„Da habe ich dich, im wahrsten Sinne des Wortes, wohl ganz schön in Schach gehalten...“, meinte er grinsend. Am liebsten hätte ich ihm sein blödes Grinsen aus dem Gesicht geprügelt! Wie hatte er das nur gemacht? Wie hatte er es geschafft, mich zu besiegen?!
„Oh! Jetzt weiß ich’s! Du hast geschummelt! Du und deine blöde Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen!“, schimpfte ich beleidigt.
„Nein, ich habe nicht geschummelt. In Emmerald ist das erlaubt. Gewöhnlicherweise setze ich diese Fähigkeit beim Spielen nicht ein. Aber heute ging es ja um einen wichtigen Einsatz. Außerdem habe ich dir doch schon gesagt, dass ich damit kaum in die Zukunft sehen kann. Um genau zu sein, nennt man diese Fähigkeit den achten Sinn “, stellte er klar. „Aber ich muss ehrlich zugeben, du bist wirklich sehr gut in Schach. Die meisten Hortenser könnten dir nicht das Wasser reichen. Was du dagegen nicht wusstest, war, dass ich in Denkspielen unter den Hortensern so gut wie unschlagbar bin. Noch keiner hat mich darin besiegt. Das kommt vielleicht deswegen, weil ich zu viel Zeit zum Üben habe, so ganz allein, ohne Freunde... Naja... heute hast du’s nicht geschafft. Aber vielleicht beim nächsten Mal...?“
„Beim nächsten Mal ?!“, stieß ich empört hervor. „Jetzt hör mir mal zu, Freundchen, es wird kein nächstes Mal geben!“
„Aber warum denn auf einmal diese spontane Entscheidung? Willst du denn nicht mehr zurück und lieber hier, bei mir in Emmerald, bleiben?“, ärgerte er mich bewusst mit dieser Wortwahl.
„Nein, aber mit Schummlern spiele ich nicht!“, gab ich ihm darauf zur Antwort und wollte ihn damit beleidigen. Doch Luno ging nicht weiter darauf ein.
„Lilly, ich mache dir nun einen Vorschlag: Ich werde ab jetzt, nur noch ohne meine Zauberkräfte dabei einzusetzen, mit dir spielen. Aber wenn ich dir, solltest du gewinnen, einen beliebigen Wunsch dafür anbiete, verlange ich ab nun auch von dir, dass du mir dafür einen Wunsch erfüllen musst, wenn ich gewinne. Natürlich gilt das bei dir nur für einen Wunsch, für den du keine Zauberkraft benötigst“, schlug er mir vor.
„Sollte ich gewinnen, musst du mir aber einen Wunsch mit Zauberkraft erfüllen, wenn ich das will“, stellte ich klar.
„Natürlich. Alles, was du willst“, bestätigte er mir.
„Und woher weiß ich, dass du deine Zauberkraft auch wirklich nicht mehr einsetzt?“, wollte ich mit einem kritischen Blick von ihm wissen.
„Hhmmm... Du musst mir wohl einfach vertrauen“, überlegte er laut. „Aber ich versichere dir, das kannst du ohne Bedenken, dabei eine Enttäuschung zu riskieren.“
„Ja und ich weiß auch warum: Weil ich nämlich noch nicht mal enttäuscht wäre, wenn du dein Versprechen nicht einhältst, da sowieso nichts anderes von dir zu erwarten ist...“, meinte ich unverschämt.
„So habe ich das eigentlich nicht gemeint. Lilly, ich versichere dir, ich habe bisher immer mein Wort gehalten. Denn ich habe es bereits selbst schon erfahren, wie es ist, wenn jemand sein Versprechen mir gegenüber brechen will...“, sagte er nur. „Also, was ist? Vertraust du mir? Wie wäre es mit einem zweiten Spiel – ohne Zauberkraft und ohne Einsätze – als Beweis sozusagen?“
Da ich ihn testen wollte, willigte ich ein, was Astor jedoch, seinem Blick nach zu urteilen, für keine gute Idee hielt. Tatsächlich war Luno in diesem Spiel gar nicht mehr so gut. Er verlor sogar unbeabsichtigt seine Dame. Doch mit den beiden Türmen schaffte er es erneut, mich zu besiegen. Ich glaubte jedoch trotzdem, dass ich ihm jetzt, in Sachen Spiele, trauen konnte.
„Oke, Luno. Dann wollen wir nun nochmal um einen Einsatz spielen“, erklärte ich mich bereit, doch dieser meinte darauf nur: „Schön, dass du mich wieder Luno nennst, Lilly und auch, dass du noch einmal gegen mich antreten willst. Aber ich bin im Moment nicht in der Stimmung dazu. Tut mir leid. Vielleicht ein andermal...?“ Dann machte er sich auf den Weg zu seinem Haus.
