››Wenn ich es dir erzähle, dann glaubst du es sowieso nicht.‹‹
››Ich glaube dir, ehrlich.‹‹
››Ich wollte mich umbringen, hatte alles schon vorbereitet. Die Schlafpillen lagen bereit auf den Tisch, der Alkohol, mit dem ich sie nehmen wollte auch. Dann habe ich... .‹‹
››Was hast du?‹‹
››Das sage ich dir nicht.‹‹
››Mache doch, ich erzähle es keinem weiter.‹‹
Maximilian hatte Angst, ihm die Wahrheit von dem Lottogewinn zu erzählen, denn er wollte keinen Neid erzeugen. Er vertraute Rainer, doch wenn es um so viel Geld ging, dann war man besser vorsichtig. Er wollte noch lebend zu seiner Familie zurückkehren und nicht tot im Wald liegen.
››Ich habe den unheimlichen Willen gewonnen, mit meinem Leben weiterzumachen. Meine Zeit war noch nicht gekommen. Das kannst du dir nicht vorstellen, was ich dort gespürt habe.‹‹
››Dann hast du ja nochmal Glück gehabt. Ich hätte es ehrlich gesagt nicht ertragen, dich zu verlieren, Maxi.‹‹
››Nun bin ich ja hier. Mache dir keine Sorgen. Heute hat ein neues Leben begonnen.‹‹
››Ich finde deinen Optimismus Klasse. Mache weiter so, dann schaffst du es.‹‹
››Ich werde mir alle Mühe geben.‹‹
Sie schweigen und erreichten nach einiger Zeit den Recycling-Hof. Es war kurz vor zehn Uhr Abends und die Nacht war hereingebrochen. Ein sternenklarer Himmel zeigte sich und es war angenehm warm. Das war der perfekte Zeitpunkt, symbolisch die Alkoholreste zu entsorgen. Maximilian und Rainer stiegen aus.
››Du musst nicht die Säcke herausholen. Ich will es alleine machen.‹‹
››Wie du willst.‹‹
Maximilian nahm die Säcke aus dem Kofferraum und lief zu dem großen Restmüll-Container, der in der Erde eingegraben war. Restmüll bedeutete, dass er entweder verbrannt oder auf eine Müllkippe gebracht wurde. Jedenfalls musste sich Maximilian hier keine Sorgen machen, dass nochmal jemand seinen Müll durchsuchte, denn das würde ihm höchst unangenehm sein.
Er hielt die Säcke in der Hand, fühlte sie Sehnsucht nach Waltraud und den Kindern. Den ersten Schritt hatte er getan, sein Haus vom Alkohol befreit. Nun war der zweite Schritt dran. Maximilian dachte an den Schmerz, den der Alkohol ihm bereitete. Er nahm kräftig Schwung mit dem Arm und schmiss die vier Säcke in den Container. Mit einem lauten Klirren, verschwanden sie in der Tiefe des Müllbergs.
››Nie wieder‹‹, sagte Maximilian zu sich selbst.
››Bist du fertig?!‹‹
››Ja, ich komme.‹‹
Maximilian lief zurück zum Taxi und spürte, dass der Entzug diesmal etwas werden konnte, dass er vielleicht eines Tages zu Waltraud und den Kindern zurückkehren würde.
Waltraud saß mit Peter und Jochen im Zimmer der Direktorin Frau Anja Frey, eine etwas korpulentere Frau mit dunkelblonden langen Haaren und einer Brille auf. Ihr Gesicht hatte schon einige Falten und sie saß erwartend auf ihrem Chefsessel. Alle warteten sie auf die Graciello-Kinder, die schon fünf Minuten zu spät waren. Es war bereits fünf nach zwei Uhr nachmittags und Frau Frey wurde langsam ungeduldig. Es war zwar normal für die Graciello's, aber sie fragte sich, warum sie sie alle noch nicht von der Schule geschmissen hatte. Der Grund war ihr insgeheim klar – Sie hatte Angst vor der ganzen Familie, denn das, was sie fast jeden Tag mit ihnen erlebte, reichte ihr aus, um immer noch ein Auge zuzudrücken. Es war die angenehmere Variante, als sich mit der gesamten Familie Graciello anzulegen.
Dennoch war sie verärgert über sich, dass sie so schwach war und vor ihnen Angst hatte. Als sie Waltraud anblickte und Peter mit seinem angeschwollenen Gesicht sah, kamen ihr innerlich die Tränen. Wie konnten diese kleinen Teufel so etwas machen?
