„Nun gut, Herr Scharwattke … Wir sind wegen eines Raubüberfalls hier. In der Nacht von gestern auf heute wurde die Tankstelle im Knooper Weg überfallen, wissen Sie etwas darüber?“
„Raubüberfall? Tankstelle? Was soll ich denn darüber wissen? Ich bin nie auf der Ecke, was soll ich da auch?“ Scharwattke stand hektisch auf. Linkisch drehte er den Beamten den Rücken zu, nahm sich von den unzähligen Bechern auf dem Sideboard den, der am wenigsten dreckig aussah und schenkte sich aus einer verklebten Brauseflasche ein. Beim Zurückstellen fiel die Plastikflasche scheppernd um, er ließ sie aber liegen. Dann setzte er sich wieder auf den Klappstuhl und hielt die Tasse mit beiden Händen fest umklammert. Als er sich hinsetzte, stieß er mit dem Ellenbogen an die Computermaus, so dass der Bildschirmschoner den Blick auf die geöffnete Ebay-Internetseite freigab.
„Ich war die ganze Woche bei meiner Freundin in Hamburg, bin erst vor einer halben Stunde wiedergekommen. Wie kommen Sie überhaupt darauf, dass ich irgendwas von einem Überfall weiß? Sehe ich etwa aus wie ein Krimineller?“ Hansen schaute ihn lächelnd an: „Nein, natürlich nicht ... ganz sicher nicht,“ sagte er beschwichtigend. Und schob seine leere Tabakspfeife in den Mundwinkel. „Uns wurde mitgeteilt, dass Sie regelmäßig in der Nähe der Tankstelle gesehen wurden – da dachten wir, dass Sie vielleicht zufällig auch letzte Nacht dort gewesen sein könnten. Haben Sie irgendwelche Informationen, die uns weiterhelfen können?“ Scharwattke schüttelte hektisch den Kopf. „Nein! Ich hab‘ ja auch Besseres zu tun, als nachts um zwei Uhr bei der Tankstelle Überfälle zu beobachten. Ich bin eh nie auf dem Westufer. Wer will mich denn da überhaupt gesehen haben? Das kann gar nicht sein. Wie gesagt, ich war die ganze Woche in Hamburg bei meiner Freundin und bin eben gerade erst wiedergekommen ... hmm ich bin gleich verabredet … sind wir jetzt fertig? Ich müsste dringend los.“ Hansen lächelte müde. „Aber selbstverständlich ... wir hätten dann gerne noch die Kontaktdaten Ihrer Freundin, der Kollege Köppcke wird die Daten noch schnell aufnehmen, dann lassen wir Sie auch in Frieden.“ Sein Blick fiel in die Ecke hinter der Tür. Dort hing etwas, das aussah wie eine mittelalterliche Rüstung aus Leder, liebevoll dekoriert mit keltisch anmutenden Ornamenten. Scharwattke bemerkte seinen fragenden Blick und erklärte ungefragt mit einem Anflug von Stolz: “Ach das ... das ist meine Rollenspielrüstung – ich treffe mich mit ein paar Freunden regelmäßig im Werftpark und dann schlüpfen wir in unsere Rollen … ich bin ein Wald-Elf-Magier der 14. Stufe“.
Ein nervtötendes Piepen ertönte aus dem Nebenraum und wiederholte sich mehrfach. „Die Wäsche ist fertig, ich kümmere mich gleich drum“, erklärte Scharwattke abwesend und ließ den Kommissar dabei nicht aus den Augen.
Knut Hansen war ehrlich interessiert, wie immer, wenn etwas für ihn neu war. „Ein Wald-Elf-Magier, hmm … das sieht ja sehr aufwändig aus – wo kauft man denn sowas?“ Sein junges Gegenüber schien in seinem Stolz gekränkt: „Pah! Das kauft man nicht, das macht man selbst – ein, zwei Kurse an der Volkshochschule, ein Restposten Leder und fertig. Das Teuerste daran sind die Ziernieten und der ganze Kram und das kauft man dann eben nach und nach dazu, wenn mal etwas Kleingeld über ist.“ Der Kommissar gab sich weiter fasziniert. „Aha! Und was ist das? Hing da mal ein Schwert?“ Er zeigte auf eine helle Silhouette auf der vergilbten Tapete. „Wie? Ach ja, das Schwert … das hab ich … verloren. Aber das brauche ich als Magier sowieso nicht – ich habe ja meinen Runenstab.“
Hansen erinnerte sich daran, dass er noch zu arbeiten hatte und gab sich einen Ruck. „Na gut, Herr Scharwattke – wir haben dann soweit alles – Köppcke! Schreibst du noch schnell die Daten von der Freundin auf?“
Nachdem Hansens Kollege sich von dem Verdächtigen die notwendigen Daten hatte geben lassen, verabschiedeten sich die beiden Polizisten und kehrten dem nervösen jungen Mann den Rücken.
