»Wir sollten unbedingt verhindern, dass zum Beispiel diese Unmengen an Munition hier der nächsten Bande in die Hände fallen.«
Die Tarnfarbe fürs Gesicht stelle ich zurück ins Regal und nehme mir stattdessen eine Survial-Hängematte heraus. Ob wir die gebrauchen könnten?
»Hallo! Wiki! Irgendwelche Ideen?«
Ich knalle das Ding zurück ins Regal.
»Ja, ja! Ich überlege schon!«
Mein Blick fällt auf die Hintertür. Der Schüssel steckt, wir gehen durch und landen in einem gemeinsamen Hinterhof mit der Reinigung nebenan.
»Würdest du in eine Wäscherei gehen, um zu plündern?«, frage ich Marc nachdenklich.
»Eher nicht.«
»Okay, es ist zwar keine ideale Lösung, aber besser als der Istzustand.«
»Was hast du vor?«
Ich breche mit meinem nützlichen Stemmeisen gewaltsam die Hintertür der Reinigung auf. Diese Tür ist natürlich bei Weitem nicht so gut gesichert wie die vom Waffenladen. Ich schnappe mir von dort einen der großen Wäschewagen. Das sind im Prinzip riesige Gitterkörbe auf Rädern, ausgekleidet mit Stoff. Zusammen schieben wir den Wäschewagen ins Waffengeschäft und werfen alles rein, was kein Hellhound in die Finger bekommen soll. Zurück in der Reinigung fahren wir unsere Ladung in den Raum, wo die überdimensionalen Waschmaschinen und Trockner stehen. In die packen wir das ganze Zeug und legen jeweils zwei, drei Betttücher so davor, sodass durch die kleinen Glasöffnungen, die wie Bullaugen aussehen, nichts vom tatsächlichen Inhalt zu erkennen ist.
»Hoffen wir, dass wirklich keiner hier nach brauchbaren Sachen sucht.«
Später statten wir der Apotheke des Städtchens noch einen Besuch ab. Leider finden wir trotz intensiver Suche gar nichts, um einen Gips für Nixis Bein zu fabrizieren. Ein paar andere, nützliche Dinge packen wir aber ein. Der Anhänger ist inzwischen haushoch beladen, daher beschließen wir, den Rückweg anzutreten.
Weil ich nichts Zweckmäßigeres habe, binde ich mit Mullbinden aus der Apotheke unsere Schätze auf dem Anhänger halbwegs fest, bevor wir abfahren.
Auf dem Heimweg entdecke ich plötzlich das große Türschild eines Veterinärs.
»Halt an, Marc!«, rufe ich, um den Lärm der Maschine zu übertönen, und zeige auf das Schild.
»Dein Ernst?«, fragt er über die Schulter.
»Tierärzte gipsen doch auch! Hunde zum Beispiel!«
Er stellt den Motor ab und tatsächlich werden wir bald fündig: Material zum Eingipsen. Ich hätte gern noch das Hundefutter mitgenommen. Dummerweise hat der Anhänger keine hohen Seitenränder und der riesige Berg darauf schwankt eh schon in den Kurven und droht runterzufallen.
Marc betrachtet mit gerunzelter Stirn unseren überladenen Autoanhänger, dessen Anhängerkupplung nur mangelhaft mittels Seil am Zweirad verknotet ist.
»Jessy, falls wir bald mehr Leute im Dorf sind, müssen wir unbedingt ein vernünftiges Transportmittel finden, um alles Nützliche für den Winter einzusammeln.«
Als wir zurück nach Espoir fahren, fühle ich mich regelrecht euphorisch. Es ist, als hätte ich zum Sommerschlussverkauf Geld geschenkt bekommen und ein tolles Schnäppchen nach dem anderen gefunden. Und im Stillen hoffe ich, dass Nixi sich auch über das eine oder andere freut. Nach dem ganzen Horror, den sie durchgemacht hat, würde ich ihr so gern eine kleine Freude bereiten.
Kaum aus dem Städtchen heraus, passieren wir die Stelle, wo Marc mich das erste Mal vor den Hellhounds gerettet hat. Wegen mir hat er sich dort den Bauchschuss eingefangen, wurde bewusstlos und wäre beinahe verblutet. Ich hatte in aller Eile fast mein ganzes Hab und Gut vom Autoanhänger geworfen, um ihn aufzuladen und bei der Apotheke laienhaft zu verarzten.
»Marc! Kannst du bitte noch mal kurz halten?«
Er steigt mit ab und hilft mir suchen. Leider haben Wind und Regen meine Habseligkeiten inzwischen zerstreut und teils ruiniert. Als ich die völlig aufgeweichten Packungen mit Mehl, Salz und Tee sehe, bin ich den Tränen nahe. Schniefend sammle ich ein paar nach wie vor brauchbare Dinge ein.
