Vivi kommt wie verabredet um 7:30 Uhr mit Brötchen und wir starten den Tag mit einem letzten gemeinsamen Frühstück im kleinen Kreis unserer Familie. Da sich ja die örtliche Presse für 9:00 Uhr an der Kirche angemeldet hatte, ist es ab 8:00 Uhr vorbei mit meiner inneren Ruhe.
>> Hatte ich auch wirklich nichts vergessen und sind alle Leute instruiert? <<
Eigentlich war der Trip perfekt und straff organisiert, denn ich habe ja auch lange auf die Abreise hingearbeitet. Alles, was um halb neun nicht dabei ist, wird später gekauft oder besorgt. Also entspann dich Gerd! Nur noch zwei Flaschen Wasser in den vorgesehenen Trinkflaschenhalter und den Tacho mit allen wichtigen Eckdaten auf null gestellt. Die kombinierte Puls-Uhr und den Brustgurt angelegt, denn ab heute werden auch die verbrannten Kalorien festgehalten. Mal sehen, was du am ersten Tag so vom überflüssigen Hüftgold verlierst.
Es ist 8:45 Uhr. Wir, also meine Frau Grit, Vincent, Vivien und meine Wenigkeit machen uns auf den Weg zur Friedenskirche, die in 3 Minuten zu Fuß zu erreichen ist. Wir sind gerade aus der Tür heraus, da klingelt schon mein Handy.
Der –Mumsi – in seiner sehr eigenen durchdringenden aber herzlichen Art,
>> Wo bleibt ihr denn, es ist schon viertel vor neun und alle sind da? <<
Da ich gleich um die Ecke biegen würde und sowieso alle sehen würde, sagte ich zu ihm:
>> Bleib ruhig, es ist alles abgesagt worden, ich fahre doch nicht, habe keine Lust mehr! <<
Als ich dann um die Ecke biege, grinst Mumsi zufrieden. Mein Freund Mumsi, der singulär maskulin inkarnierte Heinz Erhardt, immer sehr hilfsbereit, äußerst zuverlässig und manchmal trägt er sein Gehirn auf der Zunge und ist zuweilen penetrant aber in sich ruhend.
Da Mumsi am 18.07.2013 eine Abspeckkur antreten würde, drückte ich ihm dafür schon vor meiner Abreise die Daumen und zollte ihm meinen Respekt, dass er den Hebel im Kopf nun umgelegt hatte. Ich erinnere mich noch an Folgendes:
Wir karrten meine letzte Ladeneinrichtung von Osterhauderfehn in Ostfriesland nach Hilden. Was hatten wir alles an einem Tag geschafft, geschleppt und geschwitzt. Alles für die Kinder. Ist ein gutes Argument, wenn es darum geht, Dinge zu erwerben, die auch einen gemeinnützigen Zweck erfüllen könnten. Da wird der Verkaufspreis gerne mal nach unten oder oben korrigiert. So geschehen in Osterhauderfehn. In einem großen Lebensmittelgeschäft war im Eingangsbereich eine Bäckerei als Untermieter. Eine Spiegelwand diente dem Ladeninhaber als Paketdienst - Annahmelager. Weil ich aber eine Bäcker - Ladeneinrichtung für 230,- € über das Internet erworben hatte, gehörte diese Spiegelwand dazu. Für diese vier Elemente jedes 2,50 x 1,20 Meter hatte ich überhaupt keine Verwendung und mir graulte es schon vor dem Abbau. Der Inhaber hatte schon beim Mumsi durchklingen lassen, dass er für den Preis auch alles gekauft hätte. Da er immer schon ganz nervös um mich herumspazierte, sagte mir meine innere Stimme, der will doch etwas.
>> Wenn Sie die alten Spiegel nicht brauchen, was möchten Sie denn dafür haben? Aber ich zahle auf keinen Fall den Preis, den sie für alles gezahlt haben <<
Aha, da tut sich doch was!
>> Also wissen Sie, das ist doch für ein Schülerkaffee und eigentlich alles für die Kinder, die brauchen doch jeden Cent. Also für 180,- € lass ich die Teile hier<<. Er gab mir 150,- €
Er hatte somit ein gutes Gefühl etwas zum Gemeinwohl beigetragen zu haben und ich war heilfroh, dass ich den „Mist“ nicht mitnehmen musste.
