„Sprecht mir bitte nun nach!“, forderte Hubertus, Margret bejahte mit einem Kopfnicken, während ihr die sengende Hitze in den Kopf stieg, ihre Sinne benebelte und Tränen in die Augen trieb. Von Hubertus ging nun ein behändes tiefes Brummen aus und er erzählte, wie in Trance:
Bringt uns fort, von diesem Ort.
So reisen wir ohne Gestalt
nutzen uns ergebene Naturgewalt.
Zum Schloss des Prinzen, schnell und geschwind,
auf leisen Schwingen, in den Armen des Winds.
Margret presste zwischen wallenden Schmerzen die Worte hervor. Unter ihren Handflächen glühte es feuerrot. Eine brennende Flüssigkeit schwemmte durch ihren Körper. Sie schlug den Kopf in den Nacken und auf einmal wurde es wieder schwarz um sie herum, so als wäre Hubertus‘ Licht schlagartig erloschen. Keinen Atemzug später breitete es sich von der Mitte ihres Herzens in den gesamten Körper aus. Margret stand erleuchtet in einer gleißenden Aura. Ihre Beine wurden taub, jegliches Gefühl wich aus ihrem ganzen Körper. Dann spürte sie nichts mehr und sank herab.
Margret dämmerte in einen grauen Nebel dahin, nicht in der Lage die Lider aufzuschlagen, um zu sehen, wo sie sich befand. Doch ihre Gedanken kreisten und drehten sich wieder und wieder auf rasanten Bahnen. In ihrem Magen stieg Übelkeit auf.
Es war viel zu kalt.
Margret glitt auf der Zeit.
Sie schwebte auf den Wolken zu den Plätzen und Orten, die sie zu gerne in den Gemälden besucht hätte.
Ihr Blick schärfte sich und sie sah, dass sie schwebte. Nein, sie flog mit weiten Schwingen.
Schlug kräftig, glitt auf einem Luftpolster in den blauen Himmel, um gleich darauf in einen Sturzflug überzugehen und auf den von Grün übersäten Boden hinabzustürzen. Es war die Erfüllung all dessen, was sie sich schon immer erträumt hatte. Ein Himmel, den sie beherrschte.
Doch am Horizont änderte sich schlagartig die Farbe. Ein schwarzer undurchdringlicher Vorhang stieg hinauf, durchbrach die Idylle und hüllte Margret so unverhofft ein, dass sich ihre Flügel darin verhedderten. Sie stürzte zu Boden und ein nie geahnter Schmerz zuckte durch den zerschmetterten Körper.
Kapitel 8
DAS SMARAGDSCHLOSS
Margret fuhr mit einem Schrecken auf. Blinzelnd schaute sie sich um und fand sich in einem fremden, aber wunderschönen Zimmer wieder.
Sie lag in einem weichen großen Bett, das mit so vielen Decken und Kissen aus samtenem Stoff gefüllt war, dass sie darin versank.
Sie schaute nach oben an den Baldachin und sah über sich einen Himmel. So wie sie ihn kannte, mit dem kleinen Unterschied, auch eine blass weiße Kugel zu entdecken, die sie beim zweiten Hinsehen als den Erdtrabanten identifizierte, von dem ihr ihre Mutter erzählt hatte.
Als Margret schließlich von den wandernden Gestirnen ihre Augen und ihre Gedanken losreißen konnte und sich aufrichtete, sah sie, als sie die leichten tüllenen Vorhänge zurückzog, ein strahlendes Licht, das durch die großen Fenster in den Raum fiel und in dessen Strahlen kleine Staubflocken tanzten.
Die hohen verzierten Decken, der Stuck und die alten Möbel verzauberten den Betrachter.
Dann sah Margret, wer die Staubflöckchen aufgewirbelt hatte.
Hubertus stand in dem Zimmer und war trotz der Entfernung, die die Größe des Zimmers zuließ, erstaunlich groß.
Die Relationen wollten sich nicht in das fügen, woran sich ihr Gehirn erinnerte.
Margret kletterte ungeschickt aus ihrem Bett.
Mit jedem Schritt, den sie tat, wurde Hubertus größer.
In der Mitte des Raumes war im Boden ein Himmelsstern in braunem Marmor eingelassen, umrahmt mit Gold, der die Himmelsrichtungen anzeigte.
Als sie Hubertus erreicht hatte, wurde ihre gesamte Aufmerksamkeit auf seine atemberaubende Gestalt gezogen. Die Lichtbälle der Antennen waren zu groß, um in ihre beiden Hände zu passen und auf seiner Haut spiegelten sich die Farben des Regenbogens. Vor Margrets Augen tanzte ein pulsierendes Muster, von dem sie sich kaum abwenden konnte.
