„Was besagt sie?“, will Urban gespannt wissen.
„Sie stammt aus dem Buch der ungelösten Sprüche. Sie lautet:
Das Kind schläft lang und kurz danach
wird der Großkönig im langen Winter wach“
Voller Spannung sieht Wilbalt Urban an.
„Na, was sagst du?“
„Nichts.“ Der Mönch kann den Gedankengängen seines Gegenübers nicht folgen.
„Also für mich bedeutet das viel. So viel, dass ich es meinem König nur ganz vorsichtig sagen kann.“
„Wieso?“
„Verstehst du nicht? Wenn der lange Winter da ist, kommt ein neuer Großkönig und König Sigurd ist entmachtet. Welchem König behagt das schon? Hinzu kommt, dass ich glaube, den neuen Großkönig zu kennen.“
„Das ist wahrlich schlimm, für den König und auch für dich. Und was hat das mit dem Winter jetzt zu tun?“
„Wenn der Winter nochmal zurück kommt haben wir doch einen langen Winter, oder?“
„Ja, wenn.“, konstatiert Urban enttäuscht.
Das war wohl nichts.
Die Dämmerung beginnt, als ein Handelszug mit fünf schweren Ochsenwagen vor Magdas Herberge halt macht. Durch die offene Tür hat die Hausherrin dies bemerkt.
„Jungs, Arbeit und Lohn kommt auf uns zu.“, ruft Magda, die kleine Methildis auf dem Arm. Auf der Stelle erscheint Odo, ihr ältester 18jähriger Sohn, und übernimmt seine kleine Schwester, diese in die Kammer zu bringen. „Gute Nacht, mein Schatz, für dich wird es sowieso jetzt Zeit zu schlafen.“ Dabei küsst sie ihr Jüngstes auf die Stirn unter den von Natur aus lockigen Haaren. Rudwin, der 20 Atemzüge jünger ist als Odo und Magnus und Markward, das zweite Zwillingspärchen, bleiben bei ihrer Mutter stehen und harren der Dinge, die da kommen. Markward, der jüngste Junge, weil wenige Augenblicke nach Magnus geboren, hat Magdas Kampfstock mit gebracht und ihn ihr gereicht.
Auf sie zu kommt ein kräftiger, etwa 40jähriger Mann, vornehm, fast fürstlich gekleidet. Das dunkle Haar wird langsam grau, doch Brauen und Backenbart zeigen noch kein graues Härchen. Die blaugrünen Augen blicken streng und befehlsgewohnt. Die großen Hände an den starken Armen sind zupacken gewohnt. Im Moment hält die Rechte einen Wanderstock mit dickem Knauf. Unter der Tunika ist kein Bauch zu erkennen. Mit langen Beinen in dicken schwarzen Hosen erreicht der Mann eine Größe von gut fünf und einen halben Fuß. Sein Blick schweift durch die Gaststube. Mit Verwunderung nimmt er zur Kenntnis, dass hier Tische und Bänke in drei verschiedenen Größen vorhanden sind. Im Hintergrund findet sich der große Schanktisch, auf dem große Fässer ruhen. Verschieden große Trinkgefäße warten daneben darauf, gefüllt zu werden. Dickbauchige Kannen beinhalten sicherlich leckeren Wein. Daneben führt eine Tür in dahinter liegende weitere Räume und auch auf der linken Seite sind drei Türen. Wahrscheinlich sind dort die Schlafkammern für die Gäste.
Mit kratzig dunkler Stimme herrscht er Magda an: „Ich brauche eine Kammer für mich für diese Nacht und ein ordentliches Mahl. Meine Leute können im Stall schlafen und, falls vorhanden, könnt ihr ihnen einen Kanten altes Fladenbrot geben. Die brauchen nicht viel und kosten mehr, als sie leisten. Wasser können sie sich aus dem Brunnen holen.“ Bei diesen Worten baut er sich vor Magda breit auf und stützt dabei seine Hände auf den dicken Stockknauf.
