„Ey, ich habe so einen krassen Flash für ein Bild, weißt du, ich habe da auf einmal so ein ultrakrasses Bild im Kopf, das muss ich gleich aufschreiben.
Sechs Stunden hab ich dran gearbeitet, sechs, boah, das ist der Hammer. Das musst du dir vorstellen.“ Gab mir einen Kuss, rannte runter in ihr Arbeitszimmer und hat den Computer angeschaltet. Das war´s.
Mir platzt gleich der Kopf, rief sie nach oben. Und ich: Scheiße, wieder eine Nacht ohne tollen Sex, weil sie schreiben muss.
Während sie sich Sorgen macht, dass ihr Kopf platzt, platzt bei mir was ganz anderes. Frauen, sag ich nur. Meine anderen waren nicht besser. Irgendein Alltagsscheiß wurde immer zelebriert. Ich hatte beschlossen, mich von Christine zu trennen. Nicht wegen der Nacht ohne Sex. Ich wollte weg von ihr. Ich fühlte mich in ihrem Haus eingesperrt und von ihr und dem Buddha ständig überwacht.
*
Es klingelt. In nur drei Schritten bin ich auf meinem Balkon und gucke auf die Straße. Ah, das Postauto. Glück für den Postmann, dass ich da bin. Fast außer Puste ist er, als er vor meiner Tür steht. Einen dicken DIN A4 Brief drückt er mir in die Hand. „Hier, für sie ein Einschreiben. Ich brauche eine Unterschrift“. Im ersten Moment schlottern mir die Knie. Ich befürchte das Schlimmste. Vielleicht ein Brief von der Bußgeldstelle, weil ich das Strafgeld fürs zu schnelle Fahren immer noch nicht beglichen habe? Irgendwann drohen die nämlich mit Haft. Aber woher hatten die denn die neue Adresse? Ich unterschreibe und nehme den Brief, drehe ihn um.
Der Absender: Regina Scholz.
Meine Schwester. Die hat doch erst vor kurzem mit mir telefoniert und von einer Geburtstagsfeier gesprochen. Da war meiner Meinung nach alles geregelt. Oder ist was an der Küste passiert? Der Postbote wippt von einem Bein auf das andere und guckt auf meine Hände, die nun doch zitternd den Umschlag öffnen.
Regina schreibt mit sauberer Handschrift:
Einladung zu unserer Zwillingsgeburtstagsfeier!
„Zwillingsgeburtstagsfeier“ buchstabiere ich und zeige dem Postboten noch ein blaues Stück Pappe mit der Aufschrift: Gutschein
„Dann ist ja alles in Butter“, meint der Zusteller und geht zur nächsten Tür.
So was Penetrantes. Kommt hier hochgerannt, als wenn der Teufel hinter ihm her ist. Guckt und guckt und wartet bis ich den Brief aufmache. Könnte ja etwas Interessantes drin stehen. Gleich im Flur falte ich den Brief auseinander:
Liebe Freunde, lieber Hansi!
was einer von zweien allein kaum schafft,
weil von der Zeit hinweg gerafft
was ein jeder gerne würde,
gäbe es da nicht so manche Hürde,
Doch, was man nicht alleine schafft,
gelingt oft mit vereinter Kraft.
Vernehmet nun die frohe Kunde,
wir laden zur Geburtstagsrunde
ins Vereinshaus des Tennisclubs nach Warensfeld
E u c h - und alle übrigen ein.
Nur - damit Ihr Euch nicht wundert -
dies Jahr sind wir zusammen 100!
Persönlich an Dich, Hansi:
Wie doch die Zeit vergeht. Mit 18 habe ich gedacht, mit 30 ist alles vorbei, dann sind wir alt. Bald werden wir 50. Jetzt fühle ich mich wie 30. So kann es noch lange weitergehen. Lieber Hansi, in zehn Tagen feiern wir unser Jubiläum.
2 mal 50. Bringe bitte eine nette Tischdame mit, am besten Christine! Du weißt doch, die Leute reden sonst wieder über uns. Falls Christine nicht kann oder Du sie, aus welchem Grund auch immer, nicht mitbringen willst, dann versuche eine zu finden, und wenn es nur für den einen Abend ist.
Besuche einen Flirtkurs oder geh zu einer Tanzschule. Ich lege dir einen Gutschein bei. Entscheide selbst.
Deine Schwester!
Mir wünscht sie also einen Countdown nach dem Motto: Die Jagd beginnt. Jetzt zieht sie alle Register und überlegt, wie ich zu einer Frau kommen könnte. Gutschein für irgendwelche Anmachversuche. Die spinnt wohl. Ich habe unzählige Motivations- und Sexbücher gelesen und sämtliche Aufreiß-Gurus weltweit studiert. Ich kenne alle Flirtsprüche und ich weiß, welche Stimme die Frauen verrückt macht. Ich weiß, welche Worte ich sagen muss, um erotische Energien freizusetzen. Aber warum soll ich jetzt ausgerechnet einen Flirtkurs besuchen? Tanzschule? Tanzen kann ich sowieso wie ein junger Gott.
