„Du bist krank. Die Verletzung hat deinen Körper stark mitgenommen.“, sagte das Mädchen und drückte ihn sanft zurück auf sein Lager.
„Vielleicht wirst du bald sterben.“, machte Mara Greg Mut.
„Mara.“, zischte Nici empört.
„Was denn?“, erwiderte diese mit einem Schulterzucken. „Besser, er ist darauf vorbereitet, meinst du nicht?“
„Du spinnst ja.“, knurrte Nici und ließ Gregs Beine los. „Er wird doch wieder gesund, stimmt's, Trisha?“, fragte sie aufgeregt.
„Ich hoffe es.“, antwortete das Mädchen mit den grün-braunen Augen. Trisha! Was für ein wundervoller Name, ging es Greg durch den Kopf. „Der Schüttelfrost wird sicher bald vorbei sein. Ob wir das Auge retten können, weiß ich aber noch nicht.“
„Glaube ich nicht. Sah ganz schön übel aus, wenn ihr mich fragt.“, kommentierte Mara.
Das Auge? Was war mit seinem Auge? Gregs Arm schoss nach oben, doch bevor er das Gesicht erreicht hatte, umklammerte Trishas weiche, warme Hand seinen Unterarm. „Nein, nicht anfassen!“, befahl sie mit sanfter Stimme. „Wir haben das Auge vorläufig versorgt. Du trägst eine Augenbinde. Ein Splitter deiner Brille ist in das Auge gedrungen. Jetzt ist es zu dunkel, um etwas zu unternehmen, aber Grub wird sich morgen darum kümmern.“, setzte sie Greg ins Bild.
„Grub?“, fragte Greg verwundert und wünschte sich gleichzeitig, Trisha würde sein Handgelenk nie mehr loslassen.
„Unser alter Erfinder und Arzt.“, schaltete sich Stan ein. „Ein bisschen verrückt, aber mit Wunden und Apparaten kennt er sich aus wie kein zweiter.“, sagte er fröhlich.
Eine neuerliche Kältewelle durchströmte Gregs Körper und ließ ihn aufstöhnen. Trisha legte eine Hand auf seine Stirn. „Du hast hohes Fieber. Dein Körper kämpft gegen all die Wunden.“ Sie schaute sich im Raum um. „Nici, bring mir bitte aus der Tasche das kleine braune Fläschchen mit der Eisrose auf dem Etikett!“
Nici hüpfte auf und kramte eifrig in einer Ledertasche, die an der Wand neben der Tür der Kammer stand.
„Ich werde dir etwas geben, das gegen die Schmerzen hilft. Du wirst gut schlafen und dein Körper kann sich besser erholen.“, erklärte Trisha Greg. Sein Auge hing an ihren Lippen. Mechanisch nickte er zu ihren Worten. In diesem Moment hätte er sicher sogar begeistert zugestimmt, wenn sie ihm vorgeschlagen hätte, in ein Fass mit Jauche zu springen.
Nici kam mit einer Flasche und einem großen Löffel in der Hand zurück. Trisha nahm beides entgegen und zählte gewissenhaft die Tropfen ab, die aus der Flasche in den Löffel fielen. Dann führte sie den Löffel vor Gregs Gesicht, der bereitwillig den Mund öffnete und die Medizin schluckte. Diesen Augen würde er immer und überall vertrauen.
XI
Im Aufwachen spürte Greg ein gleißendes Licht, dass die Innenseite seines rechten Augenlids in ein unstetes Rot tauchte. Er hob eine Hand vor das Gesicht, öffnete das gesunde Auge und erkannte, dass die Sonne, die hoch am Himmel stand, durch ein kleines Fenster direkt auf seinen Kopf schien. Hastig erhob er sich und schaute sich in der kleinen Kammer, die er im hintersten Winkel seines Bewusstseins als den Raum wiedererkannte, in dem er nachts aufgewacht und Trisha begegnet war, um. Wie von selbst bewegte sich seine Hand zu seinem linken Auge, doch schon bevor er den Stoff der Augenklappe berührte, wurde ihm wieder bewusst, was geschehen war. Ob er das Auge jemals wieder würde richtig benutzen können?
Greg inspizierte die kleine Kammer aufmerksam. Unter dem Fenster befand sich ein kleiner Tisch mit einer Waschschüssel, einem Stück Seife und einem kleinen Spiegel, daneben stand eine einfache Holztruhe. Komplettiert wurde das spärliche Mobiliar durch einen Stuhl, einen zweitürigen Kleiderschrank und das Bett, in dem er gelegen hatte und vor dem ein Paar Schuhe standen. Greg ging zunächst auf das Tischchen zu und betrachtete aufmerksam sein Spiegelbild. Die Augenklappe gab ihm durchaus einen verwegenen Ausdruck, stellte er mit einem zufriedenen Schmunzeln fest. Wenn nur der Schmerz im Auge endlich vergehen würde. Mit der Linken strubbelte er sich behelfsmäßig die Haare zurecht. Dabei senkte er den Spiegel und erstarrte mitten in der Bewegung.
Greg schaute entgeistert an sich hinab. Er trug nicht mehr die Arbeitskleidung aus der City. Stattdessen war er in eine Lederhose gesteckt worden und seinen Oberkörper bedeckte ein weites Baumwollhemd. Ein Blick durch das Zimmer bestätigte seinen nächsten Verdacht – auch die Schuhe vor dem Bett waren nicht seine. Trotzdem setzte er sich auf die Bettkante und zog die Schnürstiefel, die man ihm hingestellt hatte und die sich, wie er zugeben musste, äußerst bequem an seine Füße schmiegten, an. Am Fußende des Bettes entdeckte er noch eine Lederweste und eine Zeitungsjungenmütze, die wohl ebenfalls zu seinem neuen Aufzug gehören sollten. Aber wo um alles in der Welt waren seine alten Sachen? Nicht, dass Greg an der Tuchhose oder der Wolljacke sonderlich gehangen hätte oder dass ihm seine alten, ausgetretenen Schuhe lieber gewesen wären als diese neuen, wunderbar angenehm zu tragenden Stiefel. Aber in seiner Jacke steckte alles, was er noch besaß. Und ohne Karte und Passierschein würde er es nie bis zur Terapolis schaffen und könnte so auch nie seine Unschuld beweisen.
Mit einem energischen Ruck öffnete er die Tür der kleinen Kammer und stieg mühsam und unter Schmerzen eine Stiege hinab, über die man offenbar das Erdgeschoss erreichen konnte. Unten hörte er Töpfe klappern, es musste also jemand im Haus sein. Er lauschte kurz, das Geklapper kam eindeutig von rechts. Also beschloss er, dem Krach zu folgen und kurz darauf stand er in einer engen, verrauchten Küche. An einem einfachen Ofenherd stand eine Frau und versuchte, in mehreren Töpfen gleichzeitig zu rühren. Sie trug ein feuerrotes, enges Kleid mit Korsett und eine Lederjacke. Ihre blau-schwarzen Haare lugten unter einem breitkrempigen Sommerhut hervor, womit sie einen deutlichen Kontrast zu der eher dunklen, stickigen Atmosphäre der Küche schuf. Mehrere Nietenarmbänder lagen um ihren linken Unterarm. Sonst war niemand zu sehen.
Greg wollte nicht unhöflich sein, deshalb räusperte er sich geräuschvoll.
„Ah, bist du endlich wach?“, fragte die Frau gelassen, ohne den Blick von den Kochtöpfen zu wenden.
„Äh, ja.“, brachte Greg hervor. „Wo sind meine...“
„Auf der Kommode gleich neben der Tür.“, beantwortete die Frau seine unausgesprochene Frage. „Ich habe alles aus der Jacke genommen, bevor ich sie gewaschen habe. Du solltest aber lieber die Sachen anbehalten, die wir dir gestern Abend angezogen haben.“ Ohne sich umzudrehen, deutete sie auf eine kleine Holzschale, die neben Gregs zusammengelegten Kleidern auf der Kommode stand und in der er seine Habseligkeiten erkannte. Dann hob sie einen schweren Topf vom Herd und balancierte ihn vorsichtig zu einem großen runden Tisch, der das Zentrum der Küche einnahm. Endlich erkannte Greg, dass sie noch gar keine Frau war. Es handelte sich um das Mädchen, das er gestern im Gemeindehaus gesehen und das ihn am Abend verarztet hatte. Schlagartig spürte er, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. „Ihr habt mich umgezogen? Heißt das, du..., also..., naja..., du hast...“
Das Mädchen hatte den Topf auf den Tisch gestellt, die Hände in die Hüften gestemmt und bedachte ihn mit einem spöttischen Grinsen. „Ob ich dich ausgezogen habe? Gott bewahre! Das haben die Jungs erledigt.“, sagte sie mit einer beschwichtigenden Handbewegung. „Wie geht es dir?“, fragte sie und kam einige Schritte auf Greg zu.
„Es geht schon etwas besser.“, antwortete er. „Alles tut mir noch weh. Aber besonders schlimm ist das Auge. Es brennt noch immer furchtbar.“
Sie nickte, als wüsste sie genau, wie es sich in seinem Gesicht gerade anfühlte. „Ja, das ist normal. Ich hoffe, es ist nicht zu schlimm verletzt. Grub wird es sich bald ansehen, dann wissen wir mehr.“
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