Ungerührt von diesem Ton erwidert Magda freundlich. „Auch Euch wünsche ich einen guten Abend, Herr.“ Dann wird ihre Sprache zunehmend bestimmter: „Wie ihr mit eurem Gesinde umgeht, überlass ich getrost euch, doch mir und meinen Söhnen gegenüber benehmt euch gefälligst freundlich und respektvoll. Andernfalls könnt ihr euch umdrehen und gleich wieder diese Herberge verlassen. Es wird sich dann keine Kammer für euch finden.“
Im Gesicht des Händlers rührt sich kein Muskel. Ausgiebig mustert er die Frau und ihre Söhne. Rechts außen steht Markward, links außen Magnus, die 15jährigen Zwillinge. Gleich neben der Mutter haben links Odo und rechts Rudwin, die 18jährigen, Position bezogen. Dass die vier Brüder sind, ist mehr als deutlich und wer die Jungs nicht kennt kann die Zwillingspärchen nur sehr schwer auseinander halten. Alle vier haben fast schwarze naturgelockte Haare, braune Augen und wirken kräftig, aber nicht sonderlich muskulös. Odo hat eine Ecke an einem Schneidezahn verloren. Damit unterscheidet er sich von seinem „jüngeren“ Bruder. Magnus hat eine Narbe an der Nasenspitze, was ihn vom „kleinen“ Markward abweichend erkennbar macht. Alle haben betont die Arme vor der Brust verschränkt und blicken mehr oder weniger bestimmt ihren Gegenüber an.
Und lange bleibt des Händlers Blick auf Magdas Stock hängen. „Dann bin ich hier also richtig, in Magdas Schänke und Herberge, wie mir scheint. Wikerus hat euch trefflich geschildert. Er versprach mir, hier die besten Biere zwischen Franconovurd und Uulthaha zu finden. Ich soll euch von ihm grüßen. Er meinte, mit euch sei nicht gut Kirschen essen. Und vor eurem Stock solle ich mich in Acht nehmen.“
„Ah, Wikerus, der alte Betrüger. Er war nicht der Erste und wird wahrlich nicht der Letzte gewesen sein, der meinen Stock für Zechprellerei zu spüren bekommt. Fortan kassier ich zuvorderst, eh ich bedien.“ Magda erinnert sich gut an den Händler, der versuchte, ohne zu zahlen ihr Haus zu verlassen. „Wie geht es ihm? Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen. Euch hingegen sah ich noch nie auf der Straße. Wie nennt ihr euch?“
„Ich bin Pessolt aus Moguntia. Wikerus ist zu alt für dieses Gewerbe. Er hat mir sein Handelsgeschäft verkauft und genießt nun das Leben auf dem Hof seines Sohnes. Ich bringe nun die Waren an den Mann, so er denn genügend zahlen kann. Nun, wie ist es mit Schlafplatz und Nachtmahl? Oder wollt ihr etwas kaufen?“
„Eine Kammer hätte ich hier zur Linken von euch, wo ihr bequem ruhen könnt. Als Speise habe ich heute einen Eintopf mit Fleisch vom Wildschwein oder gut geräucherten Schweinebauch, den ich mit frischen Eiern braten kann, wenn’s beliebt. Was die Biere angeht, so will ich wohl meinen, das Allerbeste bieten zu können. Ich habe Mönchsbier aus St. Wolfgang und Zwergenbier aus Steinenaue in den Fässern. Was habt ihr denn anzubieten, das ihr mir verkaufen wollt?“
„So nehm ich wohl vom Eintopf, Frau Magda, und die Kammer. Übers. Geschäft reden wir später.“ Der Händler blickt sich um und nimmt an einem Tisch Platz. Zuvor greift er unter seine Tunika und holt einen ledernen Beutel heraus, dem er ein paar Kupferstücke entnimmt. Diese legt er mit den Worten: „Dies mag wohl auch noch für einen guten Schluck Bier reichen.“ auf den Tisch.
„Und der junge Herr hier?“
Magda blickt nun den jungen Mann an, der gleich hinter dem Händler den Raum betreten und bis eben ruhig im Hintergrund gewartet hat.
Der Händler wendet sich um und meint: „Das Bürschchen gehört nicht zu mir. Er ist nur heute Morgen hinzu gestoßen. Er geht seinen eigenen Geschäften nach, nehme ich an.“
Das Bürschchen ist ein schmächtiger Jüngling von höchstens 19 Jahren, kaum fünf Fuß groß und deutlich weniger gut gekleidet, als der Händler. Die Gewandung scheint ein wenig zu weit. Das etwas dunkelrote Haar ist leicht wellig und recht kurz geschnitten. Gesicht und Hände wirken sehr fein, grobe Arbeit muss dem Jungen wohl fremd sein. Die Stimme kippt beim Reden immer wieder um, als sei er noch im Stimmbruch.
„So ist es.“, bestätigt der junge Mann. „Es ist sicherer, mit einem Händler zu reisen, denn alleine. Ich bin Kuno, Frau Magda. Ich wäre mit einem Schlafplatz in der Scheune und einem Stück Bauch zufrieden. Reicht euch dies?“
Kuno hält ihr ein großes Kupferstück hin und blickt sie irgendwie schüchtern an.
Pass auf dich auf, Jüngelchen, denkt sich Magda. Wenn du Handeln willst, musst du bestimmter auftreten. Hoffentlich wird dein Lehrgeld dich nicht teuer zu stehen kommen.
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