Ach ja, das war ja der Erfinder und Arzt. Mav und Stan hatten über ihn geredet. „Wer ist denn dieser Grub?“, fragte Greg, um das Gespräch am Laufen zu halten.
„Oh, er ist der größte Erfinder, den du jemals getroffen hast.“, begann sie zu schwärmen. „Und er hat heilende Hände, genau wie ich.“, fügte sie nicht ohne Stolz hinzu.
„Bist du so eine Art Hexe?“, fragte Greg skeptisch und spürte, wie sich sein Körper verspannte.
„Iwo.“, brummelte die Stimme eines alten Mannes hinter ihm. Greg machte einen Schritt zur Seite, um die Tür freizugeben und erblickte einen hageren, alten Mann mit langen grauen Haaren und einem Bart, in dem eine ganze Eichhörnchenfamilie ihr Nest hätte bauen können. Seine Kleidung ähnelte stark Gregs neuem Aufzug, nur dass sie in einem eher ungepflegten Zustand war und der Mann einen schweren Ledermantel trug. Der dadurch entstehende heruntergekommene Eindruck wurde aber durch das offene, fröhliche Leuchten seiner blauen Augen mehr als wettgemacht.
„Trisha ist keine Hexe.“, berichtete der Mann unbekümmert. „Sie ist ein aetherisches Wesen. Das ist alles.“, fügte er mit einer freundlichen Stimme hinzu, so als würde er sich mit einem Bekannten über alte Kochrezepte austauschen.
„Sie ist was?“, fragte Greg nach.
„Ein aetherisches Wesen.“, wiederholte der Mann besonders langsam und mit starker Betonung. „Sie kann den Aether spüren und mit ihm arbeiten. So wie ich.“ Er strahlte Greg an, der auf der Stelle einen Schritt zurück machte und mit der Ferse eine leere Milchkanne umstieß, die auf dem Boden gestanden hatte.
„Sind Sie ein Zauberer?“, fragte er ehrfurchtsvoll.
„Ein Zauberer?“, kicherte der alte Mann. „Die gibt es doch nur im Märchen. Aber wo bleiben nur meine Manieren.“ Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Ich bin Grub. Erfinder und Arzt. Der Herr hat in meinem Haus genächtigt und ich hoffe doch, er hat sich vortrefflich erholt.“ Bei diesen Worten streckte er Greg mit einem weiteren strahlenden Lächeln seine Rechte entgegen.
Greg schüttelte die Hand und blickte zwischen Grub und Trisha hin und her. „Aetherische Wesen?“, fragte er ungläubig, ohne auf die Frage seines Gastgebers zu reagieren. „So wie Feen?“
Trisha schnaubte missbilligend. „Wir sind weder Hexen, noch Zauberer und schon gar keine Feen. Wir können einfach das Aether, das uns überall umgibt, erspüren und zum Nutzen der Menschen einsetzen. Das könnte jeder, aber die meisten sind ja viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um es überhaupt zu versuchen.“ Sie machte eine kleine Kunstpause, um ihren Worten das nötige Gewicht zu verleihen. „Essen ist fertig.“, rief sie dann so laut, als müsste sie noch eine Kompanie Erntejungen vom Feld in die Küche rufen und ließ sich an dem Tisch nieder.
Greg setzte sich an den Tisch, auf dem drei Holzschalen mit Löffeln und drei Keramikbecher standen. Offenbar waren doch keine weiteren Gäste eingeladen. Greg versuchte, einen Blick in die drei Töpfe, die Trisha in die Mitte des Tisches gestellt hatte, zu erhaschen. In dem größten befand sich ein orangefarben leuchtender Brei, die beiden kleineren schienen gekochtes Wurzelwerk und eine rote Soße zu enthalten. Es roch köstlich, wenn auch sehr fremdartig. Greg überkam ein plötzliches Hungergefühl. Er hatte seit seiner Flucht aus der City noch nicht viele Möglichkeiten gehabt, etwas zu essen. Begierig blickte er zwischen den Töpfen hin und her. Es wäre unhöflich gewesen, sich in einem fremden Haus selbst zu bedienen, aber weder Trisha noch Grub machten Anstalten, sich etwas aufzutun. Stattdessen hatten sie die Ellbogen auf den Tisch gestützt, die Hände vor der Stirn gefalten und die Augen geschlossen.
„Greg, würdest du den Tischsegen für uns sprechen?“, fragte Grub, ohne die Augen zu öffnen.
„Den Tischsegen?“, antwortete Greg verdattert. Was für ein eigenartiger Brauch konnte das wieder sein.
