Als ich im Büro ankam, sah ich sofort wieder das anzügliche Grinsen von Tobias, dem ich schon im Fahrstuhl in die Arme lief.
„Hey, Chica“, begrüßte er mich.
Ich verstand nicht, warum es ihm nicht langsam langweilig wurde, mich zu ärgern. Ich setzte ein möglichst unbekümmertes Gesicht auf.
„Guten Morgen, Tobias“, wünschte ich ihm mit undurchdringlicher Miene. Ich würde mich nicht auf sein Niveau herablassen und auf seine dummen Spielchen einsteigen.
„Und? Wen bringst du zu dem großen Essen mit?“, legte er auch sofort wieder den Finger in die Wunde.
Ich sah seine nach hinten gegelten Haare und roch sein aufdringliches Aftershave.
Echt, sein Verhalten war so daneben.
Als wir beide damals in der Firma angefangen hatten, war Tobias ein paar Monate lang der reinste Charmebolzen gewesen. Er hatte mit mir geflirtet, was das Zeug hielt, brachte mir Kaffee mit, hielt mir die Türen auf. Wir hatten sogar ein paar wirklich interessante Gespräche, bei denen wir uns lange in den Pausen unterhielten und auch oft noch nach Feierabend.
Und nur, weil ich nicht auf seine Anmache eingegangen war, tat er jetzt so, als wäre ich eine alte Jungfer. Oder lesbisch. Oder eine lesbische, alte Jungfer.
Mir war klar, dass verletzter Stolz bei Männern schmerzen kann. Aber es so zu zeigen, war ebenfalls keine Art.
Ich zuckte mit den Schultern und wollte ihn wortlos stehen lassen, aber er ließ sich nicht so leicht abschütteln.
„Weißt du“, sagte er mit vertraulich gesenkter Stimme, „der Alte ist ein totaler Familienmensch. Er hat mal gesagt, wer nicht liebt, der hat auch keine Kreativität. Er hasst es, wenn man zu diesen Terminen alleine kommt.“
Ich schluckte.
War das schon wieder eine Lüge? Merkwürdigerweise glaubte ich ihm. Aber ich fiel ja auch auf jeden noch so dummen Aprilscherz herein. „Na, dann wirst du ihm ja sicher bald eine Verlobte präsentieren“, sagte ich sarkastisch.
Er grinste selbstgefällig. „Wo du es gerade erwähnst: ich spiele gerade tatsächlich mit dem Gedanken, Sophia einen Antrag zu machen.“
Verdammt. Da hatte ich wohl ein Eigentor geschossen. Ich hatte Tobias Freundin auf der letzten Weihnachtsfeier kennengelernt. Sie war wirklich hübsch und nicht mal besonders dumm. „Herzlichen Glückwunsch und richte ihr bitte mein Beileid aus.“
Wir hatten fast unser Gemeinschaftsbüro erreicht, aber er ließ einfach nicht locker. „Also, kommst du wieder alleine?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich bringe meinen Freund mit“, hörte ich mich dann sagen, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt.
„Ja, sicher“, nickte Tobias ironisch. „Als ob du einen Freund hättest.“
„Ich habe einen Freund und es tut mir jetzt schon leid für ihn, dass er einen ganzen Abend mit einem Idioten wie dir verbringen muss“, schoss ich zurück. Dann stolzierte ich in unser Büro.
Als ich meinen Rechner hochfuhr, tobte ich innerlich immer noch. Ich wusste nicht, ob ich mich mehr über Tobias oder über mich selbst ärgerte. Auf jeden Fall war mir die Situation gehörig außer Kontrolle geraten. Ich konnte mir schon vorstellen, wie Tobias und Maik feixen würden, wenn ich jetzt doch allein zu dem Essen auftauchen würde.
Ich verbannte alle Gedanken an mein unbefriedigendes Privatleben aus meinem Kopf und konzentrierte mich auf meine Arbeit. Ich fing an, ein paar Skizzen für ein Feriendorf zu machen. Dann suchte ich nach vergleichbaren Objekten, sah mir ein paar Baumaterialien im Netz an und begann, Zeit und Kosten zu kalkulieren.
Als ich wieder von meinem Rechner aufsah, war der Tag fast vergangen und ich fühlte mich nach der Arbeit schon viel besser. Ich hatte mitbekommen, dass Tobias und Maik sich wie immer zusammentaten, um sich gegenseitig bei ihren Entwürfen zu unterstützten.
Sollten sie doch.
