Technische Handhabung
Um ein Legato technisch realisieren zu können, muss ich an drei grundlegenden Aspekten arbeiten: Zunge, Kiefer und dem kontinuierlichen Fluss des Atems. Um den 'ring' zu etablieren, muss sich die Zungein der 'ng'-Position befinden, d.h., die Zungenspitze liegt an den unteren Schneidezähnen, während die Zungenränder die oberen Backenzähne berühren. Mir ist bewusst, dass in Deutschland immer noch oft das Prinzip der flachen Zunge gelehrt wird, aber die Erfahrung zeigt, dass allein wenn diese 'ng'-Position die Heimat der Zunge wird, die offene Kehle gewährleistet ist. Die alten Schulen haben es immer so gelehrt. Der Kieferfällt entspannt nach unten hinten – wir wissen heute, dass sich in dieser Stellung die Stimmbänder optimal annähern können. Wenn das Kinn nach vorn drückt, werden die Stimmbänder auseinander gedrängt, die Folge ist die Unterbrechung des Tonstromes bis hin zum Zerbrechen des Registers. Gerade in der hohen Lage passiert dieses Vorwärts- schieben des Kiefers immer wieder, weil sich so der Klang nach innen wendet, und wir uns besser hören können. Wir opfern also das Legato oder sogar die Registerverblendung für die Absicherung unseres Hörens. Nach diesen zwei eher 'mechanischen' Faktoren fehlt noch der kontinuierliche Fluss des Atemsals Hauptmerkmal des strömenden Tones. Um den Atem ohne Schieben strömen zu lassen, haben sich einige Bilder in der Arbeit bewährt: Übungen auf -w-, wobei ich das Gefühl habe, die Luft verwirbelt sich in der Nase und presst sich nicht aus dem Mund heraus – es entsteht ein Klang wie beim Blasen auf einem Kamm mit Pergamentpapier. Dieser Klang lässt sich bis in die höchste Lage führen. Oder Tonleitern abwärts, die mit einem 'Seufzen durch die Nase' beginnen.
Textbehandlung
Ich lasse meine Studentinnen und Studenten immer wieder auf diesen Übungen in die Melodie gehen, damit sie das Gefühl der Klangbewegung in die Melodie mitnehmen, und den Text in dieses Gefühlintegrieren. Der Sänger muss wissen, dass die deutsche Sprache für die Verständlichkeit die Trennung von Wortende und neuem Wortbeginn benötigt – im Gegenteil zum Italienischen oder den angelsächsischen Sprachen. Es ist ein deutlicher Unterschied in der Qualität des Legato zu hören, wenn der Sänger deutsch oder englisch singt. Ich empfehle daher oft, Textphrasen auf Silben ohne Sinninhalt oder nicht in der Muttersprache zu singen, um dann zu versuchen, diese Stimmführung auch ins Deutsche zu übertragen.
Wirkung nach Außen
Ist der Sänger in der Lage, in dieser Weise seinen Klang zu führen, hat das spürbare Wirkung nach Außen: der Zuhörer wird von einer im Prinzip nicht endenden Strömung des 'sound' erfasst und kann durch diese Kraft emotional sehr berührt werden.Hier liegt auch eines der Geheimnisse der menschlichen Stimme, die auch berühren kann, wenn ich den Text nicht verstehe, oder wenn nicht einmal welcher benutzt wird: ein perfektes Legato trägt eine natürliche Dramatik in sich.
Zungenstellung und ihr Einfluss auf die Resonanz und Registerfunktion
In letzter Zeit hatte ich die Möglichkeit, mir alte Filmaufnahmen von Tenören aus der Schellack-Zeit (also von Caruso bis in die 40er Jahre) anzuschauen. Solche alten Dokumente zu studieren, erweist sich vom tech- nischen Aspekt her sehr aufschlussreich, weil man einen Ein- druck von sängerischen Traditionen bekommt, unabhängig von der Herkunft des jeweiligen Sängers. Als erstes lässt sich feststellen, dass unter der Phalanx großartiger Tenorstimmen viele Deutsche zu finden waren, gleichzeitig erfährt man, dass auch viele durch die politischen Verhältnisse der damaligen Zeit gezwungen wurden, ins Ausland auszuwandern – eine Entwicklung, deren Auswirkung wir, was die Sängertradition angeht, heute noch zu spüren haben. Da die Kamera sehr nahe an die Sänger heran kann, sind wir in der Lage, deutlich die technischen Vorgänge zu studieren: ins Augen fällt die Zungenposition, die bei nahezu allen Sängern identisch ist: sie bildet der Bogen der ng-Position, d.h., die Spitze berührt die unteren Schneidezähne während die Zungenränder an die oberen Backenzähne heranreichen.
