Die im Mittelalter erzielte hohe Produktivität in der Landwirtschaft und die zunehmende Handelsaktivität waren die notwendigen Voraussetzungen für die gesellschaftliche Etablierung der Intellektuellen. In der Landwirtschaft wurde mit immer effektiveren Gerätschaften und Anbaumethoden gearbeitet, die Erfindung der Wassermühle und des Räderpfluges, die Verbesserung des Sielengeschirrs und der Übergang zur Dreifelderwirtschaft trugen zur Steigerung der Produktivität bei. Das Vorhandensein größerer Nahrungsmittelmengen führte zu einer starken Bevölkerungszunahme, was wiederum Anstoß zur Gründung neuer Dörfer und zur Urbarmachung bisher ungenutzter Areale gab.
Aufgrund des materiellen Fortschritt veränderten sich die sozialen Schichten, was zu einer strengeren Abgrenzung der Stände führte. Obwohl es zu einer zunehmenden Arbeitsteilung kam, stand die Art und Weise der Erwerbung des Lebensunterhalts nicht im Zusammenhang mit einer Unterschiedlichkeit der Menschen. Neue Erwerbsmöglichkeiten entwickelten sich, und die gesteigerte Produktion in der Landwirtschaft bildete die Grundlage für den Ausbau von Handel und Handwerk in größerem Maßstab. Im zu Ende gehenden Mittelalter war der bürgerliche Stand zu einem politischen Faktor geworden, der nicht ignoriert werden konnte. Das Zahlungsmittel Geld gewann langsam an Bedeutung, doch die Naturalwirtschaft war bis auf weiteres im Norden vorherrschend. Es ist nicht unwichtig, sich zu vergegenwärtigen. dass es ein marktwirtschaftliches System in heutigem Sinne erst seit dem Ende des 18. Jahrhunderts existiert. Dessen ungeachtet hat die Verbreitung des Geldes im Mittelalter entscheidend dazu beigetragen, dass sich der Beamtenapparat der Katholischen Kirche zu einem europäischen Machtfaktor entwickeln konnte.
Die Landbevölkerung in Dänemark konnte auch nicht länger als Einheit betrachtet werden, zwischen dem Bauernstand und dem Adel verlief eine scharfe Demarkationslinie. Während die Bauern das Land selbst bestellten, ließ der Adel andere dies für sich besorgen. Die Landaristokratie hatte außerdem Aufgaben im Staatsdienst übernommen und trug die Verantwortung für die Sicherheit des Reiches. Der Bauernstand geriet mehr und mehr in die Abhängigkeit des Adels, was zu wesentlichen Veränderungen der Grundbesitzverhältnisse führte.
Doch nun zur Stellung der Intellektuellen in der Gesellschaft. Wie schon erwähnt, stellten die Priester in der heidnischen Zeit keinen eigenen Stand dar. Priesterliche Funktionen waren nicht institutionalisiert, sondern wurden von Königen. Häuptlingen und Grossbauern ausgeübt. Mit der Christianisierung veränderten sich die Verhältnisse grundlegend. Die Institutionalisierung der christlichen Lehre erfolgte nach den damals fortschrittlichsten Organisationsprinzipien. Auf Grund des schwer verständlichen Inhalts und der komplizierten Rituale des Katholizismus konnten Gottesdienste nicht länger von Laien ausgeführt werden. Eine spezielle dafür ausgebildete Klasse musste sich gezwungenermaßen dieser Aufgabe annehmen. Die Existenz einer neuen Klasse ließ sich nun rechtfertigen.
Im Mittelalter spielten die geistlichen Intellektuellen eine bedeutende Rolle in der Gesellschaft. Worauf gründete sich ihre Macht? Man kann annehmen, dass sich ihre Macht auf Wissen und Fertigkeiten begründete, über welche andere Bevölkerungsgruppen nicht verfügten. Mit der Ausbreitung des Christentums und der Herausbildung der Geistlichkeit wurde die Kunst des Lesens und Schreibens verbreitet. Auch wenn Runensteine heute von der Existenz einer Schriftsprache im Norden vor der Christianisierung zeugen, kann kein Zweifel bestehen, dass die Schriftsprache erst mit der Etablierung der Kirche gesellschaftliche Bedeutung erlangte. Die Schriftmächtigen und wissenden Intellektuellen wurden mit der Zeit unentbehrlich für den Staat, der ständig neue Aufgaben übernahm. Beispielsweise wurde die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung zu einem öffentlichen Anliegen. Der Staat begann das Erwerbsleben zu regulieren. Auch der Handel mit dem Ausland musste teilweise über staatliche Behörden abgewickelt werden. Eine regelmäßige öffentliche Verwaltungstätigkeit wurde zur Notwendigkeit. Während der König die Hauptverantwortung für diese staatlichen Aktivitäten trug, wurden die Beamten jedoch zum größten Teil aus den Reihen der Geistlichkeit rekrutiert. Vor der Reformation kamen so gut wie alle untergeordneten Beamten aus geistlichen Kreisen.
