Ich dachte an mein mit Auszeichnung bestandenes Architektur-Studium. An mein Auslandssemester in Oxford. Ich hatte nach meinem Abschluss mit achtundzwanzig Jahren einen Job in einem der führenden Architektur-Büros Deutschlands ergattert. Ich war noch vor ein paar Wochen federführend für ein Millionenprojekt zuständig gewesen. Aber Fakt war: jetzt war ich hier und arbeitete als Kassiererin.
Manchmal war das Karma ein wirklich mieser Verräter.
Mein Lächeln vereiste, aber ich nickte brav. „Wie gesagt, ich werde mein Bestes tun“, erwiderte ich.
„Na, gut“, schloss sie das Gespräch ab. „Dann sehen wir uns morgen.“
Ich holte schnell meine Tasche und atmete tief durch, als ich den Laden endlich durch die Hintertür verließ. Was war bloß mit mir passiert? Wie konnte es sein, dass ich mit dreißig Jahren vor den Trümmern meines Lebens stand?
Ich holte mir einen Döner am nächsten Kiosk und nahm einen kleinen Umweg in Kauf, um durch den Park nach Hause zu gehen. An einer Brücke blieb ich stehen und beobachtete einen Vater, der mit seiner Tochter ein Papierboot in den Bach setzte. Er sah aus wie Daniel – die gleichen dunklen Haare, die gleiche Statur. Der Anblick traf mich mitten ins Herz.
Ich schloss die Augen und wünschte mir, ich könnte die Zeit zurückdrehen. Ich hätte von Anfang an alles anders machen sollen. Na ja, vielleicht nicht alles. Denn dann hätte ich Daniel ja nie kennengelernt. Aber vielleicht hätten wir eine Chance gehabt, wenn ich nicht so eine Idiotin gewesen wäre.
Kapitel 1 - Auf zu neuen Ufern!
Zwei Monate zuvor
„Ach, komm schon, Isi“, stöhnte meine beste Freundin Lena. „Das kann doch nicht dein Ernst sein. Ich kenne wirklich niemanden, der immer wieder auf die gleiche Art von Aprilscherzen hereinfällt.“
„Ich hatte nicht auf den Kalender gesehen“, verteidigte ich mich. „Mir war doch nicht klar, dass heute der erste April ist.“ Wir saßen auf unseren Spinning-Rädern im Fitness-Studio und traten gemächlich in die Pedalen.
Sehr gemächlich.
„Was haben diese Idioten denn nun genau gesagt?“, fragte Lena und hörte auf zu treten. Sie holte ein Haargummi aus der Tasche ihrer trendigen Sporthose und band sich ihre dunklen Haare zusammen. Obwohl sie mich mitleidig ansah, blitzten auch Spott und Neugier in ihren Augen.
Die Idioten waren Tobias und Maik. Ich teilte mir mit ihnen ein Büro bei Berthold & Fechtner, der größten Architekturfirma in Deutschland. Sie arbeiteten wie ich in der Zweigstelle des Unternehmens in Hamburg und ließen nichts unversucht, um mir das Leben schwer zu machen.
Obwohl wir seit fast zwei Jahren ein Büro teilten, hatten meine Kollegen es bisher geschafft, mich aus all ihren privaten Unternehmungen auszuschließen. Nicht, das ich wild darauf gewesen wäre, mit ihnen zu irgendwelchen Sportveranstaltungen oder in dubiose Nachtclubs zu gehen. Aber es war wirklich unverschämt, wie sehr sie sich immer gegenseitig unterstützten und mich gleichzeitig bekämpften.
Ich seufzte theatralisch. „Sie haben mir gesagt, dass der alte Fechtner uns aufgefordert hätte, unsere Ideen für einen Stripclub im Las Vegas-Stil zusammenzutragen.“ Ich konnte sehen, dass Lena alle Mühe hatte, sich das Lachen zu verbeißen. Ich warf ihr einen warnenden Blick zu, während ich weiter redete. „Also habe ich mich den ganzen Vormittag damit beschäftigt, mir solche Clubs im Internet anzusehen. Ab und zu sind diese Lackaffen an meinen Platz gekommen und haben mir über die Schulter gesehen und mir aufmunternd zugenickt.“ Ich musste schlucken. „Weißt du, was das Erbärmlichste ist? Ich habe es richtig genossen, mich mit ihnen auszutauschen. Ich dachte, sie hätten mich endlich akzeptiert.“ Ich schloss einen Moment die Augen. „Ich bin so bescheuert! Das Gemeine war ja, dass wir wirklich ein Meeting mit dem Chef hatten. Er hatte angekündigt, uns am Nachmittag über ein neues Projekt zu informieren. Es hat alles zusammen gepasst.“
Lena hatte wieder angefangen, in die Pedalen zu treten.