Der Brief kommt auf den Stapel zur unerledigten Post. Ich suche Trost auf meiner Couch, starre an die Decke. Mich verfolgen die Worte meiner Zwillingsschwester.
Hansi, dem Vater haben die Krankenschwestern vor fast fünfzig Jahren gesagt, wir beide waren eine schwere Geburt. Doch Mutter und Kinder sind wohlauf. Er kam wie immer zu spät. Drei Tage hat er sich Zeit gelassen, uns und Mutter zu besuchen. Übrigens, du warst zwar der Zweite, aber der Schwerere.
Jedes Mal wenn meine Schwester von unserer Geburt erzählt, werde ich immer hundert Gramm schwerer. Nun feiern wir ein Jubiläum, das man fest in Stein meißeln muss. Natürlich nur, wenn es nach meiner Schwester geht.
So sind Frauen. Sie drängeln, nerven, organisieren. Vor allem Dinge, die einem nicht so wirklich was bedeuten.
Ich, Hans Selling bin
neunundvierzig Jahre elf Monate und zwanzig Tage alt
und gehöre zu den Männern, die nun mal keine Lust auf Geburtstagsvorbereitungen haben. Wofür soll ich mich feiern lassen?
Für unseren Zwillingsgeburtstag? Das könnte ich vielleicht noch verstehen. Aber nicht, die Drängelei, dass ich Single bin, und dass in meinem Leben die ordnende Hand einer Frau fehlt.
Ein hupendes Auto reißt mich aus meinen Grübeleien. Schon wieder ein Fahrer, der es besonders eilig hat. Das muss ich sehen. Ich gehe zu meinem Beobachtungsposten. Ich traue meinen Augen nicht. Heike steigt gerade aus ihrem VW Golf. Suchend blickt sie die Balkonreihen ab.
„Hanni, ich komme gerade von der Reiterfarm. Ich habe gehört, dass du heute deinen freien Tag hast. Kann ich mal kurz hochkommen? Wird Zeit, dass ich mir deine neue Wohnung ansehe.“
Ich erwarte Heike an der Tür. „Nimm deine Reitstiefel rein. Sonst meckert die Schäpperkötter.“
„Wer?“
„Die da drüben“, zeige ich mit dem Finger auf die Tür gerade rüber. „Es reicht schon, dass sie mir das Leben schwer macht.“
„Wo bist du denn gelandet? Etwas bieder alles hier, oder? Nicht mal Schuhe kann man bei dir vor der Tür stehen lassen.“
„Flotte Damenschuhe schon, aber nicht diese Dreckdinger.“
„Was heißt Dreckdinger. Das sind teure, handgefertigte Lederstiefel“, ist Heike beleidigt. Sie nimmt ihre Stiefel in die Hand und stellt sie in den Flur neben die Eingangstür und stürzt auf meine Couch zu.
„Wow Hanni, sieht gut aus, dein Sofa.“ Sie streicht über die Lehne. „Mensch, das ist ja Samt. Und die rote Farbe. Tolles Ding. Wo hast du die denn her?“ Ich sage nichts mehr. Heike geht in die Küche. „Bisschen kahl hier. Brauchst du noch Töpfe. Meine Mutter hat gerade welche ausrangiert. Sie hat sich einen neuen Herd gekauft. Da mussten neue Töpfe her. Die alten stehen bei mir im Keller.“
Nicht mal ja oder nein, kann ich sagen. Ohne Übergang geht sie zum nächsten Thema über. „Hanni, ich gratuliere dir zu deinem mutigen Schritt! Die erste eigene Wohnung und ohne Geliebte. Glaub mir, die ewige Suche nach der Richtigen oder dem Richtigen ist Illusion. Auch ich bin am Überlegen, meinen extrem launischen Ehemann ’in die Wüste’ zu schicken. Außerdem will ich frei von Emotionen sein. Laufend redet Holger von Gefühlen. Ich glaube damit will er mich erpressen“, seufzt sie. „Ich muss ihm sagen, dass er mir auf den Wecker geht. Es ist schlimm, wenn man sich schon so lange kennt, und dann feststellen muss, dass man keine Gemeinsamkeiten mehr hat, außer den Erinnerungen.“
Heike trinkt in einem Zug das Glas Wasser leer, stellt es auf den Tisch und fragt beim Hinausgehen: „Sag mal hast du Christine überhaupt geliebt?“
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