„Herzlich Willkommen im Smaragdschloss!
Schön, dass du wieder so gut aussiehst und diese erste Aufgabe gut überstanden hast. Doch dazu später. Man erwartet uns bereits im Konferenzsaal. Ich hoffe, du warst mit deinem Zimmer zufrieden“, unterbrach Hubertus Margrets Gedanken.
Es stürzte alles auf einmal auf sie ein, sodass sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Die Erinnerung an die kalte und die glühende Wand wurde heraufbeschworen. Eine schmerzhafte Gänsehaut überzog ihren Körper und sie riss ihre Augen auf, als sie auf ihre unversehrten Hände hinabstarrte. Hubertus drehte sich zu den großen verzierten Flügeltüren um.
Während er zielstrebig den Flur entlangsteuerte, gaben die Berührungen der sechs Beine auf dem Marmorboden ein klackendes Geräusch von sich. Schnell und elegant wie sein Äußeres glitt Hubertus durch die großen Korridore.
Margret verlor schnell die Orientierung in dem riesigen Palast. Prachtvoll und prunkvoll waren die meterlangen Flure ausstaffiert. Margret versuchte sich vorzustellen, wie es hinter den riesigen Türen aussehen mochte, doch sie öffneten keine von ihnen. Sie folgte Hubertus, während sie unzählige Gänge und Abzweigungen nahmen, bis sie in einen riesigen Saal eintraten, der ebenso golden schimmerte wie ihr Zimmer, geschmückt mit meterhohen Gemälden.
Ein schimmernder Raum voller Rubine und Smaragde.
Doch dies war immer noch nicht das Ende ihres Weges. Am anderen Ende öffneten sich wie von Geisterhand zwei große Flügeltüren und gaben ein ächzendes Geräusch von sich, als hätten sie sich schon ewig nicht mehr in den schmiedeeisernen Angeln gedreht.
In ebendiesem Moment, als Margret mit einem Staunen durch den Raum lief, verlangsamte Hubertus sein Tempo, bog hinter den Flügeltüren in einen kleineren Raum ab.
In der Mitte stand ein großer, runder Tisch mit vielen Stühlen. Margret erinnerte dieser Raum an die Ritter der Tafelrunde.
„Setz dich!“, drehte Hubertus sich zu ihr um und wies auf einen Stuhl. „Der Prinz wird in Kürze eintreffen, wir werden dich dann nun endlich den Grund erklären, der uns dazu veranlasst hat, dich hierher zu holen.“
Margret fühlte sich leicht eingeschüchtert aufgrund der Feierlichkeit, mit der Hubertus den Prinzen ankündigte.
„Mach dir keine Gedanken!“, antwortete Hubertus, der bemerkte, dass Margret sich unwohl fühlte.
In diesem Moment öffnete sich eine unscheinbare Tür auf der anderen Seite des Raumes. Hindurch trat ein gleichermaßen anmutiger Käferlinger.
Im Gegensatz zu Hubertus schimmerte der Prinz, als den Margret ihn sofort identifizierte, in einem kräftigen Rubinrot mit einer filigranen silbernen Musterung.
Seine Fühler wirkten auf Margret noch anmutiger, als die des Herrn von Marbius.
An den silbergewirkten Antennen, die einer Blumenranke glichen, hingen prächtige Kugeln.
Auf der Stirn trug er einen zarten Reif.
Er steuerte direkt auf einen der Stühle zu, Hubertus gab Margret ein Zeichen sich zu erheben und alle drei setzten sich auf die massiven Stühle, die mit rotem Samt bezogen waren.
Hubertus eröffnete das Gespräch: „Prinz Hartolius, ich möchte dir Margret vorstellen. Margret, das ist Prinz von Hartolius, Magnus von Hartolius, mein bester Freund.“
„Verehrte Margret!“, vernahm sie einen derart schönen Klang in ihren Ohren.
„Es ist schön, dass Hubertus so viel Glück hatte, dich ausfindig zu machen und du zu uns gefunden hast. Wie Hubertus vielleicht bereits angedeutet hatte, ist dein Erscheinen hier und unser Gespräch von äußerster Dringlichkeit und zwingt einen jeden, der Teil hat, zu größter Verschwiegenheit. Doch nun ist es an Hubertus, meinem Freund, dich in dieses Geheimnis und unser Vorhaben einzuweihen.“
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