Marc hat den antiken Holzherd, der gut in ein Bauernmuseum passen würde, angefeuert und inzwischen Kaffee für uns zubereitet. Als Nixi mir eine Tasse einschenkt, greife ich sie mit beiden Händen, schließe die Augen und atme den herrlichen Duft ein. Danke! , dringt es tief aus meiner Seele, bevor ich die Augen wieder öffne.
Von meiner Ausbeute aus dem Hühnerstall hat Marc Rühreier gemacht, die er uns gerade von der Pfanne auf die Teller schiebt. Dazu gibt es die letzten Scheiben von Bertas Brot.
»Ich weiß, das Brot ist schon etwas hart«, entschuldige ich mich bei Nixi und scherze: »Aber der Bäcker hat einfach das Handtuch geworfen, weil’s keinen Strom mehr für seinen Backofen gab.«
In Wahrheit bin ich natürlich selig, überhaupt echtes Brot essen zu dürfen. Knäckebrot war seit Langem das höchste der Gefühle. Über einem Lagerfeuer oder mit einem Campingkocher bekommt man Brot nämlich nicht gebacken – im wahrsten Sinne des Wortes. Und Bäcker sind sprichwörtlich ausgestorben wie die meisten Menschen. Marc ist Elektriker, welche Ironie in einer Zeit, wo es weder Strom, noch intakte Elektronik mehr gibt! Und ich bin Bürokauffrau. Unsere Berufe sind also völlig nutzlos in dieser veränderten Welt. Ehrlich: Frisches Brot war für mich früher selbstverständlich, heutzutage ist es himmlischer Genuss.
»Tja, Nixi«, versuche ich mich weiter in Humor. »Du kennst nicht zufällig einen Bäcker? Bei uns ist ’ne Stelle frei.«
»Die Benutzung des mittelalterlichen Brotbackofens vor dem Dorf wird nicht in Rechnung gestellt. Da kann man an frischer Luft arbeiten. Und Brennholz würden wir frei Haus liefern«, ergänzt Marc grinsend.
»Und für den Anfang hätten wir sogar noch eine Brotbackmischung zu bieten.« Eines meiner wenigen Nahrungsmittel, die unsere zweimalige Flucht überstanden hat.
Nixi sieht mich für einen Moment verdutzt an und ich denke schon, dass mein Scherz schlecht bei ihr angekommen ist. Aber dann zeigt sich bei ihr ein kleines Lächeln trotz ihrer aufgesprungenen Lippe.
»Ich bin Bäckerin.«
Marc und mir fällt fast die Kinnlade zu Boden.
»Im Ernst?«
»Der Gesellenbrief hängt zu Hause.«
Marc pfeift anerkennend.
Sofort sehe ich frisches, weiches Brot vor meinem inneren Auge, meine, den Duft von warmen Brötchen zu riechen. Das Wasser läuft mir im Mund zusammen.
»Könntest du denn mit einem mittelalterlichen Brotbackofen überhaupt zurechtkommen?«
»Ich weiß nicht«, erklärt sie nachdenklich und ist gleich ganz in der Materie. »Das Problem wird vermutlich, die richtige Temperatur über einen bestimmten Zeitraum zu halten. Aber ich würde es gern versuchen. Was ist schon ein Leben ohne frisches Brot?«
»Du wärst mein Held!«
»Mit dem Bein kann sie aber nicht draußen rumhantieren. Sie ist vorhin auch nur mit meiner Hilfe hier an den Tisch gekommen«, gibt Marc zu bedenken. »Wir müssten das erst gipsen.«
»Aber sitzen kriege ich hin!«, protestiert sie. »Und wenn ihr mir Holz und Wasser bringt sowie eine Schüssel und die Zutaten auf den Tisch stellt, versuche ich heute mein Bestes, um hier in der Küche aus der Brotbackmischung Brötchen herzustellen. Entweder backe ich die auf eurem vorsintflutlichen Holzherd in einer Pfanne mit Deckel drüber auf oder im Backofenteil dieses antiken Stückes.«
Ich spüre, dass Nixi versucht, sich als nützlich für uns zu erweisen, damit wir nicht bereuen, sie hier aufgenommen zu haben. Früher hätte ich jemand mit Beinbruch ausgeschimpft und darauf bestanden, dass man mit gebrochenem Knochen auf der Couch bleibt, aber die Zeiten haben sich leider geändert.
»Das wäre prima, Nixi! Du sagst mir, was du brauchst, und ich bringe dir alles an den Tisch. Und an den Herd stellen wir dir einfach einen Stuhl.«
Marc wirft mir einen ernsten Blick zu und ermahnt Nixi dann: »Aber übernimm dich nicht! Du hast ’ne Menge hinter dir.«
»Ich will nicht darüber reden, vor allem nicht daran denken müssen und Arbeit hilft mir sicher dabei«, erwidert sie stur und ballt ihre Fäuste, deren Knöchel durch ihre Abwehr aufgeschürft wurden.
