In gewisser Weise ähnelten sich Many Horses und von Trauenstein. Der Graf war von der Sonne gebräunt und die Haut bildete einen scharfen Kontrast zu dem schlohweißen Haar und Vollbart des Adligen. Gelegentlich nutzte er ein Monokel als Sehhilfe und stützte sich auf den silbernen Knauf eines Gehstocks. Seine Stimme war sanft und kultiviert.
Die Deutschen waren erleichtert, dass viele der Indianer, aufgrund der Handelsbeziehungen zur AFC, die Sprache der Weißen beherrschten. Oft weitaus besser, als dies für sie selber galt. Nur eine Handvoll der Siedler beherrschte, mehr schlecht als recht, das Englische.
Das Treffen fand vor dem Lager des Trecks statt. Die rund 240 Deutschen standen vor den Wagen und sahen neugierig zu. Männer, Frauen und Kinder, die verstanden, welche Bedeutung dieses Gespräch für ihre Zukunft haben musste. Josefine von Trauensteins Wunsch entsprechend, war keiner der Siedler bewaffnet, auch wenn Gewehre und Pistolen griffbereit in den Wagen lagen. Die Lakota, von den Weißen Sioux genannt, waren zu Zehnt und hatten sich, ebenfalls der Bedeutung des Augenblicks bewusst, in ihre Festtagsgewänder gekleidet. Sie verbargen ihre Waffen nicht, doch ihre Blicke verrieten Neugierde und keine Feindseligkeit.
Der Graf kannte sich in den Gebräuchen der Indianer nicht aus und wählte seine Tochter Josefine, Doktor Penzlau und Pfarrer Dörner als Begleiter. Die drei hatten Klapphocker bei sich, doch als sie bemerkten, dass die Gesprächspartner im Schneidersitz auf dem Boden saßen, folgten sie deren Beispiel, um auf Augenhöhe miteinander reden zu können.
„Wir kommen in Frieden, Häuptling“, versicherte von Trauenstein, „und wir sind auf der Suche nach einer neuen Heimat. Wir hoffen auf eure Erlaubnis, uns hier ansiedeln zu dürfen und wollen die Früchte unserer Arbeit mit euch teilen.“
Chief Many Horses kannte ähnliche Beteuerungen schon von anderen Weißen. Es gab eine ganze Reihe von indianischen Stämmen, welche solchen Versprechen geglaubt hatten und bitter enttäuscht worden waren. Dennoch hörte er aufmerksam zu, beobachtete die Körpersprache seiner Gegenüber und lauschte dem Klang der Stimmen, ob ein Unterton von Falschheit in ihnen mitschwang. Vor allem jedoch, sah er in die Augen des Grafen und dessen Begleiter.
„Die Not hat uns aus unserer alten Heimat vertrieben“, fuhr Graf von Trauenstein mit ernster Stimme fort. „Viele leiden dort Hunger und sterben. Wir sind hierher gekommen, weil wir eine neue Heimat suchen, in der wir in Frieden leben können. Dies ist ein wundervoller Ort und hier würden wir uns gerne niederlassen und unsere Kinder aufziehen. Im Gegenzug werden wir ehrlichen Handel mit euch treiben. Wir werden Fleisch, Leder, Häute und viele Dinge mehr benötigen und wir können euch dafür Eier, Milch, Käse und andere Dinge bieten. Wir haben gute Handwerker und einen sehr fähigen Arzt.“
„Werden auch andere kommen?“, fragte Many Horses mit ruhiger Stimme. „Wir kennen euch Weiße und die Flut, welche der ersten Welle folgt.“
„Wir suchen ein Heim für uns, unsere Kinder und deren Kindeskinder. Wir hoffen, dass unsere Gemeinschaft wachsen wird, doch ich kann nicht sagen, ob uns andere folgen. Wir sind die einzigen Deutschen, die sich hierher auf den Weg machten, aber es kann natürlich sein, dass es Menschen gibt, die sich uns anschließen wollen.“
Das war immerhin ehrlich, obwohl der Graf wohl spürte, dass die Indianer nicht von dieser Aussage begeistert waren. Er versuchte, sich in ihre Lage zu versetzen. Wie würden sich die Bewohner seines Dorfes in der alten Heimat verhalten, wenn sich immer mehr fremde Eindringlinge niedergelassen wollten? Selbst unter direkt benachbarten Dörfern gab es gelegentlich Rivalitäten. Er fühlte, dass das Schicksal der Deutschen die Indianer nicht unberührt ließ, doch ebenso, dass es eines Beweises des Vertrauens bedurfte.
