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Das Jahr ging dahin und es war ein gutes Jahr. Die Ernte fiel ausgesprochen üppig aus. Und der Winter der Prophezeiung kam. Es war ein später Winter, und es war ein kalter Winter, aber es war ein kurzer Winter.
Lenzing im Jahre 620 ist vorbei, es wird wärmer, Eis und Schnee sind geschmolzen. Die Schneeglöckchen sind längst schon wieder verblüht.
Wilbalt, der Zwerg, und Urban, der Mönch, grübeln über den kargen Texten und suchen nach einer Erklärung, warum sie sich so fürchterlich haben täuschen können. Alles schien doch so eindeutig.
Kleyberch – auf ewig geheimnisvoll und wundersam
„Dankwart, ich brauche deine Hilfe.“
Anschild Kleyberch, der jüngste Zwerg aus Kleyberch, von dem keiner weiß, wer er ist und woher er stammt, ist verliebt in König Sigurds Tochter Carissima. So weit, so gut und auch überhaupt nicht verwunderlich. In ihrem dreißigsten Lebensjahr ist die Prinzessin ein Anblick, der fast alle männlichen Zwerge ins Schwärmen und Träumen bringt. Besonders ihr Mund hat es Anschild angetan. Gleich, was sie auch spricht, er hängt mit seinem Blick wie hypnotisiert an ihren vollen Lippen, die so herzzerreißend schmollen können. Jedes Wort saugen seine Augen förmlich aus ihr heraus ohne zu hören oder gar zu verstehen, was sie ihm sagt. Peinlicher Weise muss er dann immer wieder nachfragen, was sie gerade von ihm will. Irgendwann, so denkt er sich, werde ich an diesen Lippen knabbern. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg und Dankwart soll ihm nun dabei helfen.
Anschild hat den Wohnraum seines Ziehvaters betreten, wo jener sich gerade über Texte im Buch >Utz wider die Alben< Gedanken macht. Es fällt nicht nur ihm schwer zu begreifen, dass er über 800 Jahre in der zerstörten Festung Kleyberch geschlafen hat. Für ihn hat dieses Buch eine ganz andere Bedeutung, als für die Steinenauer Zwerge. Ist es für die Letzteren die Erzählung aus alten Zeiten, so ist es für Dankwart eher der Bericht der Geschehnisse von gestern. Für eine kurze Zeit war er Teil dieser Geschichte. Nun hebt er den Kopf und sieht Anschild mit müden braunen Augen an. Sein Studium dauert schon eine lange Weile und es hat ihn leidlich erschöpft. Er trägt eine lederne alte Hose, ein etwas schmutziges helles Leinenhemd, das etwas über der starken Brust spannt und darüber eine lederne Weste. Das schulterlange braune Haar mit dem leicht blonden Schimmer hängt ihm etwas vor das Gesicht und er schnickt es mit einer kurzen Kopfbewegung zur Seite.
„Was hast du auf dem Herzen?“
„Die Liebe, Dankwart, ich bin verliebt.“ Die Anrede Vater war niemals gebräuchlich zwischen den Beiden. Verständlich, wurde der kleine Anschild ohne weitere Erklärung oder Namensnennung dem damals verletzten Krieger einfach in den Arm gedrückt, zum Schutze anvertraut. Es war nie ein Geheimnis für den Knaben, dass er einen Ziehvater hat.
„Ich weiß. Man kann es sehen. Und?
Du meinst, der Frühling des Jahres 620 muss nach dem kurzen Winter die Gefühle umso höher wallen lassen?“
Der junge Zwerg überhört die Lästerung seines Ziehvaters. „Ich will mich der Prinzessin Carissima erklären und weiß nicht wie.“
„Das schlag dir einfach aus dem Kopf und das Problem ist gelöst.“ Fast leidenschaftslos gibt Dankwart diesen Rat und verblüfft Anschild völlig.
„Was? Wieso? Äh, warum aus dem Kopf schlagen?“ Ein unbegreiflicher Rat für einen Verliebten.
„Sie ist die Tochter des Großmächtigen, darum.“ In dieser Erklärung ist für Dankwart alles enthalten, was der Begründung dient. Doch damit weckt er natürlich den Widerstand seines Ziehsohnes.
„Pah, Großmächtiger. Den Titel hat er sich angeeignet. Der gebührt nur demjenigen, der über eine Vereinigung von Königen herrscht..“
„Die es aber zurzeit nicht gibt, denn es gibt nur noch einen König und ein Zwergenreich.“, fällt ihm Dankwart ins Wort. „Ich halte es für zulässig, dass er diesen Titel führt und bin mir sicher, er gibt ihn ab, wenn ein anderes Volk mit einem eigenen König erscheint.“
„Sind wir nicht ein eigenes Volk, wir Zwerge aus Kleyberch? Warum haben wir keinen König?“, bohrt Anschild hartnäckig nach.
