Das vorhin noch so hübsche Gesicht mit den blonden Haaren, und den makellosen, weißen Zähnen hatte sich zu einer grotesken Maske verzerrt.
Sie fletschte die Zähne und ließ dabei eine Reihe rasiermesserscharfer, kleiner Dolche sehen. Ihr ganzer Mund schien daraus zu bestehen, und ihr heißer Atem stank nach Abfall und Verwesung.
Was war denn hier los? fragte ich mich unwillkürlich.
“Komm her Tom” fauchte sie nun und schwang ihr Messer erneut bedrohlich durch die Luft.
Ich fiel hart auf den Hosenboden und spürte dass eine Person hinter mir stand.
Ich sah auf, und erkannte das bärtige, alte Gesicht von Artur der mich missmutig ansah.
Er hatte wie meistens einen blauen Overall an, und trug eine blaue Baseball Kappe auf seinem blassen Gesicht. Seine sonst so gütigen Augen funkelten mich misstrauisch an.
Er schien sauer auf mich zu sein. Aber was hatte ich denn getan?
“Was hast du hier unten zu suchen Thomas” fragte er mich und schien das junge Mädchen das immer noch mit ihrem Messer durch die Luft schnitt gar nicht recht zu registrieren.
“Ich.. ich” setzte ich an, aber was wollte ich eigentlich erklären? Verstand es doch selbst nicht richtig. Warum war ich dieser Stimme nur gefolgt? Ich konnte mich an keinen plausiblen Grund erinnern. Also tat ich das was mit in diesem Moment am plausibelsten erschien. Ich zuckte mit den Achseln.
“Ich weiß auch nicht. Wie, oder Warum?” versuchte ich mich zu erklären, brach dann aber ab. Zu vieles konnte ich mir nicht recht erklären.
“Na ist ja gerade nochmal gut gegangen” sagte Arthur und lächelte gequält.
Was? dachte ich bei mir, wagte es aber nicht ihn zu unterbrechen.
Mein Blick huschte zu der Person am Ende des Flurs, aber sie war verschwunden, oder war sie überhaupt je da gewesen?
Eine andere Frage quälte mich noch viel mehr. Sah Arthur dieses, dieses...ja was denn überhaupt. Egal, sah er es nicht? Dieses Ding.
Sah er diese total verrückte Braut, die ein Messer nach mir schwang und böse Verwünschungen gegen mich ausstieß nicht?
“Vor denen musst du dich in Acht nehmen” sagte er und deutete auf das Wesen, das vormals ein recht hübsches Mädchen gewesen war, das nun wirklich nicht mehr viel Ähnlichkeit mit einem jungen Mädchen hatte.
Erleichtert dass Artur sie auch sah, atmete ich tief aus. Für einen Moment hatte ich geglaubt verrückt zu sein, aber… aber Moment mal, wenn er sie sehen konnte, und sie dann real war, was stimmte dann nicht mit ihr… oder mit dem Ding, oder was auch immer das war.
“Wie? Was?” fragte ich und verstand immer noch überhaupt nichts. Artur reichte mir eine Hand und zog mich auf die Beine.
Meine Knie zitterten immer noch ein wenig, aber ich dachte dass ich das schon hinbekommen würde. Noch immer musste ich wie besessen auf das Ding schauen, das noch vor wenigen Minuten ein wunderschönes, wenn auch etwas fremdes Mädchen gewesen war.
Artur musste meinen Blick aufgefangen haben, denn er drehte sich auch für einen Moment in ihre Richtung um. Er sah das Geschöpf, das immer noch wie festgewurzelt auf den kleinen Kartons saß, und lächelte.
“Vor der brauchst du jetzt keine Angst mehr zu haben, ” sagte er und nickte mir freundlich zu.
“Das ist eine Sirene” sagte er und deutete mit einem Kopfnicken in ihre Richtung. “Früher hat sie Seefahrer mit ihrer hübschen Stimme in den Tod gelockt, und ich gehe davon aus dass sie dasselbe mit dir vorhatte.”
Die Sirene zuckte noch einmal mit ihrem Messer durch die Luft, und ich duckte mich weg.
“Keine Angst, nachdem du einmal ihr wahres Gesicht gesehen hast bist du immun gegen ihren Gesang, und außerdem kommt sie von ihrem Felsen, bzw. von den Kartons jetzt eh nicht mehr runter.
Sirenen können ihren Felsen nicht verlassen, deshalb müssen sie ihre Opfer zu sich hin locken, um sie zu fressen.”
