1 ...7 8 9 11 12 13 ...23 „Wie darf ich das verstehen“, wollte der Professor wissen.
„Ach, nur so. Ich meine, so eine Ausstellung ist eben ein ganzes Stück Arbeit. Aber Jakob wird das schon schaffen. Wer sonst, wenn nicht er?“
„Das glaube ich auch.“ Friedmann nickte, sich damit zufriedengebend. „Wir haben schließlich den Besten“, lachte er und ergänzte: „Dieser Frühlingsabend wird sicherlich für jeden Kunstliebhaber unserer Stadt zum Pflichttermin. Und Jakob, die ersten Zusagen habe ich bereits erhalten. Politik und Adel freuen sich darauf, dich kennenzulernen. Ich kann es kaum erwarten, Lemmons Atelier zu sehen. Dein erster Beitrag, um diesem Staat etwas von dem zurückzugeben, was er dir geliehen hat.“
Der Professor strahlte über beide Ohren. Würde er auch so genügsam schauen, wenn er die Wahrheit wüsste, dachte Jakob. Auf dem Papier war es sein Projekt. Doch der Einfluss der Future Group of Europe unter dem Schutzschirm des ach so tollen und brillanten Professors Emmerich Friedmann war nicht von der Hand zu weisen. In Wirklichkeit brüstete dieser sich mit fremden Federn vor der Elite des Landes, mit Jakobs Federn, die hart erarbeitet waren. Vielleicht war ja dies die Ursache für seine künstlerische Gedankenstarre?
„Hier, der Stapel ist für dich.“ Friedmann übergab das Paket an Jakob. „Wenn du noch welche benötigst, sag einfach Bescheid, ich lasse gerade einige hundert Abzüge nachdrucken, okay?“ Dann ging er wieder an die Spüle und schaute nach seiner Tasse. Schließlich nahm er zum wiederholten Male einen Schluck Tee daraus und stellte sie zurück auf den Unterteller. Die Temperatur seines Getränkes schien jetzt gerade richtig zu sein.
„Im Übrigen gibt es da noch etwas.“
„Was denn jetzt noch?“ Neraj tippte ungeduldig mit ihren Fingern auf der ledernen Armlehne. Den letzten Tag in diesem Semester wollte sie nicht stundenlang mit Jakob und Friedmann in einem Schulbüro verbringen. Schließlich gab es auch noch Wichtigeres. „Bei allem Respekt …“
„Das betrifft euch beide“, unterbrach sie der Professor.
Neraj stellte ihr Tippen ein.
„Mir ist der Bescheid eures mehrwöchigen Wehrdienstes zugefallen. Im neuen Jahr geht es los, quasi als Bestandteil des Abschlusssemesters. Es führt euch beide an die See, auf die Halligen und an den Nordwall.“
„Na super, Strand und Meer“, spaßte Neraj. Doch Jakob war alles andere als nach Scherzen zumute, vor diesem Tag X hatte er sich seine gesamte Studienzeit über gefürchtet. Die Möglichkeit als Student dieser Universität, den Dienst an der Waffe zu verweigern, gab es zwar, doch nicht für ihn. Er gehörte zu einem auserwählten arischen Geschlecht und war dadurch zwangsweise zum Dienst verpflichtet.
„Nun komm schon, es hätte auch bedeutend schlimmer kommen können. Dir sagt doch bestimmt Gora Kazbek etwas, Georgische Republik?“ Der Professor drehte den Globus ein wenig. „Jetzt mal ganz unter uns. Wir drei kennen doch die wahre Bedeutung eurer Existenz. Was soll euch denn schon passieren? Neraj wird ihr Medizinstudium durch den Dienst um ein Kapitel erweitern und du, Jakob, sicherst acht Wochen die Grenze. Danach hast du noch genügend Zeit, um deiner Ausstellung den benötigten Feinschliff zu verpassen.“
Der Professor schien im Recht. Der Nordwall zwischen England, das sich seit der Revolution zu den Amerikanern und deren Verbündeten zählte, und dem Neuen Europa war die wohl ungefährlichste Option, da es sich dabei um die am besten und effektivsten abgesicherte Grenze des gesamten Imperiums handelte. Im Kaukasus hingegen wartete der sichere Tod. Jakob schien bekehrt.
„Sie haben Recht, Professor.“
„Das freut mich. Alles Weitere dann später.“
Neraj schaute auf die Uhr.