»Falls du noch mehr Arbeit möchtest, schreib Karten für unsere Luftballons und lass sie steigen.«
Sie schaut mich an, als ob ich irre wäre. Ihr Gesichtsausdruck ist zum Schießen!
Marc grinst breit und zeigt mit dem Daumen auf mich: »Ja, die verrückten Ideen kommen definitiv von ihr.«
Seinen Kommentar ignorierend, erkläre ich ihr in aller Sachlichkeit die Einzelheiten meiner Idee, gasgefüllte Ballons steigen zu lassen …
»… Es gibt schließlich keine Post, kein Internet und kein Telefon. Und auf der Karte sollte auch so was stehen wie: Wenn ihr bereit seid, fleißig zu arbeiten, dann kommt nach Espoir und wir bringen uns gemeinsam durch den Winter. Wir brauchen nämlich keine Faulenzer, die sich nur durchfüttern lassen wollen.«
Kaum ausgesprochen, wird mir klar, dass Nixi das vielleicht persönlich nimmt.
Bevor ich allerdings Gelegenheit habe, darauf zu reagieren, rückt Marc mit seinen Zweifeln heraus: »Dieser Schuss kann aber auch nach hinten losgehen, falls eine Karte den Hellhounds in die Hände fällt. Das ist ein Risiko.«
Ich will den Einwand nicht hören, habe es so satt, ständig an das Damoklesschwert über uns denken. Ich halte diese immerwährende Angst kaum noch aus!
»Diese Gefahr droht uns doch schon die ganze Zeit, Marc! An jedem einzelnen Tag! Außerdem hast gerade du vor Kurzem noch argumentiert, dass unsere Stärke auch in der Einwohnerzahl liegen würde. Trotz der hohen Mauern hätten wir drei keine Chance, einem dauerhaften Angriff von Hellhounds standzuhalten.«
»Wow, sie hört mal auf mich.«
Aber es scheint ihm nicht zu gefallen. Kopfschüttelnd stößt er die Luft aus, lehnt sich im Stuhl zurück und fährt sich durch die Haare.
»Stärke durch Überzahl – das ist leider eine Tatsache. Und die riesigen Felder mit Weizen, Hafer und Mais um das Dorf von Hand abzuernten, Heu für das Vieh zu machen und nächstes Jahr alles neu zu bewirtschaften, ist eine Herkulesaufgabe. Die Maschinen sind ja da«, überlegt er weiter. »Womöglich würde ich es mit einem Mechaniker fertigbringen, den Schaden durch die EMP-Wellen zu beheben. Wenn wir wenigstens einen der uralten Traktoren wieder in Gang bringen könnten! Die haben nicht viel Elektronik. Aber das Wichtigste zuerst: Ich muss heute dringend Munition und Waffen besorgen. Wir haben nur noch Patronen für die Schrotflinte.«
Ich fahre abrupt vom Stuhl hoch.
»Aber die Hellhounds sind noch in der Nähe!«
Er seufzt. »Es muss aber sein, Jessy.«
Und schon jetzt habe ich eine Scheißangst um ihn!
»Dann komme ich mit!«
Bevor wir losfuhren, mussten Marc und ich noch eine schwere Aufgabe erledigen: Wir haben Bertas Leiche draußen vor dem Dorf verbrannt und ich habe dabei die ganze Zeit geheult.
Ihre Liebenswürdigkeit werde ich nie vergessen. Als sie spürte, dass es mit ihr zu Ende ging, hat sie mir mit ihrer letzten Kraft noch alles gezeigt und erklärt, damit wir hier den Winter überleben. Ich werde sicher oft an sie denken, und sobald Zeit ist, mache ich ein Holzkreuz mit ihrem Namen und stecke es im Dorffriedhof in die Erde.
Anschließend habe ich aus der Prospektklappe am Rathaus alle Postkarten mitgenommen. »Besuchen Sie Espoir« steht da auf einer idyllisch gemalten Landkarte, die mit kleinen Fotos von unserem Bauernhofmuseum, dem Brotbackofen usw. ergänzt ist. Im Haus des Luftballonmanns – wie wir ihn als Kinder genannt haben – fand ich tatsächlich noch eine Flasche Helium und Luftballons. Das ganze Zeug steht jetzt in der Wohnküche bei Nixi. Ihr haben wir genug Schmerzmittel und sogar die Schrotflinte dagelassen, weil sie furchtbare Angst hatte, und das kann ich echt verstehen. Cäsar ist im Hof geblieben und hält dort hoffentlich Wache. Bei seinem alten Zuhause hat er diese Aufgabe hervorragend erfüllt.
Читать дальше