Isara spuckte dem neuen König ins Gesicht, hob stolz ihren Kopf und ging den Wachen voran in die Stadt hinaus, dem Drachen und ihrem Tod entgegen.
Und als alle Menschen dem traurigen und schweigendem Zug zur Stadt hinaus folgten, blieb Yvara hinter einer Säule am Richtplatz versteckt zurück.
Als sie niemanden mehr sah, trat sie vor und griff in die gläserne Vase, nahm einen Zettel nach dem anderem heraus, faltete sie auf und sah auf jedem den gleichen Namen.
ISARA
ISARA
ISARA
Der neue König hatte die Zettel ausgetauscht, so dass es nur ein Opfer geben konnte.
Yvara nahm die Vase mit den falschen Losen, wollte vor die Tore laufen und den Betrug öffentlich machen.
Sie wollte ihre Schwester retten, sie wollte es ja .... aber da stellte sich ihr der neue König in den Weg.
Er sah die Vase mit den Beweisen und lachte sie aus.
”Wer würde DIR glauben, wenn sie nicht einmal Isara, der starken und mutigen Isara glauben? Sie ist die Tochter eures Vaters und sie wird sterben wie euer Vater. Aber du bist wie eure Mutter, du bist schwach in deinem Herzen. An mir kommst du nicht vorbei und das weißt du genau .... wenn du nicht schweigst und gehorsam bist, wird dir das selbe Schicksal widerfahren wie deiner Schwester. Wenn du nicht schweigst, werde ich deine Mutter töten, dann deine Schwester und am Ende dich.”
Yvara fiel die Vase aus den Händen, sie zerbrach auf dem Pflaster des Marktplatzes in tausend Stücke.
Die Zettel erfasste ein mutwilliger Wind und jagte sie husch, husch über die Stadtmauer hinaus in den gierigen Atem des Drachens hinein, sie wurden zu Ascheflöckchen, die mit dem nächsten Regen die fruchtbaren Äcker dunkel und bitter machten.
Draußen vor der Stadt erhob sich ein wildes Geschrei.
Der König achtete nicht mehr auf Yvara und lief zum Stadttor.
Dort erfuhr er, das Straßenjungen Isara den Dolch ihres Vaters zugesteckt hatten und es war ein Zauber in diesem Dolch.
Es hieß nämlich, das er seinen Träger, sofern dieser unschuldig und rein war, unbesiegbar machen würde.
Mit diesem Dolch zerschnitt Isara ihre Fesseln und als sie vor dem Drachen stand, dem gewaltigen, gepanzerten, feuerspeienden Drachen, warf sie den Dolch in sein Auge ..... und traf.
Der Drache heulte, kreischte, er bäumte sich auf, schlug mit seinen Schwingen, so dass sich ein gewaltiger Sturm erhob, der die Menschen durcheinander wirbelte. Er trat um sich und tötete, wer sich in Reichweite seiner Krallen befand. Er geiferte und kreischte, er hatte das Auge verloren, der Dolch hatte es herausgetrennt, es rollte die Straßen entlang, kullerte den Rinnstein entlang bis vor die Füße Yvaras, die ihren Mantel darum wickelte und es wegtrug.
Yvara kannte nämlich die Legende, die sich um das Auge des Drachens rankte und sie wollte es besitzen.
Isara aber lief davon, oder sie wurde davon gejagt, so genau wußte das hinterher niemand mehr.
Mochte sein, das die Menschen sich schämten, nachdem der Schrecken des Drachenangriffes verflogen war.
Es gab aber auch viele, die Isara verfluchten. Jene, die glaubten, sie hätten ein Recht gehabt, ein Menschenopfer aus ihrer Mitte zu losen, denen es wohl auch gleichgültig gewesen wäre, wenn sie gewusst hätten, das die Lose gefälscht waren, wenn sie sich nur ein ruhiges Leben damit erkaufen konnten.
Die junge Prinzessin musste fliehen und viele Menschen verfluchten ihren Namen und spuckten aus vor dem Platz, an dem sie sterben sollte und gekämpft hatte.
Ivara hatte zuviel Angst vor diesen Menschen und vor dem König, sie wagte nicht, den Betrug aufzudecken, auch wenn es die Freiheit und die Ehre ihrer Schwester kostete.
So war Isara ausgestoßen aus ihrer Stadt, sie konnte nicht mehr zurück zu ihrer Mutter, die als Königin hinter der Entscheidung ihres Mannes stehen musste.
Isara konnte nicht mehr zurück, sie floh in der Nacht, barfuß und nur mit dem Dolch ihres Vaters bewaffnet.
Flüchtete in die Fremde.
