»Heinrich, und wen hast du uns an diesem schönen Tag noch mitgebracht, wie es scheint, ein junger Diener unserer aller Mutter Kirche?«
Es entstand ein kurzes betretenes Schweigen, denn plötzlich merkte Cornelius, dass er es bis jetzt versäumt hatte, Herrn Grünbaum offiziell seinen vollen Namen zu nennen. Es war so bequem, nur immer mit Hochwürden angeredet zu werden. Geschwind überbrückte Cornelius diese etwas peinliche Situation.
»Darf ich mich vorstellen, Señor Rodriguez, ich bin Cornelius, Reverendo Cornelius, und Herr Grünbaum hatte die große Güte mich auf seiner Landpartie mitzunehmen. Das ist meine erste Gelegenheit ihre beeindruckende Landschaft zu erleben, weg und raus von Panama Stadt. Eine Zuckerrohrplantage habe ich sowieso noch nie gesehen, geschweige denn, eine so prächtige und große. Ich muss gestehen, das ist für mich eine ganz neue Welt.«
»Fernando,« ergänzte Grünbaum, « Sacerdote Cornelius ist noch nicht lange in unserem Land, er kommt aus Deutschland, man könnte sagen, er ist ein Landsmann von mir, obwohl weder ich selbst, noch mein verstorbener Vater das alte Europa seit der Ankunft meines Großvaters in Panama je besucht haben. Er ist erst vor kurzem von unserem Bischof geweiht worden und wartet nun auf seine erste Pfarrstelle.«
»Oh, Jesus,« platzte da der spanische Grande heraus.
Nach allem, was Cornelius während der Dreistunden-Fahrt schon gelernt hatte, hütete er sich den Farmer zu fragen, was er mit dem Ausspruch gemeint haben könnte. stattdessen bat der rundliche Hausherr, der seine graumelierten, langen Haare in einem kurzen Pferdeschwanz am Hinterkopf zusammengebunden hatte, von der Veranda in das Speisezimmer einzutreten, wo zur Freude der beiden Gäste schon die Hausherrin auf sie wartete, gekleidet in eine bis zu den Fußknöcheln reichende, weiße, sparsam mit bunten Blumen bestickte Pollera Robe. Dies war ein an Erlebnissen reicher Tag für Cornelius. Er hatte bereits Bilder des traditionellen Kleidungsstückes der noblen Damenwelt Panamas gesehen, aber noch nie in natura. Normalerweise benutzten die feinen Damen ihre Pollera nur zu besonderen Anlässen. Der offensichtlich seltene Besuch von Gästen auf der Hazienda aus der Stadt war willkommene Gelegenheit genug, das gute Stück zu Ehren der Besucher aus dem Schrank zu holen.
Mehrere Sirvientes warteten bereits, dass man sich zu Tische setzte, um die Speisen aufzutragen. Kein Mittagessen durfte starten ohne die traditionelle, leichte, fein gewürzte Gemüsesuppe. Dieses nur lauwarme Entrée in Temperatur der Schwüle des Tages angepasst, machte richtig Laune auf Kommendes. Und tatsächlich wurde mit einer gewissen Dramaturgie der nächste Menügang vorsichtig von der Köchin auf den Tisch gestellt. Cornelius wäre beinahe beim Anblick aufgesprungen. Vor ihnen dampfte und duftete ein bestimmt fünf Kilo schwerer Vogel in köstlich knusprig goldgelber Schale. Das war kein Huhn, kein Hahn, viel zu groß, viel zu schwer dafür, es hatte auch nicht die Gestalt einer Gans. Alle am Tisch merkten Cornelius' Verwirrung, wollten ihn aber auch nicht in Verlegenheit bringen. Geschwind nahm die Hausherrin die Situation in die Hand und erklärte:
»Wir lieben das feine Fleisch eines Kapauns und halten uns nicht an die Gepflogenheit, unsere Hähne nur zum Zelebrieren des Weihnachtfestes zu kastrieren und zu mästen. Wir nehmen, so häufig es geht, jede besondere Gelegenheit wahr, wie heute mit Ihnen, uns dieses genüssliche Vergnügen zu gönnen. Dieses Mal hat unsere Köchin das Vöglein mit Süßkartoffeln gefüllt. Ich hoffe, Sie mögen dazu frische Avocados und grünen Papayasalat. Komm Fernando, sei ein Schatz, zerteile unser Festmahl zur Ehre unserer Gäste und im Namen des Herrn. Lieber Vater Cornelius, bestimmt wollen Sie für uns alle ein Dankgebet sprechen!«
Und fürwahr, auf alle wartete ein wahrer Hochgenuss. Die Süßkartoffeln hatten einen Teil des überschüssigen Fettes unter der Haut des Kapauns aufgesaugt. Der Rest war fein marmoriert im Fleisch verteilt, wodurch die Gewürze wundervoll aufgenommen wurden und der Braten nicht austrocknete. Ungeniert griff man beherzt nach den saftigen Fleischstücken. So fiel es auch nicht schwer mit den fetttriefenden Händen nach den gerösteten, in Butter gedrehten Maisschoten zu greifen und mit kräftigem Biss die milchzarten Körner zu lösen. Das ungewöhnliche Aroma der Passionsfrucht ergänzte mit ihrem Saft, gemischt mit einem Schuss Rum, hervorragend den Schmaus. Als Nachtisch gab es frische Ananasscheiben, in Honig geröstete Kochbananen und Karamellpudding.