Was der Graf nun vorschlug, war ein enormes Wagnis. „Wir sind bereit, unsere Waffen abzugeben und uns unter den Schutz eures Stammes zu stellen.“
Sitting Horse, einer der Unterhäuptlinge, zeigte seine Überraschung. „Ihr würdet eure Waffen abgeben?“
Von Trauenstein nickte. „Wir würden allerdings gerne eine Handvoll Flinten für die Jagd behalten.“
Many Horses blickte zu den Planwagen und Siedlern hinüber. „Und deine Deutschen sind damit einverstanden?“
„Wenn wir dafür hier bleiben können, dann werden sie das sein.“
Der Chief schwieg einen Moment. „Gehe, Weißhaar, und frage sie.“
Die Gruppe der Weißen erhob sich und ging zum Lager hinüber, während die Sioux erregt miteinander diskutierten. Sie verstummten, als bei den Weißen eine kurze Diskussion entbrannte. Doch dann kehrte der Graf zurück. Vier Männer trugen Decken, die sie vor den Sioux auf den Boden legten.
Die Indianer starrten nachdenklich auf das Sammelsurium an Waffen, welches ihnen präsentiert wurde. Überwiegend Büchsen und Flinten aus deutscher Fertigung, die sich durch die sorgfältige Verarbeitung und Ziselierung oder prachtvolle Schnitzereien von den meisten amerikanischen Waffen abhoben. Dazu kamen ein paar einschüssige Vorderladerpistolen und eine Handvoll moderner Revolver.
„Das sind alle Waffen?“, fragte Sitting Horse.
„Alle Schusswaffen“, bestätigte einer der Weißen, dessen Gesicht zeigte, dass er sich nicht gerne von ihnen trennte.
„Ein paar würden wir, wie ich bereits erwähnte, gerne für Jagdzwecke behalten“, fügte von Trauenstein hinzu. „Zudem soll es in den Wäldern gefährliche Raubtiere geben.“
Many Horses tauschte ein paar Sätze mit seinen Begleitern in der Stammessprache Lakota, bevor er sich wieder dem Graf zuwandte und auf die Ansammlung von Waffen wies. „Ihr beweist uns euer Vertrauen und so werden wir euch auch das unsere beweisen. Nehmt eure Waffen wieder an euch.“
Nun war es an den Deutschen, überrascht zu sein. „Ihr gebt sie uns zurück?“
Many Horses lächelte. „Dies ist ein wildes Land und ein Krieger muss in der Lage sein, seine Familie zu schützen.“
„Und wir dürfen bleiben und hier siedeln?“
„Solange ihr den Frieden wahrt und die zu treffende Vereinbarung einhaltet, seid ihr uns willkommen.“
Josefine von Trauenstein war überwältigt und vergaß ihre Erziehung, die sie zur Zurückhaltung mahnte. Sie wandte sich dem Lager zu und stieß einen triumphierenden Schrei aus. „Wir dürfen bleiben!“
Um die Lippen von Many Horses spielte ein verständnisvolles Lächeln, als der Jubel der Deutschen herüber brandete. „Lasst uns die Vereinbarung treffen und die Pfeife rauchen, Weißhaar.“
Es gab keinen schriftlichen Vertrag. Nur die mündliche Übereinkunft. Many Horses und von Trauenstein besiegelten diese mit Handschlag und dem kreisenden Kalumet, mit dessen Rauch alles besiegelt wurde.
Die deutschen Familien machten sich mit Eifer und der ihnen eigenen Gründlichkeit an die Arbeit. Der Graf hatte darauf geachtet, dass die Neusiedler eine Mischung aus Handwerkern, Bauern und Züchtern waren, die eine solide Basis für den Aufbau der neuen Heimat bildeten. Im Gegensatz zu anderen Deutschen verzichteten sie darauf, der Siedlung einen deutschen Namen zu geben, der an die alte Heimat erinnerte. Sie beließen es bei Farrington, denn so war der Ort auf den Karten eingetragen.
Bald hallten das Schlagen von Äxten und das Krachen stürzender Bäume durch den Wald. Die deutschen Holzfäller kannten die Gefahren, die Holz durch Insektenbefall drohten und so wurden die Stämme sorgfältig von ihrer Rinde befreit, bevor man sie verbaute oder zu Bohlen und Brettern verarbeitete.
Eine ganze Reihe eingeschossiger Häuser entstand. Das Erdgeschoss in typischer Blockbauweise, denn die Winter in Wisconsin waren hart und wenn man die Fugen zwischen den Stämmen sorgfältig mit Moos oder Lehm stopfte, dann bot die massive Konstruktion den besten Schutz vor der grimmigen Witterung. Das Dachgeschoss war hingegen eine Konstruktion aus dicken Balken und Bohlen, und wurde mit selbstgefertigten Holzschindeln gedeckt. Jede Familie bekam ihr eigenes Heim und der kleine Ort begann sich parallel zum Waldrand hin auszubreiten.
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