Ich lächelte bemüht. „Nein, natürlich nicht.“
„Dann lassen Sie sich von Mennering einkleiden.“
Plötzlich meldete sich der Hunger wieder. Die zwei Scheiben Brot hatten nicht dauerhaft geholfen. Ich hätte lieber fürstlich zu Abend gegessen als zu baden, aber das war noch nicht möglich. Ich wagte es nicht, dem Millionär Widerworte zu leisten.
„Bitte folgen Sie meinem Assistenten“, forderte mich der Millionär auf. Er erschien mir freundlicher und gelassener als am Telefon, viel freundlicher. Vielleicht bewirkte das die unmittelbar bevorstehende Vertragsunterzeichnung.
Ich nickte und folgte dem Butler, den er Assistenten nannte. Wir liefen durch einen Flur mit purpurnem Teppich unter uns und altertümlichen Gemälden an den Wänden. Wir bogen noch zweimal ab und gelangten in ein kleines holzvertäfeltes Zimmer, an dessen Seitenwänden sich Wandschränke befanden.
Einmal mehr forderte mich jemand auf, mich auszuziehen, aber Mennering war sehr viel diskreter als die übrigen Leute, die auf diesem Areal so herumschlichen. Er zog sich zurück, brachte eine grün-gelbe Slip-Badehose, legte sie mit abgewandten Augen vor mir auf die Holzbank und zog sich abermals zurück.
Die Schwierigkeit war nun eine andere: Die Badehose passte mir nicht. Zwischen Herrn Steigbügel und mir lagen mindestens zehn Kleidergrößen. Was bei einem Oberteil wie Hemd oder Jackett noch nicht so ins Gewicht fällt, weil das Kleidungsstück irgendwie auf den Schultern hängen bleibt, ist bei einer Hose fatal. Die man mir gegeben hatte, suchte vergebens ein ausladendes Hinterteil, an dem sie Halt finden konnte. Hatte ich mir in den jungen Jahren öfter anhören können, dass ich keinen Arsch in der Hose hätte, war ich nun erstmals mit den Herausforderungen konfrontiert, die diese Tatsache mit sich brachte. Außerdem trug ich nie Slip-Hosen, egal welcher Sorte und Funktion, seit den Achtzigerjahren nicht mehr.
Ich rief nach Mennering. Kurze Zeit später stand er vor mir und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ich straffte die Badehose so, dass sie notdürftig alles verdeckte.
„Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte er süffisant.
„Mit einer Ihrer Badehosen.“ Mennerings Hinterteilumfang war irgendwo zwischen meinem und dem von Steigbügel anzusiedeln. Somit konnte man vielleicht wenigstens mit Klebeband oder Sicherheitsnadeln etwas machen.
„Ich habe keine Badesachen hier“, gab er zurück.
„Sie baden nie?“
„Nicht hier. Hier badet ausschließlich Herr Steigbügel...Und seine...ähm...Nixen.“
„Sie meinen, seine Krankenschwestern?“
„So kann man es sagen, ja.“
„Also keine andere Badehose für mich?“
„Solche hier“, sagte er und deutete auf mein Feigenblatt aus Gummi. „Oder sehr enge String-Tangas.“
Ich stutzte. „Na gut. Dann nehme ich diese, danke.“
Er überlegte. „Ich kann Ihnen mit Sicherheitsnadeln helfen.“
Mein Gedanke , dachte ich.
„Sollte ich beim Schwimmen meine Arme brauchen“, sagte ich. „Würde mir das sicher sehr helfen.“
Um seinen Mund spielte Belustigung. Schon wieder auf dem Sprung sagte er: „Ich bin sofort wieder da.“
Er kam mit einem Paar Sicherheitsnadeln zurück. Respektvoll ließ er mich sie alleine anbringen. Sie hielten die Hose einigermaßen auf meinen Hüften.
Mennering begleitete mich durch die Flure in einen anderen Teil des Schlosses. Ich steckte in einem Bademantel und Birkenstockschuhen und bewunderte im Vorbeigehen die zeitgenössischen Gemälde an den Wänden.
Irgendwann kamen wir an eine Türe mit Glaseinsatz. Der Diener drückte sie auf. Hier war es wärmer als in den Fluren. Er nahm mir den Bademantel ab und drückte die nächste Türe auf. Hier war es unglaublich warm, beinahe heiß. Der Geruch von Chlor schlug mir entgegen und ein heftiges Wasserplätschern.
„Ich lasse Sie beide jetzt allein“, flüsterte mir der Butler zu und entschwand.
