„Blöde Frage, klar habe ich das. Nur ihre Texterei ging mir auf den Keks. Nie hatte sie Zeit. Sie arbeitet nämlich an einem Theaterstück, worüber die Stadt reden soll.“
„Und du die Hauptrolle spielst? Ha, ha du Träumer.“
Heike zieht ihre Stiefel an und ruft vom Flurende: „Ich muss los, die Aktenberge in der Kanzlei warten.“
„Wann sehen wir uns wieder?“
„Heute Abend, wenn du willst. Timmi und Holger sind auch da.“ Auf eine Antwort wartet sie gar nicht, zieht die Tür zu und stürmt die Treppe herunter. Ich stehe da, allein. Zurück bleiben die Erdkrümel von Wiesenbusch.
*
Christine, wo sind meine Zigaretten? Wieso antwortet denn niemand? Ach so, ich bin allein. Daran muss ich mich erst gewöhnen. Auch daran, dass keine monotone Stimme ruft: Musst du schon wieder rauchen, kannst du nicht aufhören. Die ganze Wohnung riecht verqualmt.
Gähnend laufe ich an meinem Wohnzimmertisch vorbei. Der Briefstapel wächst. Nicht mal in meiner eigenen Wohnung bin ich vor Rechnungen, Zahlungserinnerungen, Mahnungen geschützt. Eines Tages steckten alle Briefe in meinem Kasten. Christine, hatte die Briefe gesammelt und zu mir gebracht. Bloß gut, dass ich nicht da war. So musste ich mir nicht anhören, immer dasselbe mit dir. Könntest doch gleich allen Zahlungsaufforderungen nachkommen. Gibt es denn niemanden, der mir das mal abarbeitet? Schreiben von Ämtern, von der Autowerkstatt, der Bank, dem Finanzamt und der Telekom. Sogar die GEZ hat an mich gedacht. Meine Bank möchte, dass ich vorbeikomme. Die Telekom will Geld. Die Autowerkstatt erinnert an den TÜV. Die Einladung mit Gutschein liegt oben drauf. Geburtstagsfeiern, auch wenn es ein runder, der Fünfzigste ist, gehen mir sonst wo vorbei, liebes Schwesterherz. Schlimm, dass sie uns noch älter macht. Zwei Mal 50ig ist gleich Hundert. Eine einfache Rechnung. Aber wie sich das anhört. Das Pflegeheim lässt grüssen, meine Liebe. Anscheinend weiß sie gar nicht, wie das ist, wenn man sich älter macht. Die jung Gebliebene. Kommt bestimmt davon, dass sie seit ihrer Jugend alle möglichen Vitalkurse und Ernährungsseminare besucht. Nun soll ich auch noch zu unserer Geburtstagsfeier mit einer Frau erscheinen. Erst mal muss ich die Fünfzig verkraften. Mit dem Gutschein setzt sie mich unter Druck. Bestimmt hat sie lange mit den Fingern auf ihren Schreibtisch getrommelt und überlegt, wie sie denn ihrem Bruder die Idee, mit Frau zu erscheinen, schmackhaft machen kann. Warum siehst du nicht ein, dass ich niemanden habe und mitbringen kann, liebes Schwesterherz.
Letztens haben wir uns am Telefon über das übliche
„Wo gehste hin?“
„Prenzlauer Berg.“
„Spazieren?“
„Nee, Geburtstag.“
„Wer?“
„Heike“
„Kenne ich die?“
„Nee.“
unterhalten. Über eine Stunde hat sie mich über Christine ausgefragt. Viel zu lange für meine Schwester, die treue Norddeutsche. Da, wo die Leute meist keine Sätze, sondern nur Wörter sagen. Sie muss es geahnt haben, dass es zwischen uns kriselt. Sie bat mich, wenn wir uns trennen wollen, dann erst nach der Geburtstagsfeier. Sie hätte Freunden, Nachbarn und Bekannten von ihrem Bruder und seiner tollen Frau erzählt. Wir wären ein glückliches Paar. Was sollen die Leute sagen, wenn ihr Bruder wieder Single ist. Selbst bei der Vorstellung der Party gehen unsere Meinungen auseinander. Sie will eine Party mit viel Brimborium im Stil der siebziger Jahre. Ich fände einen feurigen mexikanischen Abend mit Nachos, Tacos, Tortillas und Tequila viel besser. Bloß gut, dass sie mich bei der Festlegung der Garderobe nicht mit einbezogen hat. Die Männer werden in Schlaghosen oder Frack kommen und die Frauen in bunten Mini- oder Abendkleidern. Fast so, wie zu einer Gala der Prominenz. Weiß ich, was ihr dabei eingefallen ist, sich so fest zu setzen. Wenn die in meinen Schrank gucken würde, dann würde sie Augen machen. Ich habe gerade mal eine ordentliche Jeans und zwei Lieblingshemden, eins ist blau kariert und eins grün gestreift. Der Anzug, ein Zweireiher, ein Stück aus dem Ausverkauf bei Woolworth, ist inzwischen unmodern geworden. Das kann sie sich gar nicht vorstellen, dass man mit so wenigen Klamotten auskommt. Im Moment zählt nur die Feier, unser doppeltes Glück.
„Weißt du Hansi, das Schlimmste ist die Hektik in den letzten Tagen.“
Sie wollte mich überreden, nun doch etwas für die Feier zu tun. Ich habe sie zum Abschluss unseres langen Telefonats getröstet, sie soll sich nur nicht aus der Ruhe bringen lassen. Denn die geht bestimmt jeden Tag die Gästeliste rauf und runter, hat alle Servietten gezählt, das Buffet x mal umgestellt und die Musikfolge dreimal geändert. Nun fleht sie mich an, ich soll eine Dame zu unserem Fest mitbringen, und wenn es nur für diesen Abend ist. Ich verstehe sie ja, Sie hat schon immer gejammert. Früher fehlten Cousins und Cousinen, die sie in Berlin hätte besuchen können. Immer hätte es einen Anlass gegeben. Zur Einschulung, zur Konfirmation usw.
Doch jetzt, viel zu spät meine Liebe. Eine Familie hätte ich viel eher gründen müssen. So nach dem Motto: Frau, Kinder, Hund und Papagei. Jetzt möchte Regina, dass mich eine umsorgt. So fürs Alter. Die mir Pasta zubereitet und die Hemden bügelt.
Was denkt die denn? Wo soll ich die denn so schnell herbekommen? Soll ich wie ein hungriger Löwe durch den Supermarkt streifen oder jeden Abend an der Kinokasse fragen?
Wenn ich nun zur Feier solo ankomme, einen alten Anzug von Woolworth trage, das findet sie peinlich. Ihre Freunde, Kollegen und Nachbarn sollen nicht sagen, was ist das denn für einer. Für Mode hat er wohl nichts übrig. Wieso hat denn der keine abgekriegt. So schlecht sieht er doch nicht aus. Groß und schlank, schwarzes volles Haar, stahlblaue Augen, die hinter langen Wimpern versteckt sind.
Also Männer, lasst euch sagen, Frauen können anstrengend sein, egal ob Freundin, Schwester, Mutter, Verkäuferin oder Zugbegleiterin.
Kurze Zeit nach unserem letzten Telefongespräch, als Regina mitbekommen hat, dass ich mit Christine in einer Krise stecke, habe ich zurückgerufen und gebeichtet, dass ich Christine nicht mehr will.
„Wieso nicht ?“ fragte Regina gleich wie eine Richterin.
„Ich will sie nicht. Ich will keine Beziehung, die auf materieller Basis aufgebaut ist, also keine Kapitalanlage. Verstehst du das überhaupt?“
„Du willst die Garantie für lebenslängliche Romantik. Du glaubst, wenn du nicht heiratest findest du die ewige Liebe. Das ist ein schrecklicher Irrtum, glaub mir mein Lieber.“ Endlich gab ich kleinlaut zu, dass wir uns getrennt haben.
„Wieso getrennt?“
Ich spürte, wie Regina den Hörer für einen Moment vom Ohr weg hielt. „Das ist doch ganz einfach, man trennt sich eben.“
„Aber Hansi, Christine ist doch reich, hat Vermögen, ein Haus mit allem was dein Herz begehrt. Pferde, die auf der Koppel stehen und morgens auf eure Terrasse sehen.“
„Ich sagte dir doch, dass ich keine Kapitalanlage will. Und dass Pferde morgens auf die Terrasse glotzen, ist vorbei.“
„Vorbei? Wieso?“
„Weil ich ausgezogen bin und eine Wohnung in einer ruhigen Gegend im ersten Stock gemietet habe.“
Das hatte gesessen. Stille am anderen Ende der Leitung. Regina hat es die Sprache verschlagen. Mit Nachdruck muss ich ihr nochmals klar machen, dass ich auf all den Reichtum verzichten kann. Ein dickes Konto ist nicht alles, was man zum Leben braucht. Ich habe auch ein Vermögen. Meins ist die Freiheit. Ich will das Leben genießen. Ich will schwach werden, wenn ich eine Frau sehe, die schwarzes, seidiges Haar hat, lange Beine und einen knackigen Arsch.
Meine Schwester kommentierte meine Vorstellungen vom Leben lapidar:
Bruderherz, jetzt bist du aber wirklich durchgeknallt.
Sie versteht aber auch nicht, wenn ich sage, seit ich meine eigene Wohnung habe, habe ich keine Probleme mehr mit Frauen bzw. die Frauen keine Probleme mehr mit mir. Ich muss keine Gefühlsausbrüche ertragen, muss nicht Rede und Antwort stehen, warum ich wieder solange im Stall bei den Pferden war. Keine kann mir die Augen auskratzen, bloß weil ich im Schlaf den Namen meiner ersten großen Liebe genannt habe. Anabell. Diese kurze, aber leidenschaftliche Beziehung müsste 27 Jahre her sein. Meiner Schwester habe ich damals von dem Urlaubsabend in Griechenland erzählt. Von meinem Lieblingsclub, wo wir viel und ausgelassen tanzten. Und von Anabell. Die mir nachgereist war, weil sie wusste, dass ich ebenfalls hier sein würde. Regina wurde rot, als ich ihr die Abendszene und die heiße Nacht mit Anabell beschrieb. Von unseren Tänzen und wie meine Hand unter ihren Rock wanderte. Sie hatte es noch nicht erlebt, wie es ist, wenn man wie wild übereinander herfällt, sich die Kleider vom Leib reißt und den ganzen Körper mit Küssen bedeckt. Ich habe nie wieder eine Frau mit solchen großen, festen Brüsten liebkost. Und keine war so geil wie Anabell.
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