Attila Schauschitz
Berliner Miniaturen
Teile dieses Buches sind 2009 mit dem Titel »Berlin utcáin« beim Verlag Kalligram in Bratislava in ungarischer Sprache erschienen. Für die vorliegende Veröffentlichung wurde der Text erweitert und überarbeitet.
Lektorat: Anikó Vinzelberg, Lacy Kornitzer
Fotos: Attila Schauschitz, Smaragdenstadt-Fanpage (Wilhelms Tierpark), Axel Mauruszat (Der verschwundene Leiter), Andreas Steinhoff (Neuer Raum, alte Zeiten)
Cover: Attila Schauschitz
Berliner Miniaturen
Attila Schauschitz
Copyright: © 2014 Attila Schauschitz
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-8442-9552-8
»Und das ist schließlich alles, was man von einem Buch verlangt – dass es einen unterhält.«
(Paul Auster: Stadt aus Glas)
Der öffentliche Raum aus persönlicher Sicht
Der Findling
Der erste Reiter
Unsere Ruinen
Der Soldat in Treptow
Stolpern in Berlin
Zeitgetreue Generäle
Ewige Suche
Der Simulant
Fußmonolog
Aus Trümmern entstanden
Straße der Rosen
Der kleine General
Erster Anlauf
Wo der blaue Enzian blühte
Purzelbaum
In der Tiefe
Das Gorgo-Mädchen
Hart am Kleinen Wannsee
Hauskonjugation
Patriotisches Eisen
Unvollendeter Kreis
Ausgezogen
Der Tolnai-Flamingo
Süßes Daheim
Weit und breit
Würdevolle Gestalten
Himmelstürmer
Nackte Cadillacs
Charlottenburger Momente
In dichten Reihen
Schatten in der Wand
Auf den Spuren von Jaczo
Der große Gärtner
Menschenlandschaft
Der fliegende 52er
Unten im Süden
Ein Garten im Kanal
Unser Turnvater
Die Stadt von Gropius
Schilder in der Höhe
Die Schleuder
Der letzte Heizer
Vom Erotischen zum Heroischen
Im Klartext
Unbequemer Pimmel
Blumen und Wespe
Gerüst
Luxemburgs Rückkehr
Lärm und Stille
Nach der Schlacht
Berlins Flammen
M & E
Unklare Zusammenhänge
Emigranten
Verdammter Nebel
Wilhelms Tierpark
Treffpunkt Rotary Club
Gewichtiger Schmetterling
Durch die Mauer
Zerbrechliche Balance
Der Reichshund
Einer fehlt
Ein toter Demonstrant
Hutverfolgung
Schaukelpferd
Schwierige Stellung
Sie dürfen sich küssen
Unerschütterlich
In der Verbannung
Vergangene Kneipen
Bismarck forever
Durch und durch
Serra contra Kabakov
Der verschwundene Leiter
Die zwei Mauerläufer
Heimball
Märkische Szenen
Sezessionistischer Löwe
Die Spachtelanbeter
Durchlöchert
Ein Gottbegnadeter
Korrekte Pferde
Krallen
Neuer Raum, alte Zeiten
Vor dem Absturz
2 x Einstein
Schön angerichtet
Schmerzhafter Ausflug
Steckenpferd
Die große S-Bahn Runde
Zwischen Erde und Himmel
Hilfsbereite Hände
Hasenspuren
Im Neuköllner Wald
Komplizierte Zeiten
Quo vadis?
Straßentheater
Inventur in Köpenick
Großer, kleiner Mann
Der öffentliche Raum aus persönlicher Sicht
Ilja Kabakov schrieb über seine Plastiken im öffentlichen Raum, dass sie alle drei Arten der möglichen Betrachter ansprechen sollten: den Anwohner, den Flaneur und den Tourist. Auch die vorliegende Arbeit über Berlin und seine Skulpturen versucht einem solchen Anspruch zu genügen. Sie wurde aus dem Blickwinkel sowohl eines Anwohners als auch eines Flaneurs geschrieben und möchte die so gewonnenen Eindrücke auch mit einem Touristen teilen.
