Der Graf hatte einen genauen Plan entwickelt, wie „seine“ Stadt aussehen sollte. Eher untypisch verlegte er die wichtigsten Gebäude nicht ins Zentrum der Siedlung, sondern an deren westlichen Rand. Damit wollte er demonstrativ bewirken, dass die indianischen Nachbarn eine direkte „Anlaufstelle“ erhielten, denn hier entstanden das Rathaus und ein großer Gemeinschaftsbau, über dessen Vordach ein großes Schild mit der Bezeichnung „Josefine´s Saloon“ befestigt war. Neben der Kirche waren dies die einzigen zweigeschossigen Häuser der Siedlung. Die Deutschen hofften darauf, dass die Sioux die Gelegenheit zu freundschaftlichen Besuchen nutzten.
Die Tochter des Grafen übernahm die Leitung des Saloons, der ihren Namen trug und der zugleich als Versammlungsraum der Bürgerschaft und Gemischtwarenladen diente. Gelegentlich sorgte hier die kleine Laienspielgruppe der Siedler für Tanzabende mit Musik oder führte Theaterstücke auf. Die von Trauensteins versuchten, einen Teil ihrer Kultur zu wahren und in der „Wildnis“ ein Stück Zivilisation zu führen, daher entsprach der „Saloon“ nicht dem amerikanischen Vorbild. Er war vielmehr in zwei Salons geteilt, von denen einer als Damen-Club und der andere als Herren-Club geführt wurde.
Dem Saloon schräg gegenüber lag das Rathaus, in dem zugleich die von Trauensteins wohnten. Im Untergeschoss befand sich die Verwaltung, in dem sich der Gemeinderat traf. Dieser setzte sich aus dem Grafen als Bürgermeister, Pfarrer Dörner, Doktor Penzlau und dem Schmied Hubertus Keil, als Vertreter der Bürgerschaft, zusammen. Im Obergeschoss lagen die Privaträume des Grafen und seiner Tochter.
Überragt wurden alle Bauten von der Kirche des Pfarrers Dörner, was allerdings nur an der Höhe des hölzernen Glockenturms lag. Dörner hatte bei der Reise auf manche persönliche Dinge verzichtet, um sein Harmonium und die kleine Glocke des alten Heimatdorfes mitnehmen zu können. Damals lächelte mancher darüber, doch der Klang beider Instrumente war etwas Vertrautes, was den Siedlern sofort ein Heimatgefühl vermittelte.
All dies war nun fünf Jahre her und aus Farrington war eine hübsche Siedlung geworden, die inzwischen über fünfhundert Menschen ein Heim bot. In kleinen Vorgärten wuchsen Blumen und wurden Kräuter gezogen. Kühe weideten und lieferten Häute, Fleisch und Milch. Eine Reihe von Äckern wurde sorgfältig bestellt und lieferte Getreide, Gemüse und Kartoffeln. Zum Rual River hin wuchsen sogar ein paar Apfelbäume. Fast jede Familie besaß ein paar Hühner, die für Nachschub mit frischen Eiern sorgten. Brot, Brötchen und Kuchen wurden gebacken und wurden im Gemischtwarenladen von Josefine´s Saloon gehandelt.
In dem alten Handelsposten, der von der American Fur Company aufgegeben worden war, hatte sich Pecos Bill mit seiner indianischen Frau Little Bird eingerichtet. Er war gebürtiger Texaner, hatte lange als Fallensteller gelebt und war dann, nach einem schlecht verheilten Beinbruch, Angestellter der AFC geworden. Nachdem die Gesellschaft den Posten aufgab, schlug Graf von Trauenstein dem Ehepaar vor, ihn weiter zu führen. Er sollte als „indianischer Laden und Handelsposten“ dienen. Zwei Gemischtwarenläden waren für einen so kleinen Ort eigentlich zu viel, doch die Siedler waren sich einig, dass Pecos Bill und seine Frau die Richtigen waren, um fairen Handel mit den Sioux zu treiben und darauf zu achten, dass in ihrem Laden nichts angeboten wurde, was zu den verbotenen Waren gehörte: Schusswaffen und Alkohol.
Von Trauenstein besprach dies mit Chief Many Horses und dieser stimmte dem Plan zu. Er kannte die verhängnisvolle Faszination, die Alkohol auf seine roten Brüder ausüben konnte und wollte verhindern, dass diese in Josefine´s Saloon mit der Versuchung konfrontiert wurden. Der Handel mit Waffen und Munition war nicht generell verboten, beschränkte sich jedoch auf jene, die für die Jagd Verwendung fanden. Die Sioux benutzten ohnehin lieber ihre nahezu lautlosen Bogen, an Stelle der lauten Schusswaffen der Weißen.