„Und ja, das war es jetzt endgültig.“
„Na dann, wir sehen uns heute Abend, Jakob!“
„Ja, vielleicht bis später.“
Neraj stand auf, nahm ihre Mappen, spazierte durch die offene Tür und verschwand allmählich am Ende des langen Korridors, die Wasserflasche immer noch in der Hand haltend. Jakob und der Professor folgten vergnügt ihrem bezaubernden Anblick.
„Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich mir dieses Juwel nicht entgehen lassen, ein Traum von einer Frau, findest du nicht auch?“
„Sind Sie jetzt auch noch mein Beziehungsguru?“
„Ich mein ja nur.“
„Was meinen Sie?“
„Das du zu wählerisch bist.“
„Es ist weiß Gott nicht ihr Aussehen, was mich stört.“
„Sondern?“
Sondern ihre paranoide Art, dachte Jakob.
„Wissen Sie was, vergessen Sie es einfach.“
„Warum? Ich finde, ihr passt ganz wunderbar zusammen! Manchmal müssen halt Menschen auf ihr Glück hingewiesen werden. Ich wäre froh gewesen, wenn das hin und wieder mir passiert wäre.“ Friedmann musterte aus dem offenen Fenster den Universitätseingang. „Überleg doch mal, Jakob. Sie ist bildhübsch, intelligent und ein Spross der ersten Stunde, so wie du. Das macht vieles einfacher in einer Beziehung. Keine Geheimnistuerei, wenn du verstehst, was ich meine.“
Jakob sträubte sich gegen diesen Gedanken, doch tief in seinem Innersten musste er Friedmann erneut Recht geben: Er und Neraj, das könnte passen. Sie trug das gleiche Geheimnis mit sich, ein Geheimnis, welches nur ganz wenige Personen kannten. Er wusste es von ihr und sie es von ihm. In der Tat würde das eine Verbindung einfacher gestalten, wenn da nicht diese endlos nervenden Ticks und diese herrische Art wären, die ihm so an ihr missfielen. Und warum war das dem Professor überhaupt so wichtig?
Jakob schaute hinüber zu dem alten, gewichtigen Mann am Fenster und richtete sich auf. Er vergewisserte sich, dass sie alleine waren, ging auf Friedmann zu und blieb dicht vor dessen Gesicht stehen. Er schaute den Professor eindringlich an und fragte.
„Weshalb Neraj?“
Emmerich war überrumpelt. Für einige Sekunden ließ er es zu, dass Jakob ihn in seinen Bann zog. Mit allerletzter Kraft warf er seinen Kopf zur Seite und widerstand der Attacke.
„Vergiss es, Lemmon!“, protestierte er.
Jakob, seine tiefschwarzen Pupillen geweitet, ließ locker und Friedmann wandte sich, das Haupt leicht gesenkt, ab.
„Alles, was du wissen musst, habe ich dir gesagt, der Rest bleibt mein Geheimnis, verstanden? Mein Innenleben ist kein Tagebuch für dich oder sonst irgendjemanden, kapiert! Und jetzt entschuldige mich.“
Der Professor ging zügigen Schrittes zur Tür. Auf halber Strecke drehte er sich um und drohte mit erhobenem Finger.
„Mach das nie wieder, Lemmon, nie wieder!“
Sechster Stock, Raucherebene. Theresa hasste diesen Arbeitsbereich. Mit einem Wagen, halb so schwer wie ihr Eigengewicht, ratterte sie über den langen Flur des Fünfsternehotels ihres Arbeitgebers. Der Teppich war vor Kurzem fabrikneu ausgelegt worden – und zwar eindeutig zu ihrem Nachteil, fand sie. Denn die kleinen weißen Rollen ihres Putzwagens verhedderten sich dauernd in dem flauschigen, noch ungebrauchten Gewebe. Außerdem war sie mit diesem neuen Farbton, einem milden Olivgrün, keineswegs einverstanden. Die Hotelleitung bewies dadurch zum wiederholten Male ihr Unvermögen, die Räume sukzessiv ein wenig der zeitgenössischen Welt anzupassen. Die hohen Räume, die veralteten Zimmer, die überaus hässliche Tapete an den Wänden und dazu noch der trübe Qualm auf dieser Etage – das alles würde sie noch um den Verstand bringen. Und eines war sicher, dieses Hotel sicherte sich seinen fünften Stern mit gewolltem Siebzigerjahre-Flair. Daran würde sich jetzt und auch in naher Zukunft nichts ändern!
Theresa hatte ein Problem mit ihrem Job. Das Stilgefühl sowie die Ausrichtung des Ambientes waren nur die Spitze des Eisberges. Unter der Wasseroberfläche lauerten viel größere und tiefer sitzende, mit Problemen behaftete Eisbrocken.
Читать дальше