Wir würden ja doch nur die Vorarbeiten machen und dann würde einer von den namhaften Architekten aus der Firma die Federführung für das Projekt übernehmen.
***
Auf dem Weg nach Hause fragte ich mich, warum ich mich von Tobias so aus der Ruhe bringen ließ. Die Antwort war so einfach wie fürchterlich: weil er Recht hatte.
Ich wusste, dass mein Chef die fixe Idee hatte, dass man einen Lebenspartner haben musste.
Morgen in einer Woche würden wir uns in einem Nobelrestaurant am Hafen treffen: mein Chef mit seiner Frau, Tobias und Maik mit ihren Freundinnen und der japanische Investor Masuda. Auch er würde sicher in Begleitung erscheinen. Der Gedanke, innerhalb einer Woche einen offiziellen Freund auftreiben zu müssen, machte mich fast wahnsinnig.
Noch viel schlimmer war aber die Vorstellung, alleine bei dem Essen aufzukreuzen.
Es war schon acht, als ich endlich in meiner Wohnung in Eimsbüttel ankam. Ich hatte mir auf dem Rückweg noch etwas vom Japan-Imbiss mitgenommen und war mir der Ironie völlig bewusst, dass ich während einer japanischen Mahlzeit schon wieder alleine essen sollte.
Ich warf meine Schlüssel auf die Kommode und zog Schuhe und Mantel aus. Vor meinem Balkon ging gerade die Sonne unter. Ein winziger orangener Streifen war gerade noch zu sehen. Ich blieb eine Weile vor der Terrassentür stehen und beobachtete, wie es dunkel wurde. Dann zog ich die Vorhänge zu und machte mich auf den Weg in die Küche. Abschließend setzte ich Teewasser auf und schaltete mein Notebook ein.
Während ich die gebratenen Nudeln mit Hühnchen und Gemüse direkt aus der Schachtel aß, sah ich mir noch ein paar Feriendörfer an. Aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Immer wieder wanderte mein Blick zu meiner Trainingsjacke, die ich gestern Abend über einen Stuhl in der Küche geworfen hatte. In der Innentasche steckte der Zettel, auf den Lena die Internetadresse der Begleitagentur geschrieben hatte.
Irgendwie hatte ich Hemmungen, mir die Seite im Netz anzusehen. Ich kam mir vor wie ein Perverser, der sich Pornoseiten reinzieht. In Zeiten der NSA-Affären war privates Surfen schließlich nichts, was man als selbstverständlich voraussetzte.
Egal, sagte ich mir. Ich war mit meinem Arbeitscomputer gestern stundenlang auf den Seiten von diversen Stripclubs gewesen. Da war doch eine seriöse Begleitagentur gar nichts dagegen!
Bevor ich meine Meinung ändern konnte, fischte ich schnell den Zettel aus der Tasche und tippte die Internetadresse ab. Ich hielt den Atem an und erwartete instinktiv Bilder von spärlich bekleideten Menschen in aufreizenden Dessous.
Gott sei Dank sah die Seite wirklich seriös aus.
Da hatten die NSA-Agenten keinen Grund für spöttische Bemerkungen, wenn sie mir jetzt virtuell über die Schulter schauten. Man sah nur einen Tisch mit einem weißen Tischtuch. Darauf standen Wein, ein Brotkorb und zwei Pasta-Gerichte.
Ich überflog aufgeregt den Text. Man musste sich nur mit seiner E-Mail-Adresse und einem Passwort einloggen, schon konnte man hier an die sogenannten Sedcards der Begleiterinnen und Begleiter herankommen. Eine Gebühr wurde erst fällig, wenn man die Kontaktdaten anforderte. Es fühlte sich kein bisschen verrufen an. Also registrierte ich mich, gab meine Postleitzahl ein und schon konnte es losgehen.
Ich vertiefe mich in die Suchmaske, doch dann halte ich inne.
War ich eigentlich von allen guten Geistern verlassen? Wie krank war das denn, wenn man sich einen Mann von einer Agentur aussuchte? Eine Welle von Selbstmitleid überflutete mich. Was hatte ich bloß falsch gemacht? Warum hatte ich zwar einen erstklassigen Job, war aber nicht in der Lage, einen Freund zu finden?
Ich hatte mir mein Leben so anders vorgestellt. Klar, ich hatte immer Erfolg im Beruf gewollt. Aber ich hatte gedacht, dass ich spätestens mit dreißig Jahren der Liebe meines Lebens über den Weg gelaufen sein würde. Meine Lebensplanung war klar gewesen: mit dreißig heiraten, mit Mitte dreißig zwei Kinder.
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