War die Ferienzeit vorbei, wurden die Appartement geputzt, rollten die hölzernen Läden herunter und die Stadt starb den schnellen, lautlosen Tod aller verlassenen Huren.
Nur noch der Wind heulte jaulend durch die planmäßig angelegten Straßen.
Die wenigen Monate aufgesetzten Lebens hatten nicht ausgereicht, dieser Siedlung auch nur eine Spur von Atmosphäre zu hinterlassen.
War das antike Narbonne erdrückend in seiner Lebendigkeit, hatte ich hier das Gefühl, in einer Geisterstadt zu stehen.
Es war, als ginge man durch die Kulisse eines Filmes, nachdem der Streifen abgedreht war.
Als käme man auf einen Bahnhof, kurz nachdem der Zug abgefahren war.
Die Stadt machte einen toten, leeren und sehr trostlosen Eindruck.
Yvonne war in einem der wenigen Hotels beschäftigt gewesen, die im Winter geöffnet waren.
Ich betrat dieses große, nobel aussehende Hotel, polierte mein Französisch auf, fragte am Empfangstisch aus kaltem Marmor nach.
Recht flott tauchte ein übrig gebliebenes Mädchen mit Nickelbrille auf, südländisch klein und zierlich,( Französische Kleidung passte mir erst ab Größe 42) , dass mir im heftigem Schwall sein Beileid aussprach. Als sie ihr Bedauern losgeworden war, begann die große Leere zu wachsen. Jene Leere, die hinter den Konversationen stand und darauf lauerte, das Narren sich nicht an die Regeln hielten.
Ich fragte, wo Yvonne gewohnt habe und ob ich ... ich brauchte nicht einmal auszusprechen, sie gab mir den Schlüssel und eine komplizierte Wegbeschreibung mit, kurze Zeit später stand ich wieder auf der Straße.
Die Polizei war bereits da gewesen, ich könne ruhig ausräumen.
Sie hatte nicht mal nach meinem Pass gefragt.
Sie betonte wie sehr alle Mitarbeiter Yvonnes Tod bedauerten, aber das niemand sie genügend gekannt habe, um sie identifizieren zu können.
Außerdem sprach sie von großem Glück, das SIE ( die tote Yvonne, nach dem Tod wurde sie namenlos ) so schnell aus dem Meer geborgen werden konnte.
Und das niemand verstehe, warum SIE Sowas ( bald würde ich alle Redewendungen drumherum kennen ) SOWAS getan habe.
Es gab zwei Themen, um die die Leute einen lächerlichen Spitzentanz aufführten. Das eine war SEX, das andere TOD.
Sprach man über eines dieser Themen, musste man schon ein gewisses Vorwissen besitzen, um zu kapieren, worum es eigentlich ging.
Ein Außerirdischer würde da vor einer Wand stehen.
Niemand sagte es einem klipp und klar.
Immer musste man es sich selber zusammenreimen.
Die Frau war eine versierte Hotelkraft, wirklich, sie konnte ausgezeichnet mit Fremden umgehen.
Ich war so fremd geblieben, ich hatte nicht mal gewagt zu fragen, ob Yvonne einen Freund, oder doch wenigstens Freunde gehabt habe.
Wahrscheinlich kannte ich die Antwort auch so.
Würde es mir anders gehen?
Hatte ich jemanden, der sich trauen würde, in mein totes Gesicht im Leichenschauhaus zu sehen und wagen würde, seinen Namen unter ein Papier zu setzen, als habe er ein Recht darauf, da zu stehen?
Yvonne war in einem der Bungalows dem Strand zu untergebracht gewesen. Die Hotelangestellte hatte mir erklärt, das sei eine der besseren Unterkünfte, weil der Chef Yvonne geschätzt hätte, sie sei ruhig und zuverlässig gewesen und ganz und gar vertrauenswürdig.
Sie hätte auch sagen könne, Yvonne sei brauchbar gewesen. Es hätte mich weniger schaudern gemacht.
Das Menschen in der Gesellschaft auf die eine oder andere Weise funktionieren müssen, war klar. Die meisten kapierten das zwar nicht, aber es klappte mit ihnen. Manche schwammen ein bisschen gegen den Strom, aber bei den wenigsten wurde es bemerkenswert.
Das Funktionieren bezog sich nicht nur auf die Arbeit, es erstreckte sich auch auf das Privatleben. Auch dort musste die eine oder andere Vereinbarung mit dem Leben gelten.
Yvonne hatte also auf der Arbeit gut funktioniert.
Man hatte ihr gesagt, was zu tun war und sie hatte es getan.
Was aber war mit ihrem Privatleben?