Zu fressen , dachte ich und obwohl ich es nicht laut aussprach schien Artur meinen Gesichtsausdruck richtig zu deuten.
“Keine Angst, jedenfalls nicht vor ihr.
Dass gerade jetzt eine Sirene auftaucht bedeutet nichts Gutes” sagte er und nahm mich bei der Hand.
“Aber wie kommt es dass sie gerade hier ist. Ich meine. Ich hab sie noch nie zuvor gesehen. Wo kam sie auf einmal her?” wollte ich wissen, aber Artur ging darauf nicht ein.
Stattdessen ging er vorweg den kleinen Flur entlang zurück.
“Ich werde dir alles erklären wenn die Zeit dazu da ist, aber im Moment ist dafür keine Zeit, was schon irgendwie seltsam ist” sagte er und grinste dabei.
Ich verstand weiterhin nichts. Weder warum er grinste, noch woher die Sirene, oder wie das Mädchen dort hinten hieß, herkam.
Es dauerte nicht lange und vom Ende des Gangs hörte ich laute, tumultartige Geräusche.
“Artur...” sagte ich unsicher während wir weiter den Gang zurückgingen.
Erst jetzt wurde mir bewusst wie weit ich wohl in den Keller hinab gestiegen sein musste.
Wir waren schon fast zehn Minuten unterwegs, und noch immer konnte ich nicht das Ende des Gangs erkennen.
Wieder ertönte ein lautes Scheppern, gefolgt von einem noch viel lauteren Geräusch.
Es hörte sich an wie zerberstendes Metall.
“Artur...” sagte ich und versuchte mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen.
Mein Freund, der Hausmeister reagierte darauf indem er mich noch fester am Handgelenk fasste und schneller die Flure entlang führte.
Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit bogen wir um eine letzte Ecke und ich konnte die von mir bekannten Türen wieder sehen.
Die zu Arthurs Werkstatt, und die zu dem Heizungsraum.
Das tumultartige Geräusch hatte etwas nachgelassen, aber das schien Artur eher zu beunruhigen.
Vor seiner Werkstatt angekommen ließ er meine Hand los und sah mir fest in die Augen.
Geistesabwesend rieb ich mir mein Handgelenk. Es schmerzte leicht. Erst jetzt merkte ich wie fest sein Griff gewesen war.
“Warte hier” sagte er und riss die Tür zu seinem Büro auf bevor er sich nochmal zu mir umdrehte.
“Egal was passiert, du wartest hier, okay?”
Was war auf einmal mit ihm los. Er war doch sonst nicht so streng zu mir. Was sollte das?
“Hast du verstanden?”
“Ja, ist schon gut. Ich bin ja kein kleines Kind mehr” sagte ich, und im nächsten Moment war er verschwunden.
Nun stand ich also da. Vor der Werkstatt des Hausmeisters.
Meine Stunde musste doch bestimmt schon angefangen haben , dachte ich.
Ob jemand wohl schon nach mir gefragt hatte?
Vielleicht sollte ich mal in das Klassenzimmer gucken gehen? überlegte ich.
Nein, ich hatte es Artur versprochen , erinnerte mich eine innere Stimme.
Das Poltern wurde wieder lauter. Und auch das andere Geräusch, jetzt hörte es sich mehr wie ein reißendes, metallisches Geräusch an.
Unsicher klopfte ich gegen die Werkstatttür.
“Arthur...” sagte ich unsicher und spähte den Gang hinab. Noch einmal das Polternde gefolgt von dem reißenden Geräusch. Diesmal wesentlich näher, und auch um ein vielfaches Lauter.
“Artur…” sagte ich nun deutlich lauter, und ich klopfte auch energischer an die Tür.
“Ja ich komme gleich” hörte ich gedämpft seine Stimme.
Es klapperte hinter der Tür, und irgendetwas Schweres, Metallenes fiel zu Boden.
In meinem gesamten Schullalltag hatte ich mir nie Gedanken darüber gemacht wie wohl die Werkstatt eines Hausmeisters aussehen würde, aber jetzt überlegte ich was sich alles darin befinden könnte. Es klapperte erneut, und wieder hörte ich wie Metall zu Boden fiel.
Ich hörte wie mehrere Stapel umher geworfen wurden, und Kartons oder Kisten ausgeschüttet wurden.
Er sucht etwas, sagte diese Innere Stimme in meinem Kopf. Und wenn er es nicht bald finden würde, bekäme ich ein richtiges Problem.
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