Die finsteren Stunden des Lebens bringen uns mit unserem Schatten in Verbindung: mit Eifersucht, Zorn, Aggression, Ungeduld, Verurteilung, Ungerechtigkeit, Zerstörungswut, Kontrollverlust und vielem mehr. Sie führen uns überdeutlich unsere Hilflosigkeit, unser mangelndes Vertrauen und unsere Abhängigkeiten vor Augen.
Aber natürlich zeigt sich auch hier die Polarität, denn in einer extrem leidvollen, gewalttätigen oder Angst auslösenden Situation können wir ebenso uns selbst beobachten, wie wir einen kühlen Kopf bewahren, handlungsfähig, hilfsbereit oder diplomatisch sind, Blut sehen oder Streit schlichten können, Zivilcourage besitzen und bereit, sind Opfer zu bringen. All diese positiven Seiten in uns sind uns so lange unbekannt, wie sie nicht durch äußere Umstände dazu angeregt werden, sich zu offenbaren. Krisen und Extremsituationen machen uns demütig, sie lehren uns, niemals „nie“ zu sagen und auch, dass es uns nicht zusteht, über das, was andere Menschen tun, zu urteilen, da wir selbst nicht wissen, wozu wir in entsprechenden Situationen fähig sind. Krisen helfen uns, in scheinbar ausweglosen, festgefahrenen Situationen doch noch einen Ausweg zu suchen, erstarrte Gewohnheiten und Verhaltensmuster zu durchbrechen und unsere Wertevorstellungen grundlegend zu reformieren.
Krisen gleichen einem Waldbrand. Auf großer Fläche brennt innerhalb kürzester Zeit nieder, was über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte gewachsen ist. Alles Abgestorbene und nicht mehr Lebensfähige fällt den Flammen zum Opfer, aber auch jenes, das noch in Saft und Blüte stand. Das Feuer macht keinen Unterschied. Aber es hinterlässt fruchtbare Asche, die den Boden anreichert und so zur Grundlage neuen Lebens wird. Pflanzen, die bislang auf dem zugewachsenen Boden nicht gedeihen konnten, haben nun reichlich Licht und Raum um zu wachsen und sich auszubreiten. Tierarten, die zuvor keinen Lebensraum hatten, siedeln sich an. Und genauso ist es auch mit einer Krise: Einem verheerenden Waldbrand gleich fressen die Flammen alles auf, was Grundlage aber auch Hindernis war und schaffen so Raum für ein neues Verhalten, Erfahrungen und Gefühle.
Dein Problem - dein Freund und Helfer
Kennen Sie einen Menschen, der kein einziges Problem hat? Der rundum sorglos, glücklich und zufrieden ist, in sich selbst ruht, seine Potentiale voll entfaltet, den Menschen und dem Göttlichen blind vertraut, kerngesund und allzeit gut gelaunt ist? Nein?
Warum ist das so? Wieso gibt es scheinbar keinen Menschen, auf den all diese Kriterien zutreffen? Und wieso möchten wir alle so gerne glauben, dass die, die jung, erfolgreich, gesund und vermögend sind, ihr Leben glücklich und frei von Problemen leben? Wieso sind wir einerseits ganz wild auf das Happy End im amerikanischen Liebesfilm, ergötzen uns an Geburten in Königshäusern, an Karrieren in der Sport- oder Musikwelt und lechzen andererseits nach schlechten Nachrichten, die uns beweisen sollen, dass auch die Schönen, Begabten und Reichen dieser Welt ihre Sorgen und Nöte haben?
Es liegt an einem grundsätzlichen Denkfehler. Es ist unser Ego, das unser mentales Denken steuert und uns aufgrund der anerzogenen Gesellschaftsprägungen ständig weismacht, dass Jugend, Geld, Karriere, Haus und Kinder die Schlüssel zum Glück sind. Unser Ego ignoriert die Tatsache, dass alles, ohne Ausnahme, zwei Seiten hat. Es verschweigt, dass nur die Akzeptanz und das Einverstandensein mit der Dualität und der Polarität in unserem Leben uns letztlich glücklich und zufrieden machen kann. Denn gerade diese Grundbedingungen unserer Existenz ermöglichen uns Erfahrungen aus dem Kontrast heraus, lassen Wertschätzung und Liebe in uns wachsen. Ein Mensch, der schon einmal an Hunger oder Durst gelitten hat, wird einen gut gedeckten Tisch anders zu schätzen wissen als einer, der immer in der Fülle gelebt hat. Wurde uns in einem entscheidenden Moment Hilfe versagt, sind wir umso dankbarer, wenn wir sie in einer anderen Situation erfahren. Genesene sehen ihre Gesundheit mit anderen Augen als die, die niemals krank waren. Ein Gefangener wird seine Freiheit mehr zu schätzen wissen als einer, die nie eingesperrt war. Allzeit Vermögenden bleibt zumeist die Freunde am kleinen Genuss verwehrt, und kaum ein Mensch erfreut sich so an seiner Klarheit wie ein Alkoholiker, der seine Sucht überwunden hat. Wer Kinder hat, weiß, wie schön es sein kann, wenn es einmal ruhig im Haus ist.