Hatte sie eines, das so gut verborgen war, das niemand davon wußte?
Die Hotelfrau konnte mir diese Frage nicht beantworten.
Sie hatte Yvonne nicht gut genug gekannt.
Niemand schien sie gut genug gekannt zu haben.
Wäre da irgend jemand gewesen .... was weiß ich, irgend jemand halt .... man hätte doch von ihm wissen müssen, nicht wahr?
Ich ging mit dem pfeifenden Wind, der Zeitungsschnipsel und kleine Fetzen verbrannten Papiers mutwillig durch die Straßen fegte, dem Strand zu. Der Wind wurde noch kälter und rauer, als ich den geringfügigen Schutz der niedrigen Bungalows verließ.
Die “Vorgärten” waren mit Sand bedeckt, ein paar mickrige, palmenartige Bäume ragten daraus hervor.
Ich schloss die Haustür auf, die sich nur durch die Nummer von den Türen der anderen verlassenen Wohnwürfel unterschied.
Hinter diesen Türen war NICHTS und NIEMAND.
Einen Moment dachte ich, mich getäuscht zu haben.
Das Zimmer, in dem ich stand, war genauso leer und unpersönlich wie mein eigenes Hotelzimmer.
Wenn man einen Raum betrat, spürte man doch, ob in diesem Zimmer jemand lebte, oder ob er sozusagen Frank und Frei für jeden Besucher war.
Herumliegende Kleider, persönliche Gegenstände, Blumen, irgendwas ....
Mir fiel ein, das die Hotelangestellte erwähnt hatte, Bilder aufzuhängen wäre nicht gestattet.
Schön. Was also taten andere Leute, um sich auszubreiten?
Waren auch Blumentöpfe VERBOTEN?
Yvonne schien es sogar zuviel Verantwortung gewesen zu sein, ein paar Grünpflanzen zu gießen.
Ich sah mich um.
Alles zweckmäßig, aufgeräumt, übersichtlich, sauber.
Die Schränke geschlossen, selbst Yvonnes Zahnbürste fand ich im Innern des Spiegelschränkchens.
Keine Kosmetik, nicht mal ein Lippenstift. Nur diese medizinische Hautcreme ohne Parfümzusatz. Die Hotelseife ... bekam sie die wie Bäckereiverkäuferinnen übrig gebliebene Teilchen gratis?
Mein Gott, ich hatte noch niemals zuvor ein so unpersönliches Zimmer betreten. Ich konnte kaum glauben, dass sie hier GELEBT hatte.
Ich konnte ja verstehen, nein, ich kannte Yvonne und konnte mir vorstellen, das sie alles aufräumte, bevor sie sich daran machte, sich zu ersäufen. Aber ehrlich. Diese Bude sah aus, als habe sie bereits vorher nicht mehr gelebt.
Schließlich öffnete ich die Schränke, aber es half nicht viel.
Yvonne hatte nur wenige Kleider, ein paar schwarze, lange Röcke und weiße Blusen. Die Schürzen wurden wohl vom Hotel gebügelt.
Im Nachttisch fand ich eine Bibel und ein paar historische Romane.
Nichts Anspruchvolles.
Ich begann damit, ihre Koffer aus dem Schrank zu nehmen und hinzustellen. Es waren drei billige Plastikkoffer. Vorsichtig nahm ich ein Kleid vom Haken, faltete es, legte es in den Koffer.
Ein braunes, langweiliges Kleid, hochgeschlossen und lang. Ich könnte wetten, sie hatte immer noch diese weiße Frotteeunterwäsche und die blickdichten Strumpfhosen. Ich zog eine Schublade auf. Gewonnen.
Und ihre Schuhe! Ausgetretene, verbrauchte Gesundheitslatschen. Schwarze, schnallenbewehrte Halbschuhe, die nicht einmal die Ahnung eines Knöchels sehen ließen.
Was sollte ich damit tun?
Ich nahm das nächste Kleid in die Hand, zögerte einen Moment, presste dann mein Gesicht hinein.
Ich erinnerte mich ....
Ich war Zwölf und fand ein Arbeitshemd von Papa. Ein rot- schwarzkariertes Holzfällerhemd mit Farbflecken darin, das er zum Anstreichen und Dreckigmachen anzog.
Ich presste die Nase hinein und konnte ihn fühlen.
Es war so, als würde er vor mir stehen, der Mann, der mich auf den Arm nahm und tröstete, auf mein angeschlagens Knie pustete.
Und Himmel, konnte dieser Mann lachen .... donnernd und schallend, sein ganzer Körper bebte dabei. Dieses Lachen war so gewaltig, dass man mitlachen musste, selbst wenn niemand wußte, weshalb.
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