„Seit Beatas Geburt vor 19 Jahren hab auch ich mich ein wenig verändert.“ Bisher hat der Drache noch niemandem von seinem Erlebnis mit dem Elben (oder was auch immer) erzählt. Also weckt diese Bemerkung Sigurds Neugier.
„Ach! Nun ja, es war denkbar knapp und wenn du sie nicht beatmet hättest oder was du da gemacht hast, hätten wir nicht den ganzen Spaß mit ihr gehabt. Ich denke immer noch …“, will der Zwerg in Erinnerung rufen, doch Eringus unterbricht ihn etwas unwirsch. „Ich war sehr oft dabei. Und wenn nicht, hab ich alles schon oft genug erzählt bekommen.“
„Ist ja gut.“, brummt nun seinerseits Sigurd, etwas beleidigt ob der Unterbrechung.
„Mir ist es ernst. Da kommt nichts Gutes auf uns zu.“
„Wie? Was? Woher? Jetzt sprich endlich und stammel hier nicht so rum.“
„Pff.“, macht Eringus zum Zeichen eines verächtlichen Missfallens. „Ich stammle nicht, ich komm nur nicht recht zu Wort.“
„Dann red endlich“, fordert Sigurd ihn gequält auf.
„Wenn ich hoch in der Luft fliege, sehe ich weit im Osten dickes schwarzes Gewölk, auf breiter Fläche ganz langsam auf uns zu kommen. Als würden die Wolken in unsere Richtung geschoben.“
„Blödsinn, du musst dich irren. Zu dieser Jahreszeit kommt das Wetter hier im Land aus dem Westen und bringt warme Luft zu uns. Man spürt es, man riecht es, man fühlt es. Was da im Osten los ist, kommt nicht hierher.“ König Sigurd ist sich sicher, dass der Drache einem Irrtum unterliegt, aber dann doch nachdenklich: „Das solltest du doch eigentlich wissen. Was ist da merkwürdig?“
„Jetzt kommst du langsam mit, Zwerg. Es ist nicht normal. Das Wetter kommt aus Westen. Vollkommen richtig. Doch die Wolken kommen aus dem Osten. Was also ist da nicht richtig? Ich weiß es nicht. Auch ist es noch viel zu weit entfernt, als dass ich mich aufmachen könnte, es zu erkunden. Ich wäre viele Tage lang hier weg und ich glaube, das wäre gerade jetzt nicht besonders vernünftig.“ Er merkt den Blick des Zwergen und ergänzt in fast resignierendem Ton: „Ich weiß, das ist auch nur ein Gefühl. Aber irgendetwas in mir sagt mir, dass ich darauf hören soll. Irgendetwas Unerklärliches.“ Recht ärgerlich aber fügt er noch hinzu: „Ich hasse Glaube und alles was dazu gehört. So verdammt unerklärlich.“
* * * * *
Tatsächlich ist die Gruppe um Prinzessin Carissima nach zwei Tagen aufgebrochen und wohlbehalten in Kleyberch angekommen. Abgesehen von zwei Bettlern hat keiner versucht, sie aufzuhalten oder gar zu überfallen. Zwar lag die eine oder andere Gruppe im Hinterhalt, doch wagte sich keiner an die Zwerge. Im ganzen alten Reich und dem Wettergau ward inzwischen bekannt, dass mit diesem Volk nicht zu spaßen ist und sie sogar einstmals hier die Herren waren. Da hält man sich doch lieber respektvoll bedeckt.
Auch wenn von der eigentlichen Pracht der Festung überhaupt nichts mehr erkennbar ist, so macht der riesige Steinhaufen einen enormen Eindruck auf Carissima. Vielleicht ist es aber auch die Überwucherung durch die Pflanzen, die dem Ganzen etwas Geheimnisvolles gibt. Mit großen staunenden Augen steht sie vor den Trümmern. Obwohl es nur eine kleine Festung, eher als Vorposten zu bezeichnen, gewesen ist, lebten hier einst bis zu dreitausend Zwerginnen und Zwerge. Vieles war ähnlich der Steinenaue angeordnet, erfährt Carissima. Leider ist nun aber auch vieles nicht mehr zugänglich. Interessanter Weise reichen die Zerstörungen bis tief zu den Wohnebenen hinab, während die dazwischen liegende Höhle der Heiler nahezu unbeschädigt geblieben ist. Hier hatten bis vor Jahren die überlebenden Kleybercher Zwerge gewohnt. Auch ein Teil der Stallungen blieb weiterhin nutzbar. Dort fand sich auch alles, was zum Neustart der wieder Erwachten nötig war. Auf recht begrenztem Raum harrte man dann aus, bis völlig unerwartet, doch lange sehnlichst erhofft, die Abordnung aus Steinenaue erschien.