Lange Zeit hörte niemand mehr etwas von ihr.
Später gab es Gerüchte, eine gute und weise Frau, eine Heilerin, die von Ort zu Ort zog um die Wunden der Menschen zu behandeln, habe sie bei sich aufgenommen.
Yvara aber blieb in der Stadt zurück.
Längst hatte sie bereut, ihren Mantel auf das glitzernde Auge des Drachens geworfen zu haben.
Das Auge hatte sie noch lebend angesehen und die ganze Wut, der Schmerz und die Boshaftigkeit des Blickes hatten ihr die Lippen auf immer versiegelt.
Yvara konnte nicht mehr sprechen, weder Worte des Guten, noch des Bösen. Kein einziger Laut drang mehr aus ihrem Mund.
Der König konnte ganz ruhig sein, der Drache hatte dafür gesorgt, das Yvara über seinen Betrug mit den Losen schwieg. Sie konnte es nicht einmal ihrer Mutter sagen, ihr am allerwenigsten. Was hätte sie auch tun sollen, die arme Frau, die ganz und gar durch ihre Heirat dem neuen König ausgeliefert war?
Die Königin spürte aber, das ihre Familie zerbrochen war und das machte sie unglücklich und immer schwächer.
Yvara besaß nun das Auge des Drachens und sein Geheimnis.
Wenn sie im geheimen Dunkel ihres Zimmers den Mantel vom Auge wegzog, war es, als höbe sich ein Lid.
Nur, das es nicht heraussah, sondern hinein.
Yvara konnte alles auf der Welt sehen, was immer sie sehen wollte.
Jeden Ort auf der Erde, wie weit er auch entfernt war, die Sonnenauf- und Untergänge über Steppen und fruchtbaren Tälern, den Sand der Wüste, die Wellen des Meeres, die Bäume des Dschungels. Sie sah die Leben der Menschen, sah, wie sie liebten und hassten, geboren wurden, älter und erwachsen wurden, heiraten und Kinder bekamen, alt und schwach wurden, schließlich starben.
Sie sah viele Leben der Menschen, sie konnte nicht aufhören damit, fremden Menschen beim Leben zuzusehen, darüber vergaß sie ihr eigenes.
Der Blick in die Leben anderer Menschen war der Zauber, doch die Schwäche, es nicht genug sein zu lassen, war Ivaras Fehler, es raubte ihr die Kraft, ein eigenes Leben zu haben.
Und immer, wenn sie sah, wie sich Menschen in Schuld und Ängsten verstrickten, erinnerte sie sich an sich selbst .... und an Isara.
In diesen Momenten wußte sie, das sie sich in die Klauen des Drachens begeben hatte, einen eigenen, verderblichen Handel mit ihm geschlossen hatte. Dann wußte sie, das es nichts fruchtete, sich weit, weit weg in die Träume und Leben anderer Menschen zu wünschen und dafür ein eigenes Geschick aufzugeben.
Dann wünschte sie sich, Isara zu sehen, mit ihr zu sprechen, sie um Verzeihung und um Hilfe zu bitten.
Doch, wenn sie überall auf der Welt alles und jeden sehen konnte .... suchte sie nach ihrer Schwester, dann fand sie sie nicht.
Isara konnte sie nicht sehen, im Auge des Drachens, im Spiegel des Bösen.
Yvara hatte ihre Sprache verloren und ihr Interesse am eigenem Leben. Sie spürte, dass sie sich durch den Handel mit dem Drachen verloren hatte. Durch ihr Schweigen und die Sucht, durch sein Auge die Welt zu sehen.
Yvara wollte damit aufhören, doch sie konnte nicht.
Schließlich ging sie in ein großes Haus, in der gütige Frauen lebten, die ihr Gelübte wie Gehorsam, Schweigen und Bewahrung ihrer Tugend abnahmen, Gelübte, die sie, wie sie dachte, leicht einhalten konnte, wenn sie dafür nur Ruhe vor der Welt da draußen hatte.
Aber auch darin hatte sie sich getäuscht.
Die Jahre vergingen.
Yvara wurde erwachsen, sie verstand immer mehr, was sie getan hatte, was ihre Schuld war und ihre Schwäche.
Sie hörte nichts von ihrer Schwester und doch wußte sie seit längerer Zeit, das sie nicht für ewig in dem stillen Haus bleiben konnte.
Und eines Tages sah sie IHN.
Er trug das Gewand des stillen Hauses, sprach die Gebete und redete sanfte Dinge.
Doch als Yvara in seine Augen sah, erkannte sie etwas, das immer da gewesen war und sie verspottete und bedrohte.
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