Der Priesterschaft gelang es jedoch, nicht nur mit Hilfe von Sachbearbeitern und Schreibern, in der zentralen Administration Fuß zu fassen. Der Kanzler zum Beispiel war in der Regel ein Bischof. Nicht zu vergessen ist auch, dass die Sprache der Diplomaten Latein war, eine Sprache, die fast ausschließlich von Geistlichen beherrscht wurde. Hinzu kommt, dass administrative Stellungen als politische Werkzeuge benutzt wurden. Die Beamten fühlten sich als Vertreter ihrer Standesgenossen. Obwohl die ranghöchsten Administratoren offiziell den Status von Reichsbeamten hatten und damit das ganze Reich repräsentieren sollten, waren sie in Wirklichkeit Sprachrohr für die eigenen Standesinteressen.
In politischen Gremien verschafften sich die kirchlichen Intellektuellen ähnlichen Einfluss. Die Landsting, gesetzgebende und rechtssprechende Versammlungen freier, waffenführender Männer, Bauern und Bürger, verloren nach und nach an Bedeutung. Am Königshof bildete sich unterdessen eine Art Reichsbehörde heraus, die sich der Gesetzgebung bemächtigte. Später entwickelte sich diese zum Danehof, einer Reichsversammlung von Adligen und Geistlichen, und schließlich zu Beginn des 15. Jahrhunderts zum Reichsrat. Im Gegensatz zu den Landsting waren die späteren Institutionen reine aristokratische Versammlungen. Die Macht des Volkes war ausgeschaltet, obwohl der Reichsrat beanspruchte, Repräsentant des ganzen Volkes zu sein.
Im Reichsrat waren die Geistlichen das vorherrschende Element. Alle Bischöfe verfügten über einen Sitz im Rat, der Erzbischof fungierte als Präsident. Andere Intellektuelle im Reichsrat waren Domkapitulare und Klostervorsteher. Auf offiziellen Dokumenten werden Geistliche zuerst genannt, was als Ausdruck für ihre vorrangige Stellung gelten kann.
Die Geistlichen entwickelten ihre Macht im Mittelalter nicht zuletzt durch Beeinflussung und Manipulation.. Die Furcht der Menschen zu jener Zeit vor Gott und dem Teufel kann nicht genug hervorgehoben werden. Die Geistlichen lenkten den Glauben der Menschen auf das Leben im Jenseits, so dass diese ihr Erdendasein als beschwerliche Prüfungszeit betrachteten. Mit Wort und Schrift und vor allem mit grauenerregenden bildlichen Darstellungen von Tod und Höllenqualen erschütterten sie das Selbstvertrauen der Bevölkerung, deren Widerstandskraft gegenüber den ambitiösen Plänen des intellektuellen Standes auf diese Weise gelähmt wurde. Der Geistlichkeit gelang es fast vollkommen, die Menschen in ein starkes Abhängigkeitsverhältnis zur Kirche zu bringen. Die Priesterschaft hatte deutlich genug zu verstehen gegeben, dass nur die katholische Kirche Erlösung erwirken kann.
Zur Manipulation des menschlichen Bewusstseins standen den Geistlichen noch weitere Möglichkeiten zur Verfügung. Die Informationsmacht jener Zeit lag in ihren Händen, und sie waren die Träger der Kultur. Die lateinische Sprache war ihre gewaltige Waffe. Das Kommunikationsnetz innerhalb des Machtapparates der katholischen Kirche war für die damalige Zeit außerordentlich effektiv ausgebaut. In Europa fast das gesamte Wissen in den kirchlichen Institutionen konzentriert. Unter dem Druck religiöser Dogmen stagnierte die wissenschaftliche Entwicklung, gab es doch außerhalb des kirchlichen Hoheitsgebiets keine Alternative. Neue Erkenntnisse, die den autorisierten Wahrheiten widersprachen, wurden von der Inquisition bekämpft. Die katholische Kirche besaß aber nicht nur alles Wissen, sie verbreitete dieses auch.
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