Die negativen Pole unserer Existenz sind also von größter Wichtigkeit, um Glück für uns überhaupt erfahrbar zu machen. Wir brauchen Herausforderungen in unserem Leben, die wir auch gern als „Probleme“ bezeichnen. Probleme sind also sinnvoll und nicht dazu da, uns willkürlich das Leben zu erschweren. Sie forcieren unser seelisches Wachstum und unterstützen uns dabei, unseren Seelenplan zu erfüllen. Leider ist es so, dass wir in der Regel noch nicht in der Lage sind, aus reiner Erkenntnis heraus zu lernen, sondern meist leidvolle, nervtötende oder Angst einflößende Erfahrung machen und verarbeiten müssen, um unser Wachstum voranzutreiben. Und der Sinn unserer Existenz ist nun einmal ganz klar auf Lernen, Erkennen und seelisches Wachstum ausgelegt.
Kann man den Sinn von Problemen nicht erkennen, steht die Frage im Vordergrund: „Warum passiert gerade mir das, warum immer ich?“, glaubt man, den anderen gehe es in jeder Beziehung besser als einem selbst. Dabei richtet sich der Blick meist nicht auf die eigene Person mit der Frage, was man selbst zur Entstehung des Problems beigetragen hat oder welche Lernaufgabe in ihm enthalten ist, sondern er richtet sich auf Situationen oder Personen, denen man die Schuld für die eigenen Probleme gibt . Löst sich das Problem nun durch glückliche Umstände, ohne dass man selbst erkannt hat, welche Lernaufgabe in ihm enthalten war, dauert es nicht lange, und eine neue, meist gleichartige Schwierigkeit stellt sich ein.
Es gibt sogar Menschen die unglücklich sind, wenn sich ihre Probleme auflösen. Sie sind so verwoben und identifiziert mit ihnen, dass sie diese im Laufe der Zeit als Teil ihrer Existenz und ihrer Persönlichkeit ansehen. Gibt es das Problem plötzlich nicht mehr, da es sich gelöst hat, lassen sich lieb gewordene Strategien und Verhaltensmuster nun nicht mehr anwenden, Glaubenssätze geraten ins Wanken. Die Selbstdefinition als ungerecht behandeltes Opfer, stumm Leidender, heroisch Kämpfender oder tapfer Ertragender entfällt und muss durch eine neue ersetzt werden. Das ist nicht immer leicht, gerade dann nicht, wenn das Problem schon geraume Zeit bestand. Nicht selten richten sich diese Menschen nun gegen ihre Helfer, belegen diese mit Vorwürfen und Schuldzuweisungen und schaffen sich damit prompt neue Probleme…
Die Aufgabe des Menschen ist es, sich am Leben zu erfreuen und aus ihm zu lernen. Spirituelle oder gar erleuchtete Menschen haben somit nicht weniger Schwierigkeiten, nur gehen sie anders mit ihnen um. Denn sie sind bereit, das Problem zu durchdringen, um erkennen zu können, was genau die unerfreuliche Situation oder die Menschen in ihrem Umfeld, mit denen es Schwierigkeiten gibt, sie lehren möchten. Damit ersparen sie sich langfristig, sich immer wieder mit denselben Themen herumschlagen zu müssen, denn was wir einmal verstanden haben, brauchen wir nicht ein weiteres Mal zu lernen. Dazu müssen wir nur in der Lage sein, analog zu denken. Dazu ein Beispiel:
Habe ich erkannt, dass Feuer heiß ist und mir die Finger verbrennt, brauche ich mich nicht erneut am Herd, einer Kerzenflamme, am Lagerfeuer oder einem Bunsenbrenner etc. zu verletzen. Ich selbst werde dafür sorgen, mich vor den negativen Auswirkungen des Feuers zu schützen.
Erwachte Menschen sind zudem in der Lage, sich aus einer Metaposition heraus selbst als Teil des Problems zu sehen; sie sind gewillt, ihre Schatten anzuschauen, ohne sich dabei autoaggressiv zu zerstören oder in der Opferhaltung einzurichten. Sie betrachten Schwierigkeiten als Herausforderungen die ihnen helfen, karmischen Altlasten und ungelösten Emotionen aus diesem Leben zu erkennen, aufzuarbeiten und sich endgültig von ihnen zu befreien.
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