Trisha öffnete ein Auge und beobachtete Greg neugierig. In ihrem Blick sah er eine Faszination, wie sie ein Erfinder beim Betrachten einer ihm unbekannten Metalllegierung empfinden musste. „Du hast wirklich keine Ahnung, oder?“, flüsterte sie belustigt.
Als Greg nur den Kopf schüttelte und die Schultern hob, bedeutete sie ihm, einfach die Augen zu schließen. Dann begann sie mit melodischer Stimme: „Herr, vielen Dank für die reichlichen Gaben, die du uns hast zuteil werden lassen. Segne dieses Mahl und diese kleine Gemeinschaft und hilf auch allen, denen es schlechter als uns geht. Amen.“
„Amen.“, brummte Grub. Greg zögerte einen Augenblick, dann tat er es ihm gleich und öffnete vorsichtig das gesunde Auge. Trisha zwinkerte ihm zu. Grub hatte sich inzwischen eine große Kelle geschnappt und füllte Gregs Schüssel mit dem orangefarbenen Brei. „Morgum.“, erklärte er. „Einen besseren hast du noch nie gegessen.“, fügte er im Brustton der Überzeugung hinzu.
„Ich glaube, ich habe das überhaupt noch nie gegessen.“, gab Greg unumwunden zu.
„Na, dann ist es auf jeden Fall der beste Morgum, den du jemals gegessen hast.“, kicherte Trisha. „Keine Angst, er besteht hauptsächlich aus Möhren, Kartoffeln und Zwiebeln. Und ein paar geheimen Kräutern.“, kokettierte sie.
Greg nickte. „Und was sind das für Wurzeln?“, fragte er neugierig und deutete mit dem Löffel auf den zweiten Topf.
„Schwarzwurzel, Rote Beete und Steckrüben. Ganz frisch geerntet.“, erklärte ihm Trisha stolz. „Sag bloß, die kennst du auch nicht?“ Sie wirkte wirklich erschüttert bei dieser Feststellung.
Greg zuckte nur mit den Schultern. „Ich habe bisher meistens in einer der billigen Suppenküchen gegessen. Da konntest du kaum erkennen, was in der dunklen Brühe herumschwamm. Und abends, in der Gemeinschaft, haben wir meist ein paar Dosen warmgemacht, die Philt aufgetrieben hatte. Viel mehr konnten wir uns nicht leisten.“ Trisha nickte verständnisvoll. Greg spürte erneut einen Stich in seiner Brust. Er wusste überhaupt nicht, wie es den anderen erging. Hoffentlich hatte seine Flucht sie nicht in Probleme gestürzt. Wie konnte er nur erfahren, ob es ihnen gut ging? War es nicht sehr selbstsüchtig gewesen, so Hals über Kopf aufzubrechen, ohne sie wenigstens zu warnen?
Er spürte Trishas aufmerksamen Blick auf sich ruhen. Schnell schnappte er sich den Löffel und schob sich einen Haufen Morgum mit Wurzelgemüse in den Mund, um sich von seinen trüben Gedanken abzulenken. Es schmeckte köstlich, noch besser, als der exotische Duft es bereits hatte vermuten lassen. Begierig schob Greg einen zweiten Löffel nach und ließ die Köstlichkeiten mit einem seligen Lächeln über seinen Gaumen gleiten. Der Rest des Essens verlief, abgesehen vom Klappern der Löffel und Grubs hingebungsvollem Schlürfen, in nachdenklicher Stille.
„So, ich denke, es wird Zeit, dass ich einiges erfahre! Was denkt Ihr, Kinder?“, rief Grub, nachdem er den Löffel geräuschvoll in seinen leeren Teller fallen gelassen und seinem Magen durch einen kräftigen Rülpser Erleichterung verschafft hatte.
Greg hatte sich gerade einen weiteren Löffel des überaus wohlschmeckenden Breis in den Mund geschoben, und war deshalb ausgesprochen dankbar, dass Trisha das Wort ergriff und Grub über die abendliche Versammlung im Gemeindehaus informierte. Obwohl er dabei gewesen war, lauschte Greg gebannt ihren Worten und konnte seinen Blick nicht von ihren unglaublich fein geschwungenen Lippen wenden.
„...und dann haben Pater Elia und Hanson das Ergebnis verkündet. Greg bleibt erst einmal drei Tage bei uns, und alles Weitere werden wir dann sehen.“, beendete Trisha ihren Bericht. Greg hörte auf, den inzwischen beinahe geschmacks- und konsistenzlos gewordenen Brei in seinem Mund zu kauen, und schluckte ihn hastig hinunter. Grub schaute einen Augenblick versonnen in eine nur ihm zugängliche Ferne, dann richtete er den Blick seiner unter buschigen grauen Brauen beinahe verborgenen blauen Augen auf Greg.
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