Ich nehme freudig zur Kenntnis, dass noch drei meiner Freunde am Start sind. Wir begrüßen uns herzlich und ich nehme auch den Fotografen von der Hildener Wochenpost wahr. Herr Kämmerer, der Chefredakteur, hatte mich am Telefon zu meinem Vorhaben schon zwei Wochen vorher interviewt und wir sind so verblieben, dass ich ihm wöchentlich ein paar Fotos und Tour Berichte zukommen lasse. Wie ich später zu berichten habe, war dieses einige Mal leichter gesagt als getan. Ich habe da so einige Stunden mit verbracht und wunderte mich, dass bei einem Aufwand von 20 Stunden nur so verschwindend wenig berichtet wurde.
Pfarrer Wolf nimmt uns in Empfang und wir gehen in die Kirche. Nachdem wir noch einigen Leuten ein kurzes Statement geben, geht es zügig zum Altar. Also den Wortlaut des Reisesegens kann ich beim besten Willen nicht mehr wiedergeben. Ich erinnere mich aber noch sehr genau, dass Herr Pfarrer Wolf für mich eine Kerze entzündete und diese Kerze sollte nun jede Woche zur Sonntagsmesse für mich leuchten. Wenn ich wiederkäme, so möchte ich bitte am darauffolgenden Sonntag zur Messe kommen, dann würde die Kerze entfernt werden. Ich habe mir das fest vorgenommen, denn ich war echt gerührt.
Es ist ca. 9:15 Uhr und vor der Friedenskirche muss ich für den Fotografen posieren. Einige Male an ihm vorbeifahren, damit er mich richtig trifft.
>> Aufregend, ich bin der Protagonist und voll wichtig . < <
Ich fühle mich zeitversetzt und an meine frühere Mikro Boxerkarriere beim Boxring Hilden erinnert. Wenn die Tagespresse uns ablichtete und wir uns später in der selbigen wiederfanden. Es ist sehr schön, dass sich Menschen für einen interessieren. Immer dienstags sollte dann ein Artikel in der Wochenpost erscheinen. Ich fand es bewegend, dass es dem Chefredakteur so viel wert war, dass ich in der Ausgabe vom 23.07.2013 auf der Titelseite erschien.
Folgende Überschrift trägt die Story:
Gerd Lange ist >>dann mal weg<< Hildener begibt sich per Fahrrad auf den Jakobsweg
Hilden (ak). sagt der Hildener. »Im vergangenen Jahr habe ich am Nordkap viele Menschen auf dem Fahrrad gesehen. Das hat mich zu dieser Herausforderung inspiriert. «Normalerweise betreibt Gerd Lange einen Kiosk in seiner Heimatstadt. Der wird während seines Ausflugs geschlossen bleiben. »Das ist schon ein Luxus, den sich nicht jeder leisten kann«, ist sich der unternehmungslustige bewusst. »Ich will meinem Körper zurückgeben, was er mir gegeben hat – durch eine Fastentour«, sagt Gerd Lange. Zehn Jahre lang musste er sich darauf vorbereiten, denn sein Vorhaben ist äußerst ehrgeizig: Mit dem Fahrrad will der 53-Jährige von Hilden aus auf dem berühmten Jakobsweg bis nach Santiago de Compostela gelangen. Am vergangenen Mittwoch fiel der Startschuss an der Friedenskirche – standesgemäß mit dem Segen des PfarrersYorck-Peter Wolf. Etwa 3.000 Kilometer ist die Route lang. Sechs Wochen Fahrzeit hat er dafür eingeplant. Ein Buch wie von Hape Kerkeling soll am Ende zwar nicht dabei herauskommen. Mit der WOCHENPOST aber hat er vereinbart, regelmäßig per moderne Kommunikationsmittel einige Eindrücke von seiner Pilgertour zu übermitteln. Wir sind gespannt auf seine Berichte. Ihm geht es weniger um religiöse Beweggründe. »Vielmehr möchte ich meine Grenzen kennen lernen«
Es ist fast 10:00 Uhr.Jetzt wird sich noch herzlich von Ehefrau Grit und Sohn Vincent, sowie dem kleinen Kreis der genannten Anwesenden verabschiedet. Jetzt, wo die Kür absolviert wurde, erfolgt die Pflicht.
>> Auf geht’s Vivi <<.
Kirsten ruft mir noch einige Male nach,
>> Gerd, du musst Dich unbedingt umdrehen <<, was ich natürlich sehr gerne machte.
Denn ich will ja auf jeden Fall wiederkommen. Eigentlich habe ich noch eine „Ich-könnte-ja-Option“ mit Miki und Kirsten vereinbart. Sollte ich zeitig am Ziel sein, so nähme ich eventuell einen Flug zu Ihnen nach Ibiza, um noch ein paar Tage auszuspannen. Mal schauen.
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