„Ein Volk? Ein eigener König? So ganz ohne Königreich? Was hast du für Ideen? Wir sind eine Ansammlung von Zwergen verschiedenster Herkunft aus einem ehemaligen kleinen Vorposten des Königreiches des verstorbenen Großkönigs Manegold Schmiedehammer. Und selbst wenn, so wärest du sicher nicht der Prinz. Nein, nein, vergiss es. Sie ist eine Prinzessin und was bist du?“
„Wie soll ich wissen, was ich bin, wenn ich nicht einmal weiß, wer ich bin.“ Das ist ein Schlag in eine schwärende Wunde des jungen Zwerges. Seine unbekannte Herkunft plagt ihn sehr. „So behaupte ich ab sofort, ich bin der jüngste Sohn des letzten Großkönigs. Du selbst hast die Rüstung des Kriegers, der mich dir übergab, nicht erkannt. Wer will mir das Gegenteil beweisen?“
„Und wie willst du es beweisen? Wie willst du vor dem Gelöbnis deine Verwandtschaften belegen. Du darfst sie nur heiraten wenn klar ist, dass ihr nicht blutsverwandt seid. Das solltest du wissen.“
Betroffen blickt Anschild auf seine Füße, die in bequemen Holzschuhen stecken. An diese Vorschrift der Zwerge vor dem Gelöbnis hat er nicht gedacht.
„Das kann ich nicht.“, gibt er kleinlaut zu. Da fällt ihm ein: „Von euch ist doch auch nicht einer mit den Zwergen hier verwandt. Warum sollte ich es dann sein?“
„Weil du im Grunde kein Kleybercher bist. Bedenke, warum ich dich so benannt habe. Als Kind bist du Teil unserer Gemeinschaft geworden. Und darin liegt auch dein nächster Denkfehler. Wärest du tatsächlich ein Sohn des letzten Großkönigs, Manegold Schmiedehammer, so wäre es durchaus denkbar, dass du mit der Prinzessin verwandt bist. Noch ein Einfall?“
Mit hängenden Schultern steht er vor Dankwart. „Nein, im Moment leider nicht.“, antwortet er betrübt. „Aber ich gebe nicht auf.“, fährt er mit aufflammendem Trotz fort. „Ich werde einen Weg finden. Ich muss, denn sie ist die Einzige, die mir gefällt.“
„Ich weiß, dazu kommt: Sie ist die Einzige, in deinem Alter. Für dich gibt es hier kein anderes Mädchen. Es sei denn, du würdest dich den Menschenmädchen zuwenden.“
„Danke, nein, davon hab ich nichts. Fänd ich wirklich eine, die ich lieben könnte, hätte ich nicht viel davon, weil sie sehr viel früher sterben würde, als ich. Dann hätte ich vielleicht am Ende drei oder vier Frauen gehabt. Das ist nichts für mich.“
* * * * *
Ja, das ist tatsächlich ein Problem. Für alle Kleybercher Zwerge hat sich im Laufe der Zeit ein Lebenspartner gefunden. Die neu gefundenen Zwerge waren sämtlich im heiratsfähigen Alter. Keiner zu alt oder zu jung. Ausgenommen Anschild.
Auf der anderen Seite sieht allerdings auch Carissima dies als ein Problem an. Rein standesmäßig hat sie nicht die Probleme, die Anschild behindern. Sie kann einen Bund mit einem von niedrigerem Stande eingehen. Dass ihre Eltern, Sigurd und Hemma, damit nicht unbedingt glücklich wären, ist keine Frage. Wen aber sonst sollte sie zum Gemahl nehmen? Rein altersmäßig gibt es nur Anschild. Denkt sie an den jungen Zwerg, wird ihr ganz warm ums Herz und ein seltsames Gefühl durchströmt ihren Körper. Er sieht aber auch gut aus. Breite Schultern mit Armen wie eine Keule. Dazwischen ein Nacken, der jedem Stier zur Ehre gereicht hätte. Die muskulöse Brust wird durch die schmale Taille deutlich betont. Die strahlenden grünen Augen, die wallende hellblonde Mähne ungebändigter Haare, die sanften Lippen und der Bart erst, scharf am Kieferknochen abgesetzt zieht sich ein nur fingerbreiter Streifen vor bis zum Kinn, wo die Vereinigung mit dem Oberlippenbart dann einen Kinnbart ergibt, welcher sich bis hinab zur Brust wellt. Carissima kann sich sehr gut vorstellen, ausgiebig in diesem Bart zu kraulen.
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