Wir verlieren an Höhe, gleich werden wir abstürzen, wie beim letzten Mal ... «
Finn versuchte nun selbst, durch langsames Sprechen auf den Mann einzuwirken, dabei stellte sich dieser als Thomas vor. Doch auch noch so gut klingende Worte und Erklärungen, dass jedes Flugzeug Turbulenzen problemlos aushalten könnte, verhalten bei dem Mann. Es ging sogar so weit, das Thomas mit seinen Armen hilflos in der Luft herumruderte und dabei mit voller Wucht Finn am Kopf traf, was dieser aber in seiner weiter ansteigenden Angst nicht bemerkte. Thomas geriet regelrecht außer Kontrolle und auch die Turbulenzen wollten nicht nachlassen, nahmen sogar gefühlt zu. Mittlerweile schrie der Fluggast mit seiner panischen Angst vor einem möglicherweise nahestehenden Absturz sogar die junge Stewardess energisch an, die sich diesen Worten kaum zu Wort setzen wollte. Finn ließ nicht locker, redete direkt auf Thomas ein, dieser war aber bereits außer Sinnen. Da es auf Flügen generell keine Beruhigungsmittel oder Spritzen gibt, blieb am Ende nur das beherzte Eingreifen von Finn und weiteren Passagieren, die den Mann fest in den Sitz drückten und behelfsmäßig fesselten. Der Kapitän überlegte bereits, ob er den Flieger wenden sollte, die Entfernung zum nächsten Zielflughafen war aber bereits so klein, dass der Flieger weiterhin seinen Flug fortsetzte. Thomas, der immer noch ängstliche Passagier wurde mittlerweile mit Begleitung und großer Anstrengung auf einen Einzelsitz gebracht, wo er weiterhin mit Hilfsmitteln gefesselt wurde. Erst nachdem das Flugzeug in ruhigere Luftschichten gelangte, wurde auch Thomas umgänglicher und beruhigte sich nach und nach wieder. Für Finn war es jedoch ein aufregender Flug, der damit endete, das er zwar sicher an dem ersten Zwischenstopp in Amsterdam ankam, aber nicht unbeschadet. In seiner linken Gesichtshälfte war eine leichte Rötung zu erkennen, die durch den Zusammenstoß mit dem Arm von Thomas entstand. Ein kleiner Eisbeutel, der ihm auf dem Amsterdamer Airport gereicht wurde und die frische, stürmische Luft vor dem Flughafengebäude brachten Finn wieder langsam zur Besinnung und er musste insgeheim Schmunzeln über das, was er dort erlebt hatte.
Es gab schon viele seltsame Geschichten, die er auf seinen Flügen erlebt hatte. Da war zum Beispiel Tomkat, eine rabenschwarze Katze, die ihrem Besitzer beim Flug aus der Transportbox ausbrach und dann wie wild durch die Kabine raste. Halter, Stewardess und Passagiere waren auf der Hut und versuchten die Katze einzufangen, die natürlich dadurch immer mehr Angst bekam. Oder das junge Paar, das unbedingt einmal Sex über den Wolken haben wollte. Mal abgesehen von dem lauten Stöhnen, das plötzlich aus dem WC ertönte, schien das Paar kein Gleichgewicht gehabt zu haben. Am Ende steckte ihr kleiner Fuß in der Toilette fest. Wie peinlich diese Situation für die junge Dame gewesen sein mag, kann sich der Leser wohl ansatzweise vorstellen. Und dann war da noch die ältere Dame, die letztes Jahr auf einem Flug nach Rom neben ihm saß. Sie musste sehr einsam gewesen sein. Die ganze Zeit sprach sie mit Finn, wobei sprechen nicht die richtige Beschreibung ist. Viel mehr erzählte die ältere Dame ununterbrochen über ihr Leben und von ihren Nachbarn. Dabei ließ sie Finn gar nicht zu Wort kommen. In dem Moment, wo sie einen Satz abgeschlossen hatte, folgte bereits wie aus der Pistole geschossen der nächste. Ruhe kehrte erst ein, als Finn, den Flieger verlassen konnte. Umso glücklicher war er, als der Anschlussflug von Amsterdam nach Bern-Belp nun ohne nennenswerte Zwischenfälle verlief und er sogar seine Augen schließen konnte.
Als er in Bern ankam, heiterte sich seine Stimmung deutlich auf. Nicht nur die Alpen, die bei der Landung erkennbar waren, sondern auch die saubere Luft, das klare Wetter und der leichte Sonnenschein, der die gesamte Landschaft mit einem leichten Glitzer belegte, sorgten ebenfalls bei ihm für eine positive Stimmung. Die Fahrt bis in sein Hotel, das Bellevue Palace, das direkt in dem Stadtkern, neben dem Bundeshaus lag, dauerte nicht einmal 25 Minuten. Alles Weitere verlief beinahe schwerelos. Zwei Stunden später, nach einer warmen Dusche, lag Finn endlich in dem flauschigen Bett, mit Sicht auf die Aare, die unterhalb seines Hotelzimmers mit stetigem Fluss und mit einer beinahe märchenhaften Kulisse verlief. Ein völliger Gegensatz zu dem schmutzigen Dublin. So dauerte es auch nicht lange, bis er seine Augen schloss und in einen Tiefschlaf verfiel.
