„Gute Idee, aber das nächste Mal, äh, das nächste Mal lassen sie den Eimer mit dem Mist draußen stehen. Ich wohne, äh, in ihrem Aufgang. Die Frau Schäpperkötter wollte schon die Hausverwaltung anrufen, äh, weil es im Flur so unangenehm roch.“
Ich bin platt und senke den Blick.
Mit einem Händedruck will ich die neue Nachbarschaft besiegeln.
„Ich bin Hans Selling.“
Herr Schön rümpft die Nase, lässt die Hand unten. Frieda guckt wie eine Schiedsrichterin abwechselnd nach oben zu ihrem Herrchen, dann zu mir. Sie kommt auf mich zu und beschnuppert meine Hände. Ich glaube, wir mögen uns.
„Komm Frieda, das ist nichts für dich“, zieht Otto Schön seine Mopshündin an der Leine fort.
Frieda tippelt hinterher, dreht den Kopf in meine Richtung und streckt mir die Zunge raus. Dann folgt die Mopsdame brav ihrem Herrchen. Was wäre die Welt ohne Hunde und vor allem ohne Möpse? Ich nehme den leeren Eimer und gehe wieder in meine Wohnung.
*
Es riecht immer noch nach frischer Farbe, obwohl ich hier seit einigen Wochen wohne und täglich lüfte. Das Inserat: Balkon - Wohnung im Grünen. Klein, preiswert, quadratisch geschnitten, fiel mir unter den Wohnungsangeboten in der Zeitung auf.
Alles nur für sie allein, betonte die Vermieterin bei der Besichtigung. Im Wohnzimmer Stuck an der Decke aus Styropor. Nicht unbedingt nach meinem Geschmack. Gleich rechts neben dem Wohnzimmer die Küche mit Geräten, die zwar nicht neu, jedoch blank poliert sind. Das Bad genauso blitzsauber wie die Küche. Die Fußböden beider Räume sind mit hellen Fliesen ausgelegt. In wenigen Schritten war ich damals auf dem Balkon und betrachtete die Aussicht vom ersten Stock. Gerade rüber sanierte Altbauten. Unter mir die Straße und Bürgersteige. Wohnen im Grünen? Ich runzelte die Stirn.
„Sie brauchen keine Angst zu haben. Hier ist es ruhig. Sie befinden sich in einer ruhigen Berliner Gegend“, sagte die Vermieterin. Und ich dachte, egal, es ist nicht alles so wie ich es gewohnt war. Aber die Wohnung nehme ich. In Gedanken klopfte ich mir auf die Schulter. Endlich hast du es geschafft. Du bist fort von Christine. Ich sehe noch die Abschiedszeremonie deutlich vor mir. Sie war blass geworden, als ich mit einem Koffer voller Sachen vor ihr stand und adieu sagte. Sie überspielte die Szene und überreichte mir ein Buch: Selbst ist der Mann. Misstrauisch beäugte ich das Buch, nahm es und dachte: Traut sie mir denn gar nichts zu? Sie weiß doch was ich kann. Unser Leben war spannend. Vorausgesetzt, sie saß nicht gerade über ihren Werbetexten. Die Eifersuchtsszenen, die sie aufführte, nervten. Ich habe ihr gesagt, was ist dabei, wenn ich die langen Beine einer anderen Frau bewundere. Nur dieser Satz reichte, dann brannten bei ihr die Sicherungen durch. Sie fauchte, trat, biss und warf mit Gegenständen um sich. Doch Christine konnte auch anders. Unter Tränen kehrte sie dann ihre zahme Seite heraus. Als ich ihr Haus verließ sah ich, dass die Blässe aus ihrem Gesicht verschwunden war, ich sah so etwas wie ein Lächeln in ihren Augen. Ich gab ihr die Hand, nahm meine Tasche und ging. Der nächste Schritt war in die Möbelbörse. Ich habe mir einen nussbaumfarbenen Kleiderschrank, dazu passend eine alte Kommode gekauft. Und eine Lampe. Die steht auf einem silbernen Gestell. Man kann sie dimmen, hat die Verkäuferin gesagt. Sie tippte mit ihren Fingern auf das Gestell, im nu leuchtete es erst matt, beim nochmaligen drücken wurde es immer heller. Ich machte es ihr nach und es funktionierte auf Anhieb. Mal was Modernes habe ich mir gedacht. Fernseher, Musikanlage und Couch habe ich von Timmi bekommen. Wirklich ein zuverlässiger Kumpel. Eines Tages stand er vor meiner Tür und meinte: „Mensch Hanni, mit fast 50 Jahren ohne Frau und endlich die erste eigene Wohnung. Aber noch ziemlich leer, findest de nicht och.“ Ich sollte ihm auf die Straße folgen. Er machte die Türen von seinem Transporter auf und zeigte in das Innere. Hier, kannste haben. Stand bei uns im Keller, geerbt von meiner Großmutter. Aber alles noch in Ordnung. Wir trugen den Fernseher und die Musikanlage gleich nach oben. Vor der Couch blieb ich erst mal stehen.