Das Buch enthält neunundneunzig kurze Texte jeweils mit mindestens einem Foto von einem Kunstwerk im öffentlichen Raum. Es handelt sich dabei weder um eine kunstwissenschaftliche Abhandlung noch um einen Reiseführer: In den mitunter literarisch gefärbten Texten wechseln sich sachliche Darstellungen, ironische Kritiken und Impressionen ab.
Die biographische Tatsache, dass der Autor seine Jugend in Budapest verbrachte, spielt in die Beschreibungen mit hinein: Um die Medusa am Henriettenplatz erscheinen als Kulissen die bröckelnden Fassaden der Josefstadt, des 8. Bezirks in Budapest; der Soldat aus Treptow begegnet einem gewissen Ostapenko sowie der Hündin Laika; 1953 in Ostberlin und 1956 in Budapest verbindet die nach hinten gekämmte Frisur und die gleiche Badehose; der ungarische Schriftsteller OttóTolnai verzaubert die rosaroten Rohrleitungen über die Berliner Straßen in Flamingos, und Vater findet seine Ruhe als Heizer auf dem Tempelhofer Rangierbahnhof.
Die Auswahl der Plastiken ermöglicht die Behandlung verschiedener Themen. Die Eckpunkte der Entwicklung der Kunst im öffentlichen Raum von den Anfängen über die Berliner Bildhauerschule im 19. Jahrhundert bis hin zur zeitgenössischen Kunst finden genauso Erwähnung wie die Fragen, die der Einzug der modernen Kunst in den Stadtraum seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts aufwarf.
Ein anderer Faden verbindet die Beiträge, in denen es um Geschichte und Gegenwart der Stadt geht. Der jeweilige Standort der Plastiken gibt Anlass, die Gegenden um sie herum atmosphärisch oder architektonisch zu beleuchten, Denkmäler laden dazu ein, über die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu sprechen, während zeitgenössische Werke darauf verweisen, wie die Stadt oder die in ihr wirkenden globalen Unternehmen als Sponsoren das Gesicht Berlins durch öffentliche Kunst prägen.
Abgesehen von temporären Installationen sind Kunstwerke im öffentlichen Raum für die Ewigkeit gedacht; dennoch verschwinden manche aus verschiedenen Gründen. In dieser Sammlung sind auch Werke enthalten, die inzwischen nicht mehr zu sehen sind – schließlich gibt es auch gute Argumente dafür, Verwandte aus dem Familienalbum nicht zu entfernen, nur weil sie gestorben sind.
Die ästhetische Frage lautet: Was ist so außerordentlich anziehend an dieser grundsätzlich hässlichen Stadt? Auch wenn sie als Ganzes kaum existiert und in Stücke zerfällt, sind ihre Details unwiderstehlich und überwältigend. Sinn und Seele finden in ihr nie zur Ruhe. Sie hält Überraschungen bereit, schafft Spannungen, bleibt immer aufregend.
Die Anziehungskraft Berlins, einer Metropole mit provinziellen Zügen, entfaltet sich allmählich. Beginnen könnte man mit den Parks, den Friedhöfen oder nicht zuletzt mit den Kneipen. Betrachtet man allerdings die Kunst im öffentlichen Raum als das Selbstbildnis einer Stadt, kann man von Berlin angesichts seiner mehr als 2400 Plastiken und Reliefs, dieser gigantischen Ausstellung unter freiem Himmel, behaupten, es gebe wenige Städte in Europa, deren Gesichtszüge markanter ausgearbeitet sind. Berlin ist deshalb auch anhand seiner Kunstwerke auf den Straßen und Plätzen nacherzählbar.
Als sich die Frage stellte, wie die Texte angeordnet werden sollten, schien eine abwechslungsreiche Reihenfolge mehr Vorteile zu versprechen als eine systematische Gruppierung nach Themen, der historischen Zeit oder den jeweiligen Standorten der Skulpturen im Stadtraum.
Man könnte die bebilderten Texte als urbane Scherben bezeichnen. Sie liegen herum, nebeneinander.
Findling
1912
Im Schwarzen Grund
Am Anfang war der Stein. Der Stein der Kunst. Man zeichnete darauf, bemalte, bewunderte und betete ihn an. Zu Recht steht also auch dieser hier am Anfang, stellvertretend für alle Kunstwerke Berlins im öffentlichen Raum. Ein Stein, der nichts sagen will und doch viel bedeutet.
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