Mann, werde ich jetzt wütend. Ich bin außer mir vor Zorn und Entsetzen.
Denn jetzt sehe ich meiner eigenen Vergewaltigung zu. Damals als ich fünf war, eine meiner schlimmsten Vergewaltigungen. Eine von vielen. Im Heim, in das ich kam, nachdem mich meine Huren-Mutter beinahe umgebracht hat.
Es gibt jetzt nichts mehr, was mich von meinem kindlichen Anteil noch fernhalten könnte. Nichts was ich ihr nicht sofort geben möchte. Und ich wärme sie und lasse sie mein Glück fühlen, meine übergroße Liebe, für sie, die mich soeben überschwemmt, und ich sehe ihr dabei zu wie sie es aufsaugt, wie ein Schwamm. All meine Liebe. Ihr Körper wird plötzlich lichter. Und ich weiß, dass es ihr Abschied von mir ist. Sie lächelt mir zu, fühle wie sie nun zu gehen bereit ist, und ich liebe sie noch mehr in jenem Moment, ich lass sie gehen, lasse sie los. Und jetzt sehe ich etwas, mit dem ich nie gerechnet hätte. Meine Kleine sieht mich glücklich an und wird zu Licht. Immer mehr. Alles an und in ihr wird rund, wird zu einem lichten Ball. „Geh nur, meine Kleine“, sag ich. „Geh nur“, und zeige ihr, dass es in Ordnung ist, wenn sie uns jetzt verlässt. Doch sie geht nicht weg, sondern erfüllt mich mit einem Mal mit dem Wissen, dass es für sie eine große Zukunft geben wird. Es wird sie geben. Und das in mir. Ich weiß plötzlich, dass sie nirgendwo sonst hingehen wird als in mich hinein. Und das, weil ich sie habe gehen lassen, in Liebe und weil ich sie lieben kann, mit Inbrunst, und weil ich ihr zu Hause bin, schon immer, und weil ich erst jetzt dazu in der Lage bin sie groß zu ziehen. Ich nehme sie auf. Ihr zerstörter Körper ist reines Licht. Sie ist vollgesogen mit Liebe und ich bin bereit. Sie ist bereit. Und während ich mein Herz für sie öffne, sehe ich, wie sie sich in Form eines wunderschönen Lichtballes in mich legt. Sanft und voller Leichtigkeit.
Mein Gott, bin ich glücklich und froh. Ich fühle mich anders in dem Moment der Vereinigung. Glücklicher als je zuvor. Ich fühle mich ganzheitlicher, stärker aber vor allem erlebe ich ganz plötzlich einen Energieschub der mich dazu befähigt noch mehr und intensiver wahrnehmen zu können. Nie, niemals hätte ich meine Kleine in Erde begraben können, denke ich. Denn meine Kleine ist nicht Fleisch, sondern Geist, und demnach nur in mir zur Ruhe zu betten. Damit sie unter meinem Schutz, selbst erwachsen und groß werden kann. Und diesen Schutz kann ich ihr erst jetzt bieten, jetzt, wo ich selbst erwachsen bin und Mutter von vier Kindern.
„Mein Kind, mein Baby“, denke ich glücklich, das zu haben, ich noch immer nicht recht fassen kann.
„Aber du und ich wissen“, sage ich ihr, während ich sie bewundernd dabei beobachte wie sie ihre Form verändert, und über meinen Solarplex in mich eintritt, „dass alles Geistige, alles was du fühlst und weißt, einfach alles von dir, jetzt in mich übergeht, sich integriert durch das Licht. Das Licht, das alles in und an dir durchflutet löst deine Gestalt langsam, aber unaufhörlich auf und fließt wie Samt in mich hinein. Ich nehm dich endlich auf, den wir beide sind eins. Ich liebe dich unermesslich. Und ich fühle mich von dir über alle Maßen geliebt und gebraucht. Du schaust so dankbar und ich werde von nun an gut für dich sorgen, das verspreche ich dir. Dein Platz ist bei mir, an meiner Seite in meinem Leben denn es ist auch das deine. In diesem Moment meine Kleine, sind wir beide neu geboren. Du wärmst mich jetzt schon und ich fühle, wie zu Hause du dich in mir fühlst und wie sicher. Und jetzt weiß ich du wirst auch groß werden, genauso wie ich, und du wirst wunderbare Dinge erleben, aber vor allem, beginnst du jetzt zu leben, genauso wie ich neu zu leben beginne, durch dich. Es ist so schön dich wieder zu haben und es ist so schön, dass es dich gibt.“
Erst nach über zwei Tagen bin ich wieder ansprechbar, und voll bei mir. Ich fühle mich anders. Kann mich an alles erinnern und bin glücklich. Ronda kommt mir in den Sinn. Ich werde Ronda davon erzählen müssen. Ich denke das wird sie brennend interessieren. Denn ich ahne bereits, dass Ronda auch so einen verlorenen Teil hat. Einen, der womöglich so wie es bei mir war, soeben vor ihrer Türe steht. Etwas, das ihr höllisch Angst macht.
„Ich habe sie in meinen Körper gebracht“, erkläre ich Ronda, bei unserer nächsten Sitzung. „Unsere Vereinigung habe ich an meinem Oberarm als Tattoo verewigt. Nie, nie wieder wird sie mir verloren gehen. Dafür habe ich gesorgt. Es ist mein Mahnmal. Mein Liebesmal. Mein Bekenntnis zu unserer Unsterblichkeit. Niemand kann sie mir jemals wieder nehmen, Ronda, keiner wird je mehr solche Macht über mich haben, sie mir wieder nehmen zu können.“ Und Ronda scheint interessiert zu sein, zu sehen, was ich mir an den Oberarm hab tätowieren lassen. Aber sie fragt nicht danach. Und ich weiß, sie fragt deshalb nicht, weil sie Angst davor hat etwas sehen zu können, das sie an ihren verloren gegangenen Teil erinnern könnte. Rondas Arschloch, das sie sich beizeiten hat zulegen müssen, um ihr Leben im harten Griff der Dominanz und Kontrolle zu bringen, um zu überleben, hat Ronda im Griff. Ganz und gar. Und dieses Arschloch jagt Ronda davon, weg von der Baustelle. Denn sie ahnt ja bereits, dass dort etwas von ihr selbst zurückgeblieben ist. Vor langer Zeit. Allein, und zerstört.
Ich kann mir unmöglich Namen merken. Es gibt so viele davon. Wie Sand am Meer, und trotzdem sind sie alle irgendwie gleich. Und so wie Liebespaare ihren eigenen Song haