Der subglottische Druck an den Stimmbändern
Die Stimmbänder sind durch ihre Stellung im Kehlkopf dafür prädestiniert, von der von unten nachdrängenden Luft aufgedrückt zu werden. Sie können nicht mehr richtig schließen, und das Zerbrechen der Register ist die Folge. Einen Ton zu 'stützen' heißt also, die Luft von den Stimmbändern wegzuhalten, so dass diese sich die Luft nehmen können, die sie brauchen, um in Schwingung zu geraten – und das ist immer weniger, als wir selbst denken. Wir erreichen das dadurch, dass wir auf muskulärer Ebene in die Ausatmung eine Einatmungsfunktion schalten. Wie ist das möglich?
Dafür gibt es einen Trick, der sehr hilfreich ist, um die körperliche Wahrnehmung für diesen komplexen Vorgang zu wecken: Ich lasse meine Schüler am Zeigefinger saugen und hierauf die körperliche Wahrnehmung beschreiben – nach kurzer Zeit ist klar, dass mit dem Saugen eine Spannung in der Zwischenrippenmuskultur einhergeht, der Brustkorb bewegt sich in die Dehnung. Dann lasse ich sie durch die Nase ein-und ausatmen, und sie stellen fest, dass trotz des Ein-und Ausatmens die Dehnungsspannung des Brustkorbes erhalten bleibt. Dies veranschaulicht den Vorgang etwas: der Sänger ist also in der Lage, beim Ausatmen die Dehnungsspannung des Einatmens beizubehalten, was eben zur Folge hat, dass die Luft nicht ungehindert gegen die Stimmbänder drückt, sondern sie vielmehr gebündelt wird – der Begriff 'auf dem Atem singen' beschreibt diese körperliche Wahrnehmung.
Echte Funktionen und ihre Kompensation
Hierfür setzt eine komplexe Muskulatur ein, deren Aktivierung wohl erst einmal als anstrengend empfunden wird, einfach, weil sie in keiner Weise trainiert worden ist: Aber wann immer diese Muskulatur nicht bewusst ist, greift die Hals- und Zungenmuskulatur kompensierend ein, und das Ergebnis ist ein unsicheres, brüchiges System, das wir nur durch seine Beschränkungen beschreiben können, weil diese Hilfsmuskulatur niemals die echten Funktionen ersetzen kann. Wollen wir die Muskeln, die für diesen Vorgang verantwortlich sind und vom Singenden unmittelbar zu spüren sind, noch kurz beschreiben:
Die untere Abdominal-Muskulatur, eine innere Muskulatur, die unter der Bauchnabelregion zu lokalisieren ist, arbeitet in einer nach innen, oben ziehenden Richtung, (wobei der Begriff 'Abdominal-Muskulatur' schon zeigt, dass Sänger nicht viel Umgang mit ihm zu haben scheinen: amerikanische Kollegen sagen hierzu einfach nur die 'abs'). Der Solar Plexus, jener empfindliche Nervenpunkt unter dem Brustbein, wo sich viele Nervenbahnen treffen, tritt in der Tongebung kontinuierlich nach außen. Wichtig ist, dass zu Beginn des Tones nicht ein Ruck des Solar Plexus in die äußerste Spannung erfolgt, sondern das der Ansatz sehr sanft (eben anlehnend) beginnt. Der Sänger verspürt während der Tongebung also eine „Wippbewegung“ von den Abdominals zum Solar Plexus. Weiterhin setzt die untere Flankenmuskulatur ein, und zwar in einer Bewegung nach außen, (dies ist deutlich zu spüren, wenn man sich mit dem Rücken an die Wand lehnt, die Füße etwas abgewinkelt, so dass der ganze Rücken an der Wand ruht, und man ein stimmhaftes -s- in die Wand hinein summt. Dies Gefühl muss in das normale Stehen mitgenommen werden. ('Der Sänger singt mit dem Rücken') Die Zwischenrippenmuskulatur hält die Einatmungsweite, das Sternum zeigt eine Tendenz nach vorne(nicht nach oben): hier auch wieder das Bild, das der Ton an die Muskulatur 'angelehnt' wird.
Eine höhere Ordnung im Muskelsystem
Diese vielschichtigen Funktionen müssen einzeln geübt werden, bis sie sich auf einer Ebene zusammenschließen, die der Sänger gar nicht mehr aktiv steuern kann: es entsteht eine höhere Ordnung, und der Sänger hat das Gefühl, hinter die Stimme 'zurückzutreten'. Der Einhängemechanismus des Kehlkopfes und dieser selbst können frei arbeiten und werden nicht mehr durch irgendwelche Manipulationen und Kompensationen der Kehle gestört.
Trotz allem ist dies noch eine vereinfachte Beschreibung der Vorgänge, es sind noch viel mehr Muskelfunktionen beteiligt, wichtig ist dabei, dass der Sänger die hier beschriebenen Funktionen deutlich wahrnehmen und damit abrufbar einsetzen und spüren kann, in welchem Maße der gesamte Körper der Bühnenstimme Halt gibt.
Alle Sänger sind sich einig, dass das Beherrschen des Legato eine Grundvoraussetzung für erfolgreiches künstlerisches Schaffen ist. Die Fähigkeit, große Legatobögen spinnen zu können, ist daher auch einer der Punkte, die einen internationalen Klangstandard ausmachen - weil man ihn an allen bedeutenden Stimmen heraushören kann. Trotzdem fällt es immer wieder schwer, das Charakteristische dieser Fähigkeit zu beschreiben und somit besteht auch die Gefahr, hier wieder in nebulöse Definitionen zu verfallen, was die Weitergabe dieser Fertigkeit, vor allen Dingen ihre Abrufbarkeit, schmälert. Es gibt viele gute Sänger, die einfach ein Legato haben, und nicht darüber nachdenken müssen, und damit kann es ihnen auch schwerfallen, das Wissen an Schüler, die 'es' nicht haben, weiterzugeben, weil sie nie in der Situation waren, es erklären zu müssen. Hier betreten wir den Bereich bewusster und unbewusster Kompetenz.
Zwei Ebenen: Psychologie und Physis
Wenn wir den Vorgang beschreiben wollen, müssen wir zwei unterschiedliche Ebenen heranziehen: einmal die reine Physis, die verantwortlich ist für den technischen Ablauf, und die psychologische Ebene, wo sich die Ursache für die Fähigkeit der technischen Verwirklichung befindet: die Kraft der Vorstellung, die einen Ton 'ausspinnen' kann, eben das Denken können von Klang – mit Rückwirkung auf den Sänger selbst, aber auch auf sein Publikum. Ein Sänger kann nur so gut singen, wie er sich seinen Ton – vorher – vorstellen kann: eine Kraft der Imagination, die man auch den 'sängerischen Willen' nennen kann, den Willen zum Tönen.
Thomas Hampson hat hierfür ein schönes Bild benannt, so markant, weil wir es im Deutschen sehr umschreiben müssten: Die Kunst des Legatos ist die „ability to resound the sound.“
Für mich heißt das, dass dieser sängerische Wille in der Lage sein muss, den sound von Note zu Note weiterspinnen und mit jedem Ton wachsen lassen zu können. Wobei der sound ja etwas anderes beschreibt, als bloß den Klang: im ersten Begriff schwingt immer die persönliche, unverwechselbare Eigenheit einer Stimme mit. Für den Sänger ist es von Bedeutung, dass er nicht von Note zu Note denkt, (das Notenblatt suggeriert eben dies) sondern sich klar macht, dass diese Note einen Zeitwert hat, der bis an die nächste neue Note heranreicht, in der sich dieser sound entfalten muss. Der Klang spielt sich also auch 'zwischen' den Noten ab. Ansonsten entstehen immer Klanglöcher, die mit einer Betonung jedes Tones aufgefangen werden wollen – der Tod des Legatos.
Obertonreihe
Diese Klanglinie weiterspinnen zu können, beschreibt auch ein Phänomen, welches sich in der Obertonreihe der Stimme abspielt: die schwedisch – italienische Technik spricht in diesem Zusammenhang vom 'ring' - ein Klangereignis über dem eigentlich gesungenen Ton im Obertonspektrum, heraushörbar, und das für den Sänger körperlich spürbar ist, welches für den Kern und die Tragfähigkeit der Stimme verantwortlich ist. David Jones benennt immer wieder dieses 'traveling on the ring' als Qualität der Stimmführung, die zum Legato führt. Dieses Klangereignis entfaltet sich zwischen den Noten und die Aufmerksamkeit des Sängers liegt darin, den 'ring' weiterzuspinnen, um nicht den Ton selbst anzufassen. Wenn ich dem Ton nachhöre, unterliege ich immer der Gefahr, ihn im selben Moment verbessern zu wollen, was immer Klangbeulen – eine uneinheitliche Stimmführung – zur Folge hat.Wenn meine Aufmerksamkeit im 'ring' ist, der immer körperlich zu spüren ist, kann dieses 'resounding the sound' stattfinden.
Читать дальше