„Was?“
„Welch höfliche Reaktion. Doch genug von mir. Wollten Sie sich nicht beschweren?“
„Und ob! Nu guck!“, fiel dem Bären wieder ein und deutete auf den vollgesauten Pelz.
„Ah, ja! Bedauere, aber das sieht mir nicht nach einem Garantiefall aus.“
„Sie verkaufen Eis mit Garantie?“
„Haben Sie denn eins ohne gekauft?“, gab der Eismann zurück.
„Nun, ähm, ja. Zumindest unbewusst.“
„Aha! Keine Garantie haben, aber sich beschweren wollen. Abgesehen davon spricht mich dieses Hinweisschild frei von jeglicher Verantwortung.“
Nur schwer gelang es dem Waschbären, die in Fraktur verfassten Lettern auf dem Hinweisschild als „Eis nicht zur äußerlichen Anwendung bestimmt“ zu entziffern.
Während der Salsamann dem Eismann höflich mit der Faust drohte, schlenderte Jimmy lässig den Badestrand entlang. Er ließ sich sein Eis vorzüglich schmecken. Ohnehin war der Tag für ihn bislang vorzüglich gelaufen. Er erwachte zwar ohne kaiserliche Würden, doch hatte er seit langem wieder einen Auftrag angenommen, der seine Arroganz nicht unterforderte. Unerwarteterweise stattete ihm Loretta Kandt in der Früh gegen fünfzehn Uhr einen Besuch ab, über den Jimmy zunächst geteilter Meinung war. Schließlich hatte er das Schild „Zutritt nur für schöne Frauen“ ja nicht umsonst an seiner Bürotür angebracht. Und bei allem Respekt, den Geld mit sich bringt, schön war sie nicht. Viel eher war sie das Gegenteil von Eleganz. Doch Schönheit ist selten wahr und Wahrheit nicht immer schön. Geld hingegen ist meistens eins von beiden. Da auch ein Privatdetektiv nicht nur von Luft und Liebe leben kann, Jimmy hatte gerade mal vier Tage durchgehalten, fügte er sich der vorangegangenen Weisheit. Loretta Kandt in der Früh gegen fünfzehn Uhr war als Teilzeitmäzen durchaus geeignet, und so besprach man beim gemeinsamen Teeplausch den Auftrag, um den er sich kümmern sollte. Nebenbei ein Buch lesend, wiederholte er auf Lorettas skeptische Nachfrage hin, die Botschaft, die er weitergeben sollte.
„Willst du dich den Schwarzalben würdig erweisen, musst du jegliche Reinigung meiden. Mit speckigem Glanz dien’ ihrem Tand. Unterjoche die Luft mit deinem Geruch.“
Loretta schlug Jimmy die Fantasylektüre aus den Pfoten und erklärte ihm ihr Anliegen erneut.
Weil Jimmy nichts dagegen einzuwenden hatte, ein wenig herumzuschreien, zumal es unweigerlich mit seinem Auftrag zusammenhing, mischte er sich in die freundliche Diskussion zwischen dem Salsamann und dem Eismann ein. Als Jimmy den vollgesauten Pelz des Waschbären sah, war ihm die Situation sofort völlig klar. Stolz blickte er an sich herab und entdeckte zwar diverse Flecken, doch waren diese eher alkoholischen Ursprungs. „Ja, Eis essen kann ich wohl“, sagte er laut und griff nach seinem Flachmann, da er meinte, sich für diese fantastische Erkenntnis eine kleine Belohnung verdient zu haben. Außer seinem Flachmann holte er auch noch seinen Revolver hervor. Jimmy wusste nämlich aus eigener Erfahrung, dass Alkohol zwar für die meisten Probleme eine durchaus vernünftige Lösung war, dass jedoch für alle anderen Probleme, die nicht mit Alkohol zu lösen waren, Gewalt die andere Option war. Das hatte Jimmy schon oft in Schwierigkeiten gebracht. So hatte er schon mehrere Leute mit seinem Flachmann bedroht, während er sich beim Versuch, einen Schluck aus dem Revolver zu nehmen, schon wiederholt fast erschossen hätte. Sicheren Schrittes wankte Jimmy in Richtung Waschbär und Eismann und hielt erst inne, als er sein Eis vermisste. Er betrachtete seine Pfoten und stellte erstaunt fest, dass sich sein Eis nicht mehr in seiner Rechten befand, in der er ja nun den Revolver hielt. Doch wo war nun das Eis? Doch nicht etwa an Stelle des Revolvers? Doch! Jimmy hatte sich die Eistüte, aus Reflex wahrscheinlich, exakt an die Stelle seiner Badehose geschoben, an der zuvor lässig der Ballermann hing. Die klebrige Eismasse, die sich physikalisch einwandfrei abwärts verhielt, schien dies zu bestätigen. „Was für dummes Eis! Was soll das denn bitte für Eis sein, das einem die Strandkleidung ruiniert, nur weil man es sich in den Badehosenbund klemmt!“, fluchte Jimmy und fuchtelte mit dem Revolver Richtung Eisstand. Den Blick stur auf die Eisbude gerichtet, stürmte er los, noch ehe seine Lethargie begriff, was eigentlich los war. Doch sie holte schnell auf und brachte ihn zu Fall. Als Jimmy verdutzt das Hindernis erspähte, das ihn stolpern ließ, rappelte er sich mühsam auf und beschloss, unsichtbar zu sein. Jimmy Risiko hasste Kinder.