Sie sah mich nachdenklich an. „Das ist wahrscheinlich dein eigentliches Problem. Das du immer noch dazugehören willst.“
Ich seufzte. „Es war wirklich schrecklich. Ich kam da mit diesen ganzen Bildern von nackten Frauen in die Besprechung. Diese Scheißkerle haben sich weggeschmissen. Sie konnten kaum das April, April rausbringen, so haben sie gelacht.“ Jetzt kochte ich wieder vor Wut. „Und weißt du, was die Oberfrechheit war? Tobias hatte die Dreistigkeit zu behaupten, sie hätten mir doch nur einen Gefallen getan. Er meinte, es hätte mir doch sicher Spaß gemacht, die Stripperinnen anzusehen.“
Ich musste schlucken, um die Tränen zurückzudrängen.
„Ach, komm.“ Lena boxte mich leicht. „Die sind halt immer noch beleidigt, weil sie bei dir nicht landen konnten.“
Wir radelten eine Weile schweigend vor uns hin. Jetzt, wo ich Lena alles erzählt hatte, kam mir die Sache schon gar nicht mehr so schlimm vor. Vielleicht konnte ich diese Geschichte wirklich mit etwas mehr Humor sehen und als lustige Anekdote abhaken.
„Dein Chef hat davon aber nichts mitgekriegt, oder?“, erkundigte sich Lena nach einer Weile besorgt.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, er kam wie immer eine Viertelstunde zu spät und hatte es verdammt eilig.“
„Und um was für ein Projekt geht es wirklich?“
„Wir sollen dem Chef bei der Vorbereitung für eine Ausschreibung zuarbeiten.“ Ich merkte, dass mein Herz bei dem Gedanken ein wenig schneller klopfte. „Es geht um eine Ferienanlage im Harz. Eine Mischung aus Wellness-Oase und Urlaubsdorf. Ist für einen Investor aus Japan.“
„Wahnsinn!“ Lena sah mich beeindruckt an. „Das wäre mal was anderes als die ganzen Bürohäuser, mit denen du dich bis jetzt herumschlagen musstest.“
Ich nickte. „Aber die Sache hat einen Haken. Wir müssen alle am nächsten Freitag mit dem Investor Essen gehen.“
„Hast du seit Neuestem etwas gegen Essen in Nobelrestaurants?“ Lena zog eine Augenbraue hoch. Sie wusste genau, dass ich eine Schwäche für teure Restaurants hatte.
„Ums Essen geht es nicht“, erwiderte ich. „Es ist nur dieser blöde Familienterror, den der alte Fechtner immer abzieht. Er nimmt zu jedem Geschäftsessen seine Frau mit. Und wir sollen auch unsere Partner mitbringen“, seufzte ich. „Ich sehe die beiden Idioten schon vor mir. Jeder mit einer Barbiepuppe im Arm. Sie werden einen dummen Spruch nach dem anderen reißen, weil ich mal wieder alleine zu so einem Essen komme.“
„Dann geh halt nicht alleine hin“, sagte Lena leichthin.
„Ich weiß nicht, ob es dir entgangen ist“, sagte ich und verdrehte die Augen. „Aber ich habe keinen Freund.“
„Nimm einfach irgendeinen Kerl mit“, schlug Lena ungerührt vor.
Ich ging kurz die Männer durch, die ich gut kannte. Die Liste war extrem kurz. Mein guter Freund Basti war so offensichtlich schwul, dass ich mich sofort zum Gespött machen würde, wenn ich ihn als meinen Freund ausgab. Liste beendet.
„Ich weiß aber keinen“, seufzte ich. „Ich lebe ja erst seit zwei Jahren in Hamburg“, fügte ich erklärend hinzu, als ich Lenas Blick auffing. „Da kenne ich natürlich noch nicht so viele Leute.“
„Klar“, sagte Lena sarkastisch. „Zwei Jahre sind ja auch echt zu kurz, um sich ein paar Freunde zu suchen.“ Sie trat energischer in die Pedalen. „Vielleicht liegt es aber auch daran, dass du außer deiner Karriere weder Zeit noch Energie für irgendetwas anderes hast? Du bist fixiert darauf, in dieser dummen Firma aufzusteigen, dass du manchmal aus den Augen verlierst, dass Erfolg nicht alles ist.“
Ich sah sie verletzt an. „Siehst du das wirklich so?“
Sie zögerte kurz, dann grinste sie mich an. „Ja, aber weil du meine beste Freundin bist, behalte ich es normalerweise für mich.“
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