In diesem Augenblick beginnt Galaktoman zu blinzeln und seine Gesichtsmuskeln zucken wie bei einem Teenager, der sein erstes Drogenexperiment hinter sich hat. Galaktoman hustet und würgt, dann kotzt er seinen Mageninhalt in die Öffnung des Materiedesintegrators. Einen Augenblick später dringt ein Lichtblitz aus der Öffnung im Boden und ein heißer Luftstrom aus der Tiefe stellt Galaktomans Haare auf. „Ich hoffe, du hängst bequem, Galaktoman,“ ruft Siegfried dem Superhelden zu, während er mit großen schnellen Schritten um seinen Gefangenen herumschreitet.
Eine Zeitlang herrscht Schweigen. Dann hört Siegfried Galaktoman sagen: „Hey, das ist doch der Junge mit den Pickeln im Gesicht und den fetten schwarzen Haaren, die so aussehen, als wären sie mit Talg auf den Kopf gepappt. Du hast mir doch immer die Zeitung gebracht.“ Siegfrieds böses Lachen hallt von den Wänden der Grotte wider. „Nachdem ich deine geheime Identität aufgespürt hatte, war alles ein Kinderspiel. In eurer geheimen Identität seid ihr Superhelden so arglos wie Rentner auf einer Kaffeefahrt. Ich frage mich heute, warum ich dir nicht auch noch eine Rheumadecke angedreht habe.“ Mit beträchtlicher Mühe dreht sich Galaktoman um seine Achse, sodass er Siegfried im Auge behält. „Wie hast du mich gefunden?“ will er wissen. „Du ziehst kosmische Energie an. Das erzeugt kleine Anomalien in der Frequenz von Neutrinoeinschlägen in deiner Umgebung. Mit einem Glas Wasser und einem geringfügig manipulierten iphone kann man das messen. Damit findet man dich wie man eine Kerze findet, die auf einem Baumstumpf in einem dunklen Wald brennt. Der Rest war einfach. Einer meiner Männer legte ein Feuer im Nachbarhaus. Die anderen kamen als Feuerwehrleute verkleidet angebraust. In dem Moment, als du vor die Tür tratest, um zu sehen, was los ist, sprühten wir dich mit der Glyptozinlösung ein, die im Tank des Spritzenwagens untergebracht war. Dich mit Pentothal zu betäuben und hierher zu bringen, war danach kinderleicht.“ Siegfried wendet sich von Galaktoman ab und geht auf ein Kontrollbord zu, dass sich wenige Schritte von der Bodenöffnung entfernt befindet. „Entschuldige, aber jetzt muss ich mich sputen, denn wie du sicher weißt, ist Glyptozin photochemisch instabil.“ „Photochemisch instabil?“ fragt Galaktoman mit einer weiteren zuckenden Bewegung. „Oh mein Gott, ihr Superhelden habt ja nicht die blasseste Ahnung von den Naturwissenschaften. Aber warum sollte euch auch eine Natur interessieren, deren Gesetze ihr ständig außer Kraft setzt? Photochemisch instabil bedeutet, dass sich Glyptozin am Licht zersetzt und dabei Schwefelsäure frei wird.“ „Ach, tut es das?“ fragt Galaktoman hämisch und mit einer weiteren Wendung seines Körpers.
Obwohl es ziemlich anstrengend sein muss, sich kopfüber an einer Kette hängend im Kreis zu drehen, lässt der Superheld Siegfried nicht aus den Augen.
„Äh, Siegfried, eine Frage noch, die du mir, so wie ich euch Superschurken kenne, gerne beantworten wirst: Wozu das alles?“ fragt Galaktoman matt. „Der Nebengrund ist, dass du Schweinehund meinen Vater ermordet hast. Errinnerst du dich nicht an Arnold van Bowdendonk?“ „Arnie van Bowdendonk war dein Vater? Junge das tut mir Leid. Aber er war im Begriff die Welt zu zerstören und hatte eine Strahlenwaffe auf mich gerichtet. Wenn ich nicht gewonnen hätte, könnten wir beide jetzt nicht dieses Gespräch führen.“ Ich soll mich bedanken, dass er meinen Vater umgebracht hat, denkt Siegfried. Perverses Schwein. „Auf jeden Fall hast du die Waffe umgepolt, als mein Vater seinen Monolog hielt und dir seinen Plan erklärt hat“, schreit Siegfried. „Du sagst es doch selbst“, erwidert Galaktoman, „ich habe nur in einem unbeobachteten Moment die Waffe umgepolt. Er hat sich selber damit erschossen.“ „Wie dem auch sei, heute wirst du dafür büßen, Galaktoman“. schreit Siegfried außer sich vor Zorn. „Und der Hauptgrund?“ fragt Galaktoman nach einer Pause. Und wieder dreht er seinen Körper unter größter Anstrengung. „Ach ja, der Hauptgrund“, erwidert Siegfried. „Ich brauche die Elementarteilchen, die dein Körper im Laufe der Jahre eingefangen hat, um meine Spezialwaffe zu aktivieren. Du bist eine Art lebendige Batterie. Sobald du dich im Materiedesintegrator in deine Elementarteilchen zersetzt hast, werde ich über die Energie des Kosmos verfügen. Die Russkis werden mir alle Diamanten Sibiriens geben, damit ich ein paar amerikanische Großstädte einäschere. Die Amis werden das Gold in Fort Knox für die umgekehrte Dienstleistung lockermachen. Aber ich scheiße auf das Geld. Ich will die Weltherrschaft und Rache für meinen Papa.“ Siegfried schreit die beiden letzten Sätze so laut, dass die Fledermäuse an der Grottendecke verängstigt aufflattern. Erschrocken schaut er nach oben. Als er gleich darauf wieder zum hängenden Galaktoman schaut, rutscht sein Herz ein Stückchen Richtung Hosenboden. Galaktoman hat die Hände frei, aus der Stahlkette, die seine Hände fesselte, ist ein bräunliches Stück Rost geworden, das im Schlund des Materiedesintegrators verschwindet.