„Ich mag Mozzarella“, strahlte das Kind ihn glücklich an und hob einen klebrigen Finger auf Eistütenhöhe.
Über seinen Sturz und seine Sichtbarkeit mehr als erbost, musterte Jimmy den Bengel und fällte ein Urteil.
„Das ist Vanille, du Penner!“, nickte er dem Jungen zu, während der Hase sich rasch entfernte.
„Der Eismann hat aber Mozzarella gesagt“, protestierte das Kind. „Vanille scheint er aber auch zu haben, zumindest, wenn man deine Hose fragt.“
Auf einen Zweifrontenkrieg konnte sich Jimmy beim besten Willen nicht einlassen und beschleunigte seinen Schritt, um gar nicht erst in Hörweite zu sein. Er würde sich von nun an mehr Mühe mit seiner Suggestionsliste geben und den Inhalt um „Entsetzliches Kind wird vom Wolf verschluckt“ ergänzen müssen. In seiner Wut bestätigt, erreichte er schließlich die Diskursplattform (Eisstand) und hielt den Salsamann absichtlich nicht von seiner momentanen Beschäftigung ab. Die große, gerade gewachsene Klinge sauste zielstrebig herab und durchtrennte ohne Umstände den Leib des Eismannes von der linken Schulter abwärts. Ungefähr auf Höhe der vierten Rippe verlangsamte sie abrupt ihre Fahrt und zog sich zurück. Eine aufdringliche rote Fontäne folgte ihr und sah ihr noch lange nach, obwohl der zweite Besuch schon nahte. Freudig bahnte sich die Klinge einen weiteren Weg ins Wohnzimmer der lebenswichtigen Organe. Nachdem sich Jimmy, der dem Salsamann für sein Leben gern beim Denken zusah, genug amüsiert hatte, riss er den Waschbären aus seiner Gedankensphäre und schlug ihm die hässliche Realität ins Gesicht.
„Komm sofort nach Hause, du alter Waschlappenbär!“, schrie er ihm ins Ohr. „Deine Frau führt das Restaurant nur ungern alleine.“
„Loretta?“, erinnerte sich der Bär.
„Ja, ganz recht. Loretta Kandt in der Früh gegen fünfzehn Uhr, deine Frau, lässt dir Folgendes ausrichten.“
Umständlich kramte Jimmy den Zettel hervor, auf den Loretta ihm vorsichtshalber seinen Auftrag diktiert hatte. Laut las er vor, was er nicht auswendig gelernt hatte:
„Unliebsamer Besuch, der öffentlich weniger zur Besprechung geeignet ist, steht bevor. Also ab nach Hause. Willst du dich den Schwarzalben würdig erweisen, musst du jegliche Reinigung meiden. Mit speckigem Glanz dien’ ihrem Tand. Unterjoche die Luft mit deinem Geruch“, zitierte Jimmy aus seinen wenig lesbaren Hieroglyphen.
Der Waschbär war nun noch verwirrter und ließ seinen Blick lange zwischen Eismann und Jimmy pendeln.
„Ich gehe nicht eher nach Hause, als bis der Eismann seine Schuld bezahlt. Guck dir mal meinen Pelz an, Jimmy“, ordnete der Salsamann seine Probleme.
Jimmy war sichtlich enttäuscht, dass der Bär offensichtlich nicht zu Übersprungshandlungen neigte, anders als Herr Cherry, der sich in Konfliktsituationen stets die Bartpartie mit Honig einschmierte und Zaubersprüche rezitierte. Vom Salsamann hatte er erwartet, er würde seine Gewaltfantasien wahr werden lassen oder sich wenigstens schlafen legen oder Hunger bekommen. Die beiden langweiligsten, aber verbreitetesten Erscheinungsformen eben.
„Da schlummere ich vielleicht drei Stündchen und ruckzuck, alles vollgesaut!“, fand er in seine Form zurück und warf einen scheelen Blick auf Jimmys Badehose, die bei genauerer Betrachtung durchaus Ähnlichkeit mit seinem Pelz aufwies.
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