Man befand sich am 10. September unterm 5° 37' Breite und 31° 15' Länge, als Glenarvan Kenntniß von etwas bekam, was vielleicht die Gelehrtesten nicht wissen. Paganel erzählte die Geschichte Amerika's, und ging dabei bis auf Christoph Columbus zurück; zuletzt sagte er, der berühmte Genuese sei gestorben, ohne zu wissen, daß er eine neue Welt entdeckt habe.
Alle Zuhörer schrieen auf. Paganel blieb bei seiner Behauptung.
»Es ist so gewiß, als irgend Etwas, fuhr er fort. Ich will des Columbus Ruhm nicht herabsetzen, aber die Thatsache ist ausgemacht. Am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts waren die Geister nur auf das eine Ziel gespannt: den Verkehr mit Asien zu erleichtern, und durch die Westfahrten den Orient zu suchen, mit einem Wort, den kürzesten Weg in's »Land der Gewürze«. Nach diesem Ziel trachtete Columbus. Auf seinen vier Reisen berührte er Amerika an den Küsten von Cumana, Honduras, Moskitos, Nicaragua, Veragua, Costa-Rica, Panama, welche er für Theile von China und Japan nahm, und er starb, ohne von der Existenz des großen Kontinents Kenntniß zu haben, auf den er nicht einmal seinen Namen vererben sollte!
– Ich will's Ihnen glauben, lieber Paganel, erwiderte Glenarvan; doch erlauben Sie mir, daß ich überrascht bin und Sie frage, welche Seefahrer haben das Richtige in Hinsicht der Entdeckungen des Columbus erkannt?
– Seine Nachfolger, Ojeda, der ihn schon auf seinen Fahrten begleitet hatte, so wie Vincent Pinzon, Vespucio, Mendoza, Bastidas, Cabral, Solis, Balboa. Diese Seefahrer befuhren die Ostküsten Amerika's; sie bestimmten ihre Grenzen, indem sie weiter nach Süden drangen, von derselben Strömung getragen, welche jetzt, nach dreihundertundsechzig Jahren, uns fortreißt! Sehen Sie, meine Freunde, wir haben jetzt den Aequator an derselben Stelle durchschnitten, wo Pinzon im letzten Jahre des fünfzehnten Jahrhunderts ihn durchschnitt, und wir nähern uns dem achten Grad südlicher Breite, unter welchem er an Brasilien landete. Ein Jahr hernach gelangte Cabral bis zum Hafen Seguro. Darauf kam Vespucio bei seiner dritten Fahrt, im Jahre 1502, noch weiter nach Süden. 1508 traten Vincent Pinzon und Solis in Verbindung, um gemeinsame Erforschung der Gestade Amerika's, und im Jahre 1514 entdeckte Solis die Mündung des Rio de la Plata, wo er von den Eingeborenen aufgefressen wurde, und mußte Magelhaen den Ruhm zukommen lassen, die Grenzen des Festlands zu finden. Dieser große Seefahrer fuhr im Jahre 1519 mit fünf Fahrzeugen ab, den Küsten Patagoniens entlang, entdeckte den Hafen Désiré, den Hafen San-Julian, wo er sich lange Zeit aufhielt, fand unter'm zweiundfünfzigsten Breitegrad die Enge der elftausend Jungfrauen, welche hernach seinen Namen bekam, und gelangte am 28. November in den Stillen Ocean. Ach! wie mußte er sich freuen, wie schlug ihm das Herz, als er am Horizont ein neues Meer im Sonnenschein funkeln sah!
– Ja, Herr Paganel, rief Robert Grant, begeistert von den Worten des Geographen, ich hätte dabei sein mögen!
– Ich auch, lieber Junge, und ich hätte die Gelegenheit nicht versäumt, wenn mich der Himmel hätte drei Jahrhunderte früher leben lassen!
– Das wäre für uns sehr zu bedauern, Herr Paganel, erwiderte Lady Helena, denn da könnten Sie nicht uns hier die Geschichte erzählen.
– Das hätte dann ein Anderer statt meiner gethan, Madame, und hätte hinzugefügt, daß man die Entdeckung der Westküsten den Brüdern Pizarro verdankt. Diese kühnen Abenteurer waren große Städtegründer. Cusco, Quito, Lima, Santiago, Villarica, Valparaiso und Concepcion, wohin wir jetzt fahren, sind von ihnen angelegt worden. Zu dieser Zeit schlossen sich Pizarro's Entdeckungen an die Magelhaen's an, und die amerikanischen Küsten erschienen zur großen Befriedigung der Gelehrten der alten Welt auf den Landkarten.
– Ei, ich, sagte Robert, wäre damit noch nicht befriedigt gewesen.
– Warum denn? erwiderte Mary, und sah ihren Bruder an, der an der Geschichte dieser Entdeckungen eine leidenschaftliche Freude hatte.
– Ja, lieber Junge, warum? fragte Lord Glenarvan mit aufmunterndem Lächeln.
– Weil ich hätte wissen mögen, was für Land noch über der Magelhaen'schen Straße hinaus lag.
– Bravo, mein Freund, entgegnete Paganel, ich hätte auch wissen mögen, ob sich das feste Land bis zum Pol erstrecke, oder ob da ein freies Meer sei, wie Drake, Ihr Landsmann, Mylord, vermuthete. Es ist also ausgemacht, daß, wenn Robert Grant, und Jakob Paganel im sechzehnten Jahrhundert gelebt hätten, sie mit Schouten und Lemaire zu Schiffe gegangen wären, zwei Holländern, welche dieses geographische Räthsel zu lösen beflissen waren.
– Waren's Gelehrte, fragte Lady Helena.
– Nein, aber kühne Kaufleute, welchen an wissenschaftlichen Entdeckungen sehr wenig lag. Es bestand damals eine holländisch-ostindische Handelsgesellschaft, welche den ganzen Handel, der durch die Magelhaen'sche Straße getrieben wurde, unbedingt beherrschte. Da nun damals noch kein anderer Weg bekannt war, um auf einer Ostfahrt nach Indien zu kommen, so lag in jenem Vorrecht ein wahrer Alleinhandel. Daher entschlossen sich einige Kaufleute, durch Entdeckung einer anderen Straße jenes Monopol zu bekämpfen; unter ihnen befand sich ein gewisser Isaak Lemaire, ein einsichtsvoller und unterrichteter Mann. Er bestritt die Kosten einer Fahrt, welche von seinem Neffen, Jakob Lemaire, und Schouten, einem trefflichen Seemann aus Horn, unternommen wurde. Diese kühnen Seefahrer fuhren im Juni 1615 ab, beinahe hundert Jahre nach Magelhaen, und entdeckten die Straße Lemaire, zwischen dem Feuerland und Staatenland, und am 12. Februar 1616 fuhren sie um das berühmte Cap Horn, welches mit mehr Recht, als das Cap der guten Hoffnung den Namen »Vorgebirge der Stürme« verdiente!
– Ja gewiß, wär' ich nur dabei gewesen! rief Robert aus.
– Und Du hättest da lebhafte Befriedigung gefunden, lieber Junge, fuhr Paganel mit Eifer fort. Es giebt in der That keine ächtere Freude, als die Befriedigung des Seefahrers, der seine Entdeckungen auf die Karte zeichnet. Er sieht unter seinen Augen die Länder, Insel bei Insel, Vorgebirg bei Vorgebirg allmälig Gestalt gewinnen, und sozusagen aus den Wogen auftauchen. Anfangs sind die umgrenzenden Linien unbestimmt, stückweise und unterbrochen, hier ein vereinzeltes Cap, dort eine abgetrennte
Bucht, weiter ein Golf, der sich hinauszieht. Hernach ergänzen sich die Entdeckungen, die Linien rücken zusammen, die Pünktchen werden zu Strichen; die Baien weiten sich aus zu Gestaden, die Caps stützen sich auf ein bestimmtes Uferland; endlich entfaltet sich das neue Festland mit seinen Seen, Strömen und Flüssen, seinen Gebirgen, Thälern und Ebenen, seinen Dörfern, Flecken und Städten auf der Erdkugel in seinem vollen Glanze! Ach! meine Freunde, ein Landentdecker ist ein wahrer Erfinder! Es giebt da freudige Ueberraschungen! Aber gegenwärtig ist diese Fundgrube fast ausgebeutet! Man hat Alles, was es von Festland und neuen Welten giebt, gesehen, untersucht, ergründet, und es bleibt uns, die wir zuletzt kommen, in der Geographie nichts mehr zu thun übrig!
– Ja doch, lieber Paganel, erwiderte Glenarvan.
– Was denn?
– Das, was wir jetzt vorhaben!«
Unterdessen segelte der Duncan auf dieser Straße des Vespucio und Magelhaen mit wunderbarer Schnelligkeit weiter. Am 15. September durchschnitt er den Wendekreis des Steinbocks, und sein Vordertheil ward schon der Einfahrt in die berühmte Meerenge zugekehrt. Mitunter wurden schon die flachen Küsten Patagoniens sichtbar, aber als ein am Horizont kaum sichtbarer Streifen; man fuhr über zehn Meilen davon entfernt hin, und Paganel's Fernrohr gab ihm nur einen unbestimmten Begriff von diesen amerikanischen Gestaden.
Am 25. September befand sich der Duncan auf der Höhe der Magelhaen'schen Straße, und fuhr ohne Zaudern in dieselbe ein. Die Dampfschiffe, welche sich in den Stillen Ocean begeben, ziehen im Allgemeinen diesen Weg vor. Seine Länge beträgt genau nur dreitausendsiebenhundertundsechzig Kilometer; die Fahrzeuge vom stärksten Tonnengehalt finden da stets tiefes Wasser, selbst dicht an seinen Ufern, vortrefflichen Ankergrund, zahlreiche Wasserplätze, fischreiche Flüsse, Wälder voll Wild, an zwanzig Stellen sichere und leicht zugängliche Landeplätze, kurz, unzählige Hilfsmittel, welche der Straße Lemaire und dem fürchterlichen Felsen des Cap Horn abgehen, die von Orkanen und Stürmen beständig heimgesucht werden.
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