Ng - Position oder flache Zunge?
Wenn man diese Filmausschnitte aus dem Zeitrum von gut vierzig Jahren verfolgt und immer wieder eine ähnlich charakteristische Zungenposition sieht, kommt die Frage auf, was diese Zungenposition bewirkt, und warum bei uns dagegen sooft die flache Zunge gelehrt wird? Viele Sänger kennen die extreme Übung, wo die Zunge sogar mit einem Löffel nach unten gedrückt (!) wird, um sie in der flachen Position zu halten. Nur wenn man von der Vorstellung ausgeht, dass ein großer Mundraum, aus dem die Zunge eben 'entfernt' werden muss, zu einem großen Klang führt, kann man diese Technik vertreten. Wir wissen doch aber, spätestens seit man diesen Vorgang sogar filmen kann, dass durch das Runterdrücken der hinteren Zunge der gesamte Rachenraum verengt wird, und der Schall nicht mehr den Nasenresonanzraum erreicht, der gut achtzig Prozent des gesamten Resonanzraums ausmacht: der Sänger singt somit an der wirklichen Kraft seines Klanges vorbei. Daher haben viele Sänger der alten Traditionen immer wieder diese ng-Position gewählt, die eine freie Kehle mit geweitetem Ansatzrohr gewährleistet.
Unterschiedliche, lebenswichtige Funktionen des Kehlkopfes
Da der Kehlkopf nicht nur für das Singen, sondern auch noch für zwei weitere lebenswichtige Funktionen – das Atmen und die Nahrungsaufnahme – zuständig ist, scheint dieser Region besondere psychologische Aufmerksamkeit zuzukommen, die daher auch vielen Manipulationen anheim fällt. Es wird mir in meiner Arbeit immer deutlicher bewusst, wie sehr die Zungenmuskulatur, die ja mit dem Kehlkopf verwachsen ist, nicht nur die Artikulation, sondern sogar die Registermischung und die Entscheidung über das Stimmfach beeinflusst.
Warum wird die flache Zunge gelehrt?
Wenn wir erkennen, wie sehr die Zungenmuskulatur die ganze Stimmgebung verändern kann und sehen können, mit welchen Mitteln ganze Sängergenerationen dagegen angehen, ergibt sich doch die Frage, warum die flache Zungenposition immer wieder gelehrt wird? Die einzige Erklärung kann sein, da die Stimme in dieser Funktion dicker und dunkler klingt: sie behauptet also einen professionellen Klang, der eigentlich aus dem Zusammen- schluss von Resonanzräumen und Körper kommen sollte - dass auf diese Weise eine Stimme schnell 'groß' gemacht werden soll. Sie hört sich für den Sänger selbst auch groß an, nur vermisst sie die Tragfähigkeit im großen Raum. Sollte es so sein, dass auch hier der Schnellebigkeit unserer Zeit Tribut gezollt wird, indem versucht wird, eine Stimme schnell zu einer Reife zu bringen, die ihr innerlich noch gar nicht gehört? Wahrlich ist das Erlernen der ng-Position der Zunge ein langwieriges Unterfangen, weil so jeder Vokal ein neues Gefühl bekommt, das mit den Wahrnehmungen aus der Sprechstimme nichts mehr zu tun hat: die Vokale erhalten einen viel größeren Raum und eine andere Position – was gewöhnungsbedürftig ist.
Beispiele aus der Arbeitsdisziplin
Einer meiner Studentinnen war in ihrer ersten Audition gesagt worden, sie klänge zu alt. (Da war sie aber noch nicht einmal 20!) Als wir die Arbeit aufnahmen, war ich lange unsicher, was die Bestimmung des Stimmfaches anging, bis ich sie einmal eine geschlagene Stunde alle Übungen mit heraushängender Zunge singen ließ, um den hinteren Teil der Zungenmuskulatur, auf den wir gar keinen willkürlichen Zugriff haben, aus der Kehle wegzubekommen: auf diese Weise wurde der Druck von den Stimmbändern selbst genommen, die Kehle erhielt die nötige Weite, und so etablierte sich ein großer, jugendlich dramatischer Sopran, was sich in der Registermischung in der Tiefe und dem Einmischen der Pfeifstimmfunktion über dem as'' bewies. Natürlich kann man nicht mit heraushängender Zunge auf der Bühne stehen, um die Kehle frei zu halten, die Zunge muss also irgendwie 'verstaut' werden, ohne die Kehlweite zu beeinträch- tigen: die einzige Möglichkeit bleibt daher die ng-Position als 'Heimat' der Zunge.
Читать дальше