„Du Mondmann!“, rief ich ihm darauf wütend hinterher, worauf er mir nur freundlich zuwinkte. „Du hast doch nur Angst, ich könnte dich diesmal besiegen, weil du jetzt nicht mehr schummelst“, schrie ich darauf, doch er tat so, als hätte er es nicht mehr gehört.
„Wollen vielleicht mal wir beide etwas spielen?“, fragte mich Astor, nachdem Luno in seinem Haus verschwunden war.
Ich willigte ein, schließlich musste ich für das nächste Mal mit Luno üben! Also spielten wir Schach. Doch schon während der ersten Partie bemerkte ich, dass Astor eine Niete in Schach war und ich mich darum nicht verbessern konnte, indem ich mit ihm spiele. Darum machten wir uns den Rest des Tages lieber auf die Suche nach Informationen über Pinienträne. Astor führte mich zu den letzten vertrauenswürdigen Hortensern, die er kannte, doch leider erfuhren wir wieder nichts Neues. Die kalte Nacht, die folgte, verbrachte Astor erneut damit, mich mit komischen Fragen zu durchlöchern.
Am nächsten Tag, als wir wieder am großen Platz vor dem Steinhaus in der Mitte des Dorfes mit den Kindern spielten, kam Luno dann erneut dazu. „In Ordnung, Lilly, ich bin wieder so weit, mit dir um einen Einsatz zu spielen“, verkündete er mir. „Aber wenn ich gewinne, musst du danach mit mir noch eine Partie Schach ohne Einsatz spielen.“
„Geht klar!“, willigte ich sofort ein... und verlor beide Partien. Jedoch hatte mir das zweite Spiel, wenn ich ehrlich war, sogar Spaß gemacht. Astor war bereits nach der ersten Partie gegangen, also wäre ich allein gewesen, wäre Luno nicht geblieben und hätte mir noch ein weiteres Denkspiel, welches bei ihnen Matik genannt wird, erklärt. Es war nicht sehr kompliziert zu verstehen, dafür aber ziemlich schwer zu gewinnen.
Man brauchte dazu nur ein Blatt Papier und einen Stift. Dann malte man vier, aus Strichen bestehende Reihen, untereinander in Pyramidenform darauf. Ganz oben, in der ersten Reihe nur einen Strich, in der zweiten Reihe drei Striche, in der dritten Reihe fünf Striche und in der vierten Reine sieben Striche, also von Reihe zu Reihe abwärts immer zwei Striche mehr. Das war auch schon alles und das Spiel konnte beginnen. Abwechselnd streicht man nun in einer beliebigen Reihe immer so viele Striche durch, wie man will. Wer aber durch den Zug des anderen dazu gezwungen ist, den letzten Strich durchzustreichen, hat verloren.
Wir spielten eine Weile, wobei Luno immer gewann, dann tauchte Astor plötzlich wieder auf, um mich abzuholen. Irgendwie wäre ich gerne noch geblieben, um mit Luno zu spielen, doch das durfte ich mir natürlich nicht anmerken lassen, weder vor Astor, der Luno ja nicht ausstehen konnte, noch vor Luno, der wohl sonst glauben würde, ich hätte ihm verziehen, was er mir angetan hatte. Jedoch nahm ich mir vor, Matik zu üben, damit ich auf eine Herausforderung von Luno um einen Einsatz vorbereitet wäre.
„Lillian, ich habe eine gute Nachricht für dich“, verkündete mir Astor, nachdem sich Luno von mir verabschiedet hatte und nun außer Sichtweite war. „Mir ist noch jemand eingefallen, der etwas über Pinienträne wissen könnte. - Um genau zu sein, ist es eine Sie: Pendragons Nichte. Ihr Name ist Gloria, sie ist 164 Jahre und ein Wassergeist, welche etwa 450 Jahre alt werden. Pendragon war ebenfalls ein Wassergeist. Ich hatte Gloria schon länger im Hinterkopf, doch ich wollte sie nicht belästigen, da ihre Probleme groß genug sind. Aber ich denke, sie weiß mehr als Onox und die anderen, darum sollten wir sie doch um Rat fragen.“ Wie Astor mit dieser gezielten Wortwahl über Gloria redete, glaubte ich, irgendwie spüren zu können, dass da mehr war, als es zu sein schien.
„Worauf warten wir denn noch?! Führe mich zu Gloria!“, ordnete ich an. „Wohnt sie auch hier im Dorf?“
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