Knut Hansen hatte den Türknauf schon in der Hand, da drehte er sich um. „Himmelherrgott Scharwattke!“ Der junge Mann erschrak und sah aus, als wollte er gleich anfangen zu weinen. „Wollen wir uns das nicht sparen? Mein Kollege hier und ich wissen seit fünf Minuten nach Betreten dieser Wohnung, dass Sie der Täter sind. Und wir sind Ihnen deswegen auch gar nicht böse. Man braucht sich hier nur umzusehen, um zu erkennen, dass Sie finanziell wirklich knapp dastehen. Ein kurzes Gespräch mit Ihnen reichen aus, um zu erkennen, dass Sie kein Verbrechertyp sind. Ich nehme einmal an, Sie brauchten dringend einen größeren Betrag. Vermutlich, um Ihrer neuen Freundin zu imponieren. Das wird auch der Grund sein, warum Sie jeden Gegenstand von Wert in dieser Wohnung im Internet verschachert haben. Wahrscheinlich hatten Sie gerade die letzten Auktionen laufen und konnten absehen, dass nicht genug zusammenkommt. Da haben Sie Panik bekommen und die Tankstellengeschichte angeleiert. Sie konnten vermutlich vor Aufregung nicht schlafen, deswegen haben Sie dann noch dies und das erledigt und wollten wahrscheinlich gerade noch ein paar letzte Dinge regeln und sich dann mit dem Geld zu Ihrer Freundin aufmachen, als wir an Ihre Tür klopften.“
Scharwattke war nur noch ein Häufchen Elend – halbherzig setzte er dagegen: „Nein, ich war wirklich bis eben gerade in Hamburg – fragen Sie meine Freundin! Und ...“
„Ach verschonen Sie mich! Sie wussten, dass der Überfall um zwei Uhr nachts stattfand, obwohl wir nichts davon gesagt hatten. Die Heizung braucht zwei Stunden zum Warmlaufen und hier ist es warm wie in der Wüste. Das Kalenderblatt von heute ist aufgeschlagen und das Waschmaschinenprogramm war gerade am Ende, als wir kamen … Erzählen Sie mir also keinen Quatsch von ‚gerade erst angekommen‘. Sie sind ein ganz schlechter Lügner. Und soll ich Ihnen was sagen? Das wird Ihnen Ihre Haut retten. Ich werde nämlich in meinem Bericht betonen, dass in Ihnen keine wirklich ernstzunehmende kriminelle Energie steckt. Wenn Sie ein Geständnis ablegen, kommen Sie mit einer kurzen Haftstrafe oder wahrscheinlich sogar Bewährung davon – zumal ich mir sicher bin, dass Sie keine echte Waffe dabei hatten, oder?“
Scharwattke senkte den Kopf und sagte kaum hörbar: „Nein, das war ein ganz billiges Spielzeug – ich hatte die ganze Zeit Angst, dass der Kerl von dem Öllaster das bemerken und mich vermöbeln würde, deswegen habe ich auch so wild rumgeschrien.“
Hansen fuhr fort: „Wenn wir jetzt gegangen wären, hätten Sie schnell Ihre Freundin angerufen und ihr erklärt, dass Sie ein Alibi brauchen – aber glauben Sie mir, die Dame wird Sie fallen lassen wie eine heiße Kartoffel, wenn sie davon Wind bekommt, das Sie Ärger mit der Polizei haben. Was war es denn eigentlich, wofür sie das Geld brauchte – Schmuck, ein Auto, Urlaub?“
Scharwattke hatte Tränen in den Augen und versuchte sich mit trotzig rotem Kopf besonders hoch aufzurichten – ohne Erfolg. „Nein! Sie ist nicht so eine! Nicht meine Annika ... es geht ihr doch nur um ihre kranke Mutter in Kopenhagen! Annika ist nämlich zur Hälfte Schwedin und will ihre Mutter zu sich holen.“
Hansen und Köppcke lachten gleichzeitig laut auf. Verunsichert, wütend und gekränkt bellte Scharwattke sie an: „Was ist denn? Warum lachen Sie? Das ist die Wahrheit!“
„Köppcke klären Sie den jungen Mann auf und dann lesen Sie ihm auch gleich seine Rechte vor. Ich geh schonmal vor die Tür – mir wird’s hier zu warm.“ Olaf Köppcke räusperte sich und sprach zum ersten Mal, seit sie in die Wohnung gekommen waren. „Mensch Herr Scharwattke, Kopenhagen ist in Dänemark! Und Annika heißt doch die Kleine bei Pippi Langstrumpf. So könnte eine Schwedin natürlich wirklich heißen, aber es wäre auch so ziemlich der erste Name, auf den eine schlechte Lügnerin käme, von „Ronja“ vielleicht mal abgesehen. Nun gut … Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern. Alles was Sie sagen kann später gegen Sie verwendet werden ...“
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