Siegfried könnte sich ohrfeigen, dass er so dumm war zu warten, bis die aus dem Glyptozin entstehende Säure Galaktomans Fesseln verätzt. Mit Entsetzen sieht er, dass auch die Fußfesseln leicht zu rauchen beginnen. Von Galaktomans weißen Pumasocken sind nur noch ein paar löchrige Fetzen übrig, und das Metall seiner Fußfesseln sieht mächtig korrodiert aus. „Kein Grund zur Sorge“, denkt sich Siegfried, Sobald die Säure die Fußfesseln durchgefressen hat, stürzt er in den Materiedesintegrator.“ Noch immer sind die Chancen des Helden schlecht. Er baumelt kopfüber oberhalb des Materiedesintegrators. Doch im selben Moment ertönt ein lauter Knall. Felsbrocken lösen sich krachend von der Grottendecke und fallen nach unten. Dreihundert Meter über der Grotte fallen die Tropfen eines Gewitterregens auf die Erde. Und nochmals tausend Meter weiter oben hat sich ein Blitz in einer Wolke entladen und ist über der Grotte in den Boden eingeschlagen. Siegfrieds Magen rutscht nochmals ein Stück nach unten. Die Triumphmusik in seinem Kopf ist mit einem Mal verstummt.
Beim nächsten Blitzeinschlag befällt ihn die Panik. Er hat sich verquasselt, so wie alle Superschurken. Das Wetter ist umgeschlagen, Galaktomans Fesseln rosten vor sich hin, und plötzlich hat Siegfrieds Gegner eine winzige Chance. Es ist, wie gesagt, nur eine winzige Chance, eine „ich weiß, es klingt verrückt, aber ...“-Chance. Dummerweise ist eine solche Chance alles, was Leute wie Galaktoman brauchen. Siegfried hastet zur Bedienkonsole, um endlich das zu tun, was er schon seit geraumer Zeit hätte tun sollen: Die Verankerung der Kette an der Grottendecke auslösen, um Galaktoman in den Materiedesintegrator zu stürzen. Weil seine Hände feucht sind und zittern, verfehlt Siegfried den roten Auslöseknopf.
Wieder schlägt über der Grotte der Blitz ein. Warum eigentlich muss immer während des Schurkenmonologs das Wetter umschlagen? Siegfried verkriecht sich unter der Bedienkonsole des Krans, um vor den Steinen geschützt zu sein, die von der Decke krachen.
Als er wieder nach Galaktoman schaut, verweigert sein Blasenschließmuskel vor Angst den Dienst. Siegfried van Bowdencomb, der hyperintelligente Superschurke, fühlt, wie eine warme Flüssigkeit seine Hosenbeine tränkt.
Siegfried sieht, wie die Kette blau aufleuchtet. Ein Blitz, der oben in den Boden eingeschlagen ist, jagt seine Energie von einem Metallglied zum nächsten. Das geschieht natürlich annähernd mit Lichtgeschwindigkeit, aber Siegfried kommt es so vor, als würde ein Kettenglied nach dem anderen bläulich aufleuchten, bis der Strom Galaktoman erreicht. Im gleichen Augenblick verwandelt sich der unscheinbare Mann im Holzfällerhemd zurück in den blau leuchtenden Superhelden Galaktoman. Der Starkstrom des Blitzes verleiht ihm Superkräfte, die auch der Wirkung des Glyptozins widerstehen. Einen normalen Menschen hätte der Blitzschlag gegrillt. Aber Galaktoman kommt dank der zwei Millionen Volt aus dem Blitz wieder zu Kräften, zu Superkräften, um genau zu sein.
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