Als Finn am nächsten Morgen seine Augen öffnete, strahlte die Sonne durch die riesigen Fenster in seinen Hotelraum. Er genoss diese Atmosphäre, verbunden mit dem Weitblick in das Berner Land und diese absolute Ruhe. In Dublin wäre das beinahe unmöglich gewesen. Nicht nur die verschmutzte Luft, die an der Tagesordnung ist, sondern auch der Lärm, der von überall her polterte, gehörte in der irischen Stadt zum gewohnten Tagesbild. Bern ist für ihn eine willkommene Abwechslung, das Klima und die Menschen sind hier anders, freundlicher auf ihre spezielle Art. Im Speisesaal wartet bereits ein köstliches aussehendes Frühstück. Das Aroma des Kaffees strömt in seine Nase und bezirzt seine Sinne. Schon lange hat er das morgendliche Frühstück nicht mehr mit dieser Sorglosigkeit genossen, wie an diesem Tag. Seine Arbeit, eigentlich die Vorstellung beim Auftraggeber, wurde erst auf den späteren Nachmittag datiert, so dass ihm ausreichend Zeit zum Genießen bleiben würde. Dazu gehörte natürlich auch ein Schlendern durch die Einkaufsstraße in Bern, die zu der längsten in Europa gehörte und an der an jeder Ecke ein neues kleines Geschäft wartet, das mit bezaubernden Einlagen aufwartet und zum Eintreten animiert. Für Finn, der sonst nur das stressige Leben in London oder England kennt, ist der Bummel durch die Einkaufsstraße wie ein Spaziergang im Schlaraffenland. Überall lassen sich neue Dinge in vollkommener Ruhe entdecken. Leger gekleidet, bloß mit bei einer Bundfaltenhose und einem weißen Businesshemd versuchte er, jede Facette dieser neuen Eindrücke aufzuschnappen.
Alles verlief so friedlich und mit einer gewissen Art von Nostalgie, in der er sich einfach hätte fallenlassen können, wäre da nicht plötzlich ein starker Schmerz, den er in seinem Arm spürte. Genauer gesagt an seinem ganzen Körper. So vertieft war er in die märchenhafte Atmosphäre, dass er dabei eine junge Frau übersehen hatte, die er dadurch hart anrempelte und er sich an der Wand eines Hauses festhalten musste, um wieder Halt zu finden. Als er um sich blickte, entdeckte eine junge, wunderschöne Frau, mit langen brünetten Haaren, die leicht durch den Wind aufwirbelten. Tiefe, grüne Augen blickten aus ihrem Gesicht hervor. Mit einem leichten, verführerischen Lächeln entschuldigte sie sich bei Finn für das Anrempeln. Auch Finn entschuldigte sich vielmals, hatte er die junge Frau doch gar nicht bemerkt und so einfach umgerannt. Ehe er noch etwas sagen konnte, drehte die junge Frau ihm bereits den Rücken zu und verschwand langsam aus seinem Blickfeld. Er hingegen war von dieser Begegnung berührt, verwirrt und ein wenig verloren. Schon lange hatte ihn keine Frau so derart fasziniert. Dabei waren es nur wenige Sekunden und sie hatten nicht einmal viele Worte gewechselt. Das einzige was geblieben war außer dem sagenhaften, schon ein wenig magischem Lächeln, waren die Worte » Es tut mir leid « die mit einer sanften und vertrauten Stimme durch die Unbekannte erfolgte, die nun nach rechts in einer Seitengasse verschwand.
Finn stand noch immer am gleichen Punkt, sehnsüchtig schweifte sein Blick nach ihrem Schatten, der nun auch langsam in der Gasse verschwand. In diesem Moment fragte er sich, warum er sie nicht einfach als Entschuldigung zu einem Kaffee eingeladen hatte oder zumindest ein Small Talk versuchte. Finn war ein attraktiver, großer und gutgebauter Mann, der eigentlich immer auf eine positive Resonanz bei Frauen stieß. Doch die Richtige, war ihm nie begegnet. Und ein ganz bestimmtes, tiefes Gefühl, das er in diesem Moment nicht beschreiben konnte, blieb bei dieser Begegnung, die genauso abrupt endete, wie sie begonnen hatte. Seine Gedankenspiele wurden jäh durch das Klingeln seines Handys unterbrochen. Als er nach seinem Smartphone griff, das sich in seiner Hosentasche befand, bemerkte er jedoch noch etwas. Eigentlich hätte genau in dieser Tasche auch sein Portemonnaie sein sollen. Erst vor wenigen Minuten hatte er mit der darin befindlichen Kreditkarte Geld abgehoben und er wusste genau, dass er seine Geldbörse wieder fest in seine Hosentasche gesteckt hatte. Aber Moment. Nun verstand er, dass der Zusammenstoß mit der jungen Frau, die für einen kurzen Moment seine Gedanken bestimmte, vermutlich kein Zufall war, wie erst angenommen. Noch bevor er den genauen Ablauf versuchte zu rekonstruieren, verstand er. Er rannte plötzlich los und versuchte die junge Frau einzuholen. Die junge Dame, die so faszinierend lächelte, ihn dabei um den Finger drehte und gleichzeitig seine Geldbörse entwendete.
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