Ich prüfte die Befestigung meiner Badehose.
Vor mir standen ein paar blaue Liegen auf beigefarbenen Kacheln. An den Wänden gab es Mosaike im römischen Stil. Die Decke war gewölbt und mit Streben wie in einer gotischen Kirche versehen. Gedämpftes Licht reflektierte von der Wasseroberfläche an die Decke.
„Da sind Sie ja“, hörte ich die Stimme von Steigbügel.
Mir fiel nichts anderes ein als ein schlichtes „Ja.“
Ich sah genauer hin und erblickte ihn. Er befand sich im Wasser. Er lag in einem übergroßen Schwimmring aus rotem Kunststoff und winkte mir zu. Auf mit den eigenen Händen aufgewühlten Wellen schaukelte er hin und her.
„Kommen Sie ins Wasser“, sprach er euphorisch. „Es ist auch nicht kalt. Ich verspreche es Ihnen.“
Dampf stieg vor mir auf und hüllte ihn zeitweise ein.
Durch eine riesige Glaswand konnte man die Nacht hereinbrechen sehen. Regen peitschte gegen die Scheibe. Man sah hinaus auf eine ausufernde Parkanlage: Kleinere, steingefasste Seen, lange Hecken, Bäume. Die Wolken dahinter verschluckten den Tag.
Ich trat an den Beckenrand. In meinem Augenwinkel sah ich eine Bewegung, also drehte ich den Kopf und erschrak. In einer Ecke stand ein Mann. Dieser war in einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd und Fliege gekleidet. Obwohl er ein Stück entfernt war, konnte ich drei Dinge feststellen: Er war nicht besonders groß, er war äußerst gut gebaut und es handelte sich um einen kraushaarigen Mulatten. Ich hatte gehofft, der Millionär würde mich wenigstens hier vor seinem Personal verschonen. Als bräuchte er nach all den Sicherheitschecks noch einen Bodyguard.
„Kommen Sie. Ziehen Sie ein paar Bahnen.“
Ich konnte zweifelsfrei erkennen, dass es sich um ein rundes Schwimmbecken handelte.
„Passt Ihnen meine Badehose?“ Er paddelte so, dass der Schwimmring sich im Kreis drehte und er sich mit.
„Wie angegossen“, sagte ich und streckte vorsichtig meinen Fuß ins Wasser.
„Da bin ich ja froh“, sagte er. „Ich hatte Sie ein wenig schlanker eingeschätzt als mich.“
Das Wasser war heißer als heiß. Ich fragte mich, wie er es darin aushielt.
„Wenn draußen der Herbst hereinbricht“, kommentierte der Millionär meinen Temperaturtest. „Muss das Wasser wohltemperiert sein. Sonst erkältet man sich. Nicht wahr?“
„Durchaus“, erwiderte ich und betrachtete die zehn Zentimeter dicken Glasscheiben.
Er lehnte sich vorüber, rutschte nach hinten, so dass sein Bauch durch den Ring ins Wasser hing, tauchte den Kopf unter und prustete beim Auftauchen das Wasser aus. Er schien großen Spaß an seinem nassen Spielplatz zu haben.
Ich rückte eine der Liegen näher an den Beckenrand und setzte mich darauf. Wieder fühlte ich mich schwach und kraftlos. Ich musste dringend etwas essen. Plötzlich stach es mich auf beiden Seiten in die Hüfte. Ich nestelte an den Nadeln, wodurch sie noch stärker stachen. Schließlich nahm ich sie ganz heraus, ich stand ja nicht mehr, sondern saß. Es wäre besser gewesen, Klebeband zu verwenden, dachte ich.
„Wenn Sie auf das Vorspiel verzichten wollen“, meinte Steigbügel, wieder in seiner vorherigen Position. „Können wir auch gleich mit dem Eigentlichen beginnen.“
„Das wäre mir recht, ja“, sagte ich kleinlaut.
„Jana!“, rief er unvermittelt.
Ich erwartete runde Hüften und den heiligen Hügel der Venus, über den sakrales Tuch gelegt, über den Badestoff gespannt war. Ich hoffte schon, das Relief ihrer Schamlippen unter dem dünnen Stoff umgehend erkennen zu können. Statt den breiten Segeln einer gewöhnlichen Bikinihose die Takelage eines String-Tangas, gespannt über den prall-feste Hintern und fest vertäut. Mich beschlich eine Ahnung, was er mit dem Eigentlichen meinte: Eine Ménage-à-trois mit einem dicken alten Herrn und seiner theoretischen Tochter.
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