Am Ende wurden Hände und Mund mit großen Servietten abgewischt und gleichzeitig versteckt auch das feucht-nasse Gesicht betupft. Die Dame des Hauses hatte sich dezent in ihr Boudoir zum Pudern zurückgezogen, wohl auch um das Männergespräch nicht zu stören. Der Gutsherr komplimentierte seine Gäste auf die Veranda zu starkem Kaffee und einer guten Havanna-Zigarre. Die Erinnerung an diese Siesta wurde fortan, lebenslang für Cornelius - ob in Wohlstand oder Elend - die große Liebe, das vollendete Wohlgefühl, die geheime Verführung und Leidenschaft - Kaffee und eine gute Zigarre - wenigstens eine pro Tag!
Unnötige Gespräche lenkten nur von der Hingabe an ein gutes Mahl ab. So hatte man beim Kapaun nicht viel gesprochen. Dazu war nun um so mehr Muße auf der Veranda.
»Vater, Sie wollen bestimmt etwas über meine Farm wissen? Also, die Rodriguez bewirtschaften dieses Land schon seit Menschengedenken. Na, ich will nicht übertreiben, das heißt natürlich nicht ganz so lange, aber nun doch schon beinahe vierhundert Jahre. Nachdem Colón, Ihr nennt ihn Columbus, erst einmal für die spanische Krone die ganze Region konfisziert hatte, brach Balboa zu seiner ersten Erkundung der Atlantikküste von Kolumbien gen Norden auf. Mein Vorfahr war ein Soldat in seinem Erkundungstrupp und wurde für seine Dienste mit einem großen Stück Land entlohnt, auf dem ich heute noch sitze. Für mein Zuckerrohr kann ich nur etwa 2000 Hektares nutzen, der Rest ist Weideland für meine Rinder – ich brauche ja jede Menge Ochsen – Zuggespanne für meine Erntewagen, zum Pflügen und für die sonstige Feldarbeit. Ich habe auch reichlich Sumpf, den ich vielleicht einmal entwässern werde. Da könnte man fabelhaft Reis anpflanzen. Mein Vater hatte natürlich noch Sklaven, aber das ist schon lange her. Nun arbeiten alle als Freie auf meiner Hazienda. Das sind - más o menos, por un garbanzo no se descompone la olla - auf einen mehr oder weniger kommt es nicht an, so etwa zweitausend Landarbeiter. Dazu noch die Arbeiter in der Zuckermühle. Ich habe nämlich genug, um mein eigenes Rohr zu pressen, beinahe das ganze Jahr durch. Habe sogar noch freie Kapazität für die Ernte der kleineren Farmen in der Gegend. Schauen Sie nur das herrliche Goldbraun meines Zuckers, schmeckt doch prächtig im Kaffee, oder?«
»Alle Arbeiter wohnen mit ihren Familien in sechs Camps auf der Farm, in Häusern, die ich für sie gebaut und ihnen kostenlos zur Verfügung stelle, solange sie bei mir arbeiten. Zu jedem Häuschen gehört ein kleiner Garten für Gemüse, Mais und ein paar Bananenstauden oder was auch immer. Die Kinder haben ihre Schule, die ich ermuntere auch zu besuchen, aber bitte schön, ganz ohne Zwang. Das sind ja alles freie Menschen. In jedem Camp stelle ich einen Kaufladen, in dem die Leute alles zu vernünftigen Preisen bekommen, was sie so fürs tägliche Leben brauchen. Notfalls auf Kredit, was mit dem Lohn verrechnet wird. Muss zugeben, so mancher steht ziemlich in der Kreide. Da die Läden mir gehören, kann ich vor allem den Alkoholkonsum kontrollieren. Auch auf den Hahnenkampf habe ich ein Auge. Das geht alles ganz gut, denn der Capataz, der Vorarbeiter, lebt zusammen mit seinen Leuten im Camp und berichtet mir über ungewöhnliche Vorfälle. Natürlich wählen die Leute ihren eigenen Vormann im Camp, der für ein gutes kommunales Leben sorgt. Habe eigentlich nie große Probleme gehabt, das kann ich ehrlich sagen, und vor allem keine Kriminalität. Alle wissen, die Konsequenz ist Rauswurf, und das will keiner so schnell riskieren.«
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