Das Verhältnis zwischen Indianern und Deutschen festigte sich in den Jahren. Nicht allein auf Grund des gegenseitigen Handels, sondern vor allem wegen Doktor Penzlau. Der Arzt der deutschen Siedlung und der Medizinmann des Stammes besuchten sich oft und gegenseitig, um voneinander zu lernen. Das Wissen um die heilende Wirkung von Pflanzen wandte Penzlau gerne an, da Medikamente selten und teuer waren. Der Doktor hingegen konnte dem Medizinmann beweisen, dass die Kunst der weißen Medizin bei schweren Verwundungen von Nutzen war. Aus dem gegenseitigen Respekt der Männer entwickelte sich zunehmend eine Freundschaft.
Dies galt auch für das Verhältnis von Many Horses und dem Grafen. Beide empfanden Verantwortung für ihre jeweiligen Gemeinschaften und bewiesen, dass gegenseitiger Respekt und Verständnis die Grundlage eines friedlichen Miteinanders waren.
Immer wieder wurden Siedler zu den Stammesfesten der Sioux eingeladen, umgekehrt besuchten diese die Vorführungen der kleinen Theatergruppe.
Farrington lag direkt an der Grenze zum Stammesgebiet und begann zu wachsen. Die kleine Siedlung wurde von der Zivilisation nicht ignoriert. Vor einem knappen Jahr war ein Trupp Vermessungsingenieure erschienen und man hatte eine weitere Route für die Postkutschen geplant, welche immer mehr Städte und Dörfer miteinander verbanden. Vielleicht würde Farrington sogar eines Tages über eine Bahnstation verfügen, doch für die Bewohner war es schon ein gewaltiger Fortschritt, dass nun einmal in der Woche die Überlandkutsche eintraf. Zwar beförderte sie nur selten Passagiere, aber sie brachte Neuigkeiten und Zeitschriften. Die Damen waren vor allem von den Katalogen der großen Warenhäuser begeistert. Auch wenn man sich die meisten Dinge nicht hätte leisten können, so gaben die abgebildeten Kleider und Accessoires doch Anregungen für die eigenen Näharbeiten. In Josefine´s Saloon entwickelte sich zunehmend ein bescheidener Bestellhandel.
Das Leben in Farrington verlief in friedlichen und geordneten Bahnen und schien von den Ereignissen außerhalb unberührt.
Bis zu jenem Tag, an dem die Kutsche eine Zeitschrift mitbrachte, in der von Krieg die Rede war.
Krieg zwischen den Unionsstaaten des Nordens und den konföderierten Staaten des Südens.
Diese Neuigkeit schien Farrington in seiner beschaulichen Ruhe kaum zu betreffen und doch elektrisierte sie seine Bewohner und auch den Stamm von Many Horses. Letzteren so sehr, dass er nach Farrington kam, um dort mit dem Grafen zu sprechen.
Krieg war nie ein Thema zwischen Sioux und deutschen Siedlern gewesen, doch die Nachricht aus dem Osten zwang es ihnen auf.
Es gab eine breite Veranda vor dem großen Bürgermeisteramt, auf der Tische und Stühle standen. Doch von Trauenstein hatte es sich angewöhnt, zu Ehren seines indianischen Gastes mit einer Decke Vorlieb zu nehmen. Many Horses schätzte diesen Respektbeweis und er schätzte ebenso die selbstgemachte Zitronenlimonade, die Josefine ihnen beiden brachte.
„Ich habe frischen Apfelpfannkuchen, Chief“, berichtete Josefine. „Es wäre mir eine Freude, wenn ich Ihnen einen ordentlichen Teller mitgeben dürfte.“
„Mein Weib und meine Enkel mögen eure deutschen Apfelpfannkuchen. Ich werde sie ihnen gerne mitbringen.“ Der Chief lächelte sanft. „Auch ich bin ihm nicht abgeneigt.“
Many Horses beherrschte die Sprache des weißen Mannes, das Englische, nahezu perfekt und hatten sich inzwischen, da es ihm Vergnügen bereitete, sogar ein paar Worte Deutsch angeeignet. Von Trauenstein fiel es hingegen schwer, die Stammessprache der Lakota zu erlernen und seine diesbezüglichen Versuche riefen immer wieder ein freundliches Lächeln bei Many Horses hervor. Die beiden Männer verstanden und vertrauten einander, was vor allem daran lag, dass sie ehrlich miteinander umgingen und Unstimmigkeiten, die zwischen Deutschen und Indianern auftreten konnten, stets gemeinsam regelten.
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