»Schau mal, Jessy! Ich hab in Folie verpackte Trockenhefe und Rosinen, dazu noch Barbecuegewürz gefunden.«
»Barbecue«, seufze ich. »Das weckt Erinnerungen.«
Wie auf Kommando knurrt mein Magen laut. Kein Wunder, inzwischen ist es ja schon später Nachmittag. Und was wir heute Abend essen, wissen wir noch nicht und Nixi hat leider kein Fettpolster mehr auf den Rippen. Tja, spindeldürr zu sein, ist in diesen Zeiten gar nicht erstrebenswert, Reserven zu haben, dagegen lebenswichtig!
Bevor wir aufbrechen, sucht Marc die Umgebung mit seinem Fernglas ab. Die Gefahr von skrupellosen Plünderern ist nie gebannt, und wie wir gehört haben, tauchen womöglich diese Jailhounds auf. Allein die Vorstellung sorgt dafür, dass mein Magen sich zusammenkrampft und mir speiübel wird.
»Ich hab was entdeckt!«, ruft Marc.
Mein Puls schießt augenblicklich in die Höhe.
Mein Blick heftet sich sofort auf den total überladenen Anhänger.
Können wir schnell genug flüchten, um unsere Haut zu retten?
Warum habe ich mir die Pistole aus dem Waffengeschäft nicht gleich hinten in den Hosenbund gesteckt, sondern im Anhänger verstaut?! Wir sind hier schließlich nicht auf einem Sonntagsausflug! Die Pistole unter diesem Berg schnell wiederzufinden, ist hoffnungslos.
Hektisch sehe ich mich nach dem besten Fluchtweg um.
»Aus welcher Richtung kommen die Hellhounds?!«, schreie ich in heller Panik.
Er nimmt das Fernglas herunter und schaut mich entgeistert an.
»Ich habe nichts von Hellhounds gesagt. Da ist eine verletzte Kuh.«
»Eine Kuh?! Bloß eine Kuh?!« Mir gehen die Nerven durch und ich boxe ihn kräftig in die Schulter. »Hast du einen Knall? Willst du, dass ich einen Herzinfarkt kriege!«
»Du mutierst gerade wieder zur Zicke«, stößt Marc genervt aus – und er mag keine Zicken, das hat er von Anfang an sehr deutlich gemacht.
»Ach ja?! Wie du weißt, werde ich zur Zicke, wenn ich eine Scheißangst habe!«
Ich wende mich ab, stütze heftig atmend meine Hände auf die Oberschenkel.
»Ich brauch ’ne Minute, um runterzukommen.«
Leider ist das gar nicht so leicht, wenn einem das Adrenalin durch die Adern rauscht. Und ich will es mir mit ihm nicht verderben. Der Ausrutscher gerade eben war schon mehr als genug.
»Am besten fährst du voraus, Marc. Ich komme zu Fuß hinterher.«
»Es ist zwar nicht weit bis zur Kuh, aber klug ist es nicht, wenn wir uns trennen.«
Mit einem Blick über die Schultern fahre ich ihn an: »Möchtest du lieber erleben, wie ich von der Zicke zur Furie mutiere?«
Beschwichtigend hebt er seine Hände.
»Reg dich ab, ich fahr ja schon.«
Meine Nerven werden immer dünner.
Ich werde meine Angst einfach nicht mehr los.
Nur in Marcs Armen kann ich sie für kurze Zeit vergessen, aber was Männer angeht, bin ich eben ziemlich angeknackst. Außerdem wäre es lebensgefährlich für mich, schwanger zu werden. Nach der Aussage meines früheren Arztes bräuchte ich dann höchstwahrscheinlich einen Kaiserschnitt. Das eine Mal, bei dem wir ungeschützten Sex hatten, war daher bereits einmal zu viel.
Als ich Marc davonfahren sehe, bekomme ich ein ungutes Gefühl.
War eine blöde Idee von mir, dass wir uns trennen!
Statt gemütlich zu laufen, fange ich an zu joggen.
Kampf oder Flucht, heißt es doch so schön, wenn es um den Sinn von Stress beziehungsweise Adrenalin geht. Besser Flucht als Kampf mit Marc. Ich brauche ihn nämlich, auch für mein Herz.
Und als ich japsend und mit Seitenstechen bei Marc ankomme, weiß ich zwar, dass ich eine Niete im Joggen bin, aber gegen Stress hilft es tatsächlich. Mein innerer Alarmzustand ist vorüber – vielleicht auch nur, weil mein Hirn durch die totale Verausgabung nicht mehr genug Sauerstoff bekommt, um darüber nachzudenken. Soll mir auch recht sein!
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