„Hier habt ihr also gelebt.“, stellt Carissima fest. Der Raum der Heiler ist weitläufig und im hinteren Bereich in einzelne Kammern unterteilt, wo jeder sein Rückzugsgebiet hatte. Das Brilium versieht nach wie vor seinen Dienst und die Halle ist hell erleuchtet.
„Ja. Eine der Kammern dort hinten bewohnte ich mit Anschild.“, erklärt Dankwart Hammerfest.
„Und es war alles fertig vorbereitet?“, fragt die Prinzessin.
„Ja, wir mussten die Restfestung nur noch in Besitz nehmen. Kochstellen, Schlafkammern, Waschräume, alles was zum Leben benötigt wird, war vorhanden. So hatte die Halle vor dem Krieg nie ausgesehen. Man möchte den Eindruck gewinnen, dass, während wir schliefen, hunderte von Helfern um uns herum wuselten und alles herrichteten. Keiner hat bis heute dafür eine Erklärung finden können.“
Carissima mustert weiter die weite Halle. „Recht schmucklos alles.“
„Das ist wahr. Es ist schmucklos und sicher hätten wir uns auch um entsprechende Arbeiten gekümmert, doch keiner fühlte sich dazu berufen. Ehrlich gesagt, haben wir uns auch nicht sonderlich daran gestört. Wir waren alle Zeit beschäftigt, uns zu versorgen. Die wenige freie Zeit haben wir dann lieber gemeinsam verbracht. Viel zu sehr plagte uns die Frage, was geschehen war und welche Zeit vergangen war. Denn das war uns klar, der Krieg war nicht erst seit gestern vorbei.“
„Und weitere Räume hattet ihr nicht?“
„Nein, Prinzessin. Bis auf die Stallungen und wenige Nebenräume fand sich kein weiterer zugänglicher Raum. Das war auch das Wunder, dass erst durch eure Leute die Halle mit den Büchern gefunden wurde. Ungezählte Male sind wir an dem Zugang vorbei gegangen. Sehr oft wurde mit Hämmern nach Gängen oder Hohlräumen geklopft. Nichts erschloss sich uns. Es muss erst ein Zwerg aus Steinenaue kommen und mit dem Kopf daran stoßen, damit sich der Zugang öffnet.“
„Führt ihr mich bitte hin. Ich möchte mir selbstverständlich auch diese Halle ansehen.“, bittet Carissima.
„Wenn ihr es wünscht, natürlich gerne.“
Gemeinsam wandelt die kleine Gruppe in Richtung der Ställe durch die auch hier schmucklosen Gänge. Dann führt ein Weg nach links, wie es in Zwergenfestungen üblich ist. Der Überrest des früheren allumfassenden Wendelganges. Die Räume und Hallen liegen immer zur Linken der sie umwindenden Wege.
„Sagt, Dankwart, lagen hier eigentlich keine Trümmer herum? Es ist alles sehr aufgeräumt und frei, obwohl es nicht benutzt wirkt.“, fragt die Prinzessin.
„Ihr habt gut beobachtet. Tatsächlich war der Weg so frei auch schon zu seiner Entdeckung. Kein Stäubchen lag am Boden und das Brilium leuchtete wie wohl vor Jahrhunderten. Und wie ihr seht, gibt es hier auch ein wenig Zierde an den Wänden.“
Ab und an war rechts oder links an der Gangwand das Bild eines Zwergen oder einer Zwergin bei handwerklicher Tätigkeit oder bei kämpferischen Übungen.
„Einen Moment bitte, Dankwart. Das ist doch der Wegweiser zu den Übungsräumen der Krieger. Der aber sollte doch wohl deutlich weiter oben liegen. Ist dies eine Abkürzung?“
„Merkwürdig. Von dieser Stelle gab es noch nie einen direkten Weg dorthin. Was also soll hier ein Wegweiser dorthin?“, wundert sich der Angesprochene.
„Es gab diese Hinweise immer nur an den Stellen, die dem Eingang gegenüber waren und daneben waren die Hinweise, was als nächstes kommen würde. Solch einen Wegweiser alleine gab es niemals, Dankwart.“, mischt sich nun Anschild in die Unterhaltung. Leise für sich ergänzt er: „Der muss ganz neu sein.“ Dabei befühlt er den Stein als könne er daran das Alter des Hinweises erkennen.
„Ihr wolltet doch in die Halle, wo die Bücher gefunden wurden.“, fordert Dankwart Hammerfest zum weiter gehen auf. Innerlich ist er sehr irritiert.
Nach kurzer Zeit steht die Prinzessin vor den leeren Steinregalen, in denen das Wissen und die Geschichte der Zwerge gelagert waren. Der Gang endet kurz nach dem Bibliothekseingang, als sei er nie weiter getrieben worden.
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