››Frau Junker, ich denke, dass wir noch fünf Minuten warten, dann müssen wir leider abbrechen.‹‹
››Die lassen sich extra Zeit‹‹, sagte Waltraud, ››aber ich bleibe hier, bis ich eingehe. Haben die etwa Angst, oder was?‹‹
››Oh, das könnte man denken‹‹, erwiderte Frau Frey, ››aber glauben sie mir Frau Junker, ich habe schon unzählige Male vergeblich versucht, Angst, geschweige denn Menschlichkeit, aus ihnen herauszukitzeln. Sie sind Teufel und man bekommt sie nicht klein.‹‹
››Haben sie schon aufgegeben, Frau Frey?‹‹
››Kann man wirklich so sagen. Sie bewegen sich in Grauzonen, die Eltern schicken die Kinder los, um zu klauen, und so weiter. Und sie predigen ihnen, jeden abwertend zu behandeln, der nicht zu ihrer Familie gehört.‹‹
››Ich habe keine Angst, Frau Frey, selbst wenn sie mir drohen. Meine Kinder verletzt nur jemand über meine Leiche.‹‹
Es klopfte laut an der Tür.
››Herein‹‹, rief Frau Frey und stand auf.
Die Tür ging auf und im Eingang standen drei Jungs mit schwarzen Haaren, Sonnenbrillen nach oben geklappt, Lederjacken, blauen Jeans und Turnschuhen. Sie sahen schon von Weitem ungemütlich aus und blickten kühl und abwertend die vier im Raum an.
››Das sind die Jungs, Mama‹‹, sagte Peter.
››Halt du da hinten dein Maul‹‹, rief Alfredo Graciello zu Peter und sah ihn mit finsteren Augen an.
››Alfredo, halt deinen Mund‹‹, sagte Frau Frey.
››Halt deinen Mund‹‹, äffte Alfredo sie nach, worauf die anderen Jungs gehässig lachten, ››nehmen sie erstmal zwanzig Kilo ab Frau Frey, bevor sie mir den Mund verbieten.‹‹
››Alfredo, das ist wieder ein Verweis.‹‹
››Egal‹‹, lachte Alfredo, ››wenn meine Brüder mit ihnen fertig sind, dann bleibt nichts weiter übrig, als ein Haufen Fett.‹‹
Die anderen beiden Jungs lachten wieder.
››Du bekommst eine Anzeige Alfredo, von der Schule. Das war eine Drohung.‹‹
››Sie wollen wohl wirklich ins Gras beißen Frau Frey, oder?‹‹
››Das tut jetzt nichts zu Sache, setzt euch.‹‹
Alfredo und die anderen beiden Jungs gingen übertrieben langsam, fast schon schauspielerisch auf die freien Plätze und Alfredo steckte sich ein Zahnstocher in den Mund, um cool zu wirken.
››Wie alt seid ihr eigentlich‹‹, fragte Waltraud entsetzt zu Alfredo.
››Franjo, mein kleiner Bruder hier links ist, sieben, der Junge hier links, mein Bruder Paulus, ist zehn, und ich bin elf. Sie haben noch nie Jungs in dem Alter gesehen, die sich so benommen haben, richtig? Und sie sind entsetzt.‹‹
Alfredo lachte laut.
››Ihr gehört doch weggesperrt‹‹, sagte Waltraud.
››Wollen sie Kinder in das Gefängnis stecken, Frau Junker‹‹, fragte Alfredo provokant, ››wir sind noch nicht mal strafmündig.‹‹
››Ihr seid keine Kinder mehr‹‹, sagte Waltraud.
››Heulen sie Frau Junker, los‹‹, sagte Alfredo.
››Jetzt Ruhe‹‹, unterbrach Frau Frey und klopfte auf den Tisch, ››wir sind hier, um eure Gewaltaktion am letzten Freitag an Peter und Jochen zu klären. Warum habt ihr das gemacht?‹‹
››Wir wollten dem kleinen Peter und dem Jochen nur eine Lektion erteilen. Sie gehören nicht zu unser Familie, sind dumme Dorfkinder. Wir machen so etwas auch nicht mehr.‹‹
Alfredo pausierte kurz und nahm seinen Zahnstocher aus dem Mund.
››Es sei denn, sie waren bei der Polizei, Frau Junker, Peter und Jochen?‹‹
››Ja, waren wir bereits‹‹, sagte Waltraud.
Sie fühlte die Wut in sich, über die Arroganz dieser kleinen Kinder. Sie fragte sich, warum diese Teufel überhaupt auf die Menschheit losgeschickt wurden und nicht schon im Kinderknast saßen. Hier, in die zivilisierte Welt, da gehörten sie nicht hin.
››Das ist ihr Untergang, Frau Junker‹‹, sagte Alfredo, ››nun bekommen sie garantiert auch private Probleme mit uns, die Betonung liegt auf ›garantiert‹! Wir hätten ihre Schützlinge auch garantiert, ich betone: ›garantiert‹, für immer in Ruhe gelassen, es sei denn, sie wären uns dumm gekommen, aber nun sollten sie lieber vorsichtig sein, und ihr auch Peter und Jochen.‹‹
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