„Ganz schön groß für meine kleine Bude, Timmi. Und dann noch roter Samtbezug. Passt doch gar nicht zu mir.“
„Was mäkelst du. Geschenkt ist geschenkt.“
Wir mussten das Teil lange hin und her rangieren, bis wir oben in der Wohnung waren. Als wir uns entschieden hatten, die rote Samtcouch an die Wand gegenüber dem Balkonfenster zu stellen, lies ich mich reinfallen und sprang gleich wieder hoch. „Die ist noch nicht durchgesessen, Timmi. Das ist noch echte Ware!“ An das Rot und den Samtbezug habe ich mich gewöhnt. Genauso an meine Wohnung. Endlich habe ich ein Nest nur für mich. Es wird mich künftig ein Drittel meines Gehaltes kosten. Macht nichts, jetzt bin ich frei von Zwängen irgendeiner Art. Dafür muss ich jetzt allein kochen, selbstständig bügeln und ohne fremde Hilfe putzen. Ich muss lernen, wie man eine Waschmaschine ordnungsgemäß befüllt und wie lange man Wäsche ohne zu wechseln tragen kann. Würde meine Mutter noch leben, hätte sie gesagt, mit dem Auszug aus dem Elternhaus beginnt für Nestflüchter der Ernst des Lebens. Nur reichlich spät bei Dir, mein Sohn. Sie hätte mir eine Liste in die Hand gedrückt und fein säuberlich aufgeschrieben, was in einer Wohnung wichtig ist, welche Möbel ich mir kaufen sollte, wie ich mir mein Geld einteilen müsste. Wenn sie erlebt hätte, dass ich mich immer bei Frauen einquartiert habe, hätte sie die Hände über den Kopf zusammengeschlagen und gejammert, dass dieser Junge sie noch um den Verstand bringe. Sie hätte nie verstanden, dass es für mich so einfacher ist. Hätte ich argumentiert, dass die Wohnungen perfekt ausgestattet sind, hätte sie mir erklärt, dass es sich für einen Mann nicht gehört, sich ins gemachte Nest zu setzen. Mit einem anderen Argument treibt mich meine Zwillingsschwester Regina in die Enge. Kein Gespräch wird ohne die Frage beendet, wann ich denn nun endlich heirate. Ich habe ihr Christine vorgestellt. Die beiden mochten sich gleich. Eine gute Partie, mein lieber Bruder. Die setzt sich durch im Leben. Und hübsch ist sie außerdem. Ich fand Christine zwar nicht hübsch, aber interessant. Wenn ich morgens durch ihren schwarzen Bubikopf wuselte, in ihre lustigen grünen Augen blickte, dann überkam mich sofort das Gefühl eines Vagabundes. Gleich als wir uns kennen lernten habe ich ihr das Lied: Lustig ist´s im grünen Wald wo des Zigeuners Aufenthalt. Faria, faria, faria, faria. Faria, faria, ho vorgesungen. Sie reagierte, ich hätte grässlich gesungen und vom Zigeunerleben wolle sie nichts hören. Verführerisch war der rote Kussmund. Immer wenn wir ausgingen musste ich entscheiden, welche Rotnuance sie auftragen soll. Auf dem weißen Sessel in ihrem Wohnzimmer hatte sie handtellergroß einen roten Kussmund gemalt. Überhaupt wirkte das Wohnzimmer wie ein kleiner exotischer Tempel. Oben auf dem antiken Holzschrank wachte eine Buddhafigur über den Raum. Der bauchige Hocker aus Asien, der runde Couchtisch aus Holland und der weiße Sessel gehörten nur ihr. In dieser Oase, so nannte Christine dieses Wohnensemble, wollte sie zur Ruhe kommen und entspannen. Wenn ich mich mit meinen Reitsachen in den Sessel setzte, ist sie ausgerastet. Logisch, das ich das irgendwann nicht mehr gewagt habe. Schließlich hatte ich mein eigenes Zimmer in ihrem Haus. Als ich eines Tages von der Arbeit kam, stand ein Flachbildschirm neben meinem Bett. Ich fragte sie verwundert, warum ich jetzt so ein Teil bekommen habe. Kurz und knapp kam die Antwort: Damit du mich künftig nicht störst, wenn ich arbeite. Texte schreiben sei nun mal ein schwerer Job. Noch kurz bevor ich aus ihrem Haus auszog, hatte sie wieder einen ihrer tollen Einfälle.
Es war schon nachts um eins. Aber nicht zu spät, um eine Nummer zu schieben. Ich saß auf dem Bettrand und grübelte, wie ich Christine ins Bett locken könnte. Plötzlich höre ich sie rufen:
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