die Klimaanlage des Lokals reichlich überlastet und verlor schließlich den Kampf um die Erzeugung eines Wohlfühlklimas gegen die hochsommerlichen Temperaturen, die auch noch in der Nacht hier in Brisbane herrschten.
Susi wedelte mit den Händen und stöhnte leise auf. »Ich geh mal eine Runde an die frische Luft, hier drin schwitze ich mich zu Tode.«
Hetty schloss sich ihr an und verkündete den Zurückbleibenden. »Wir sind bald wieder da!«
Auf der Suche nach Abkühlung sahen sie, dass die rückwärtige Türe des Lokals offen stand.
Hetty riskierte einen Blick nach draußen und meinte dann, während sie Susi winkte. »Hier sind wir genau richtig!«
Praktischerweise grenzte das Lokal an einen Sportplatz mit einer großen Rasenfläche, die von einer roten Tartanbahn umschlossen war. Draußen wehte ein laues Lüftchen und die angenehme Brise war genau das, was sie jetzt zur Abkühlung brauchten. Also zögerten sie nicht lange und traten ins Freie.
»Hier haben wir ja wohl genügend Auslauf!« Susi breitete die Arme aus und drehte sich im Kreis. »Mann ist mir heiß!«
Hetty sah ihr lachend zu und hob dann lauschend den Kopf. »Was ist denn da vorne los?«
Sie zeigte auf eine hell erleuchtete Sporthalle auf der anderen Seite des Platzes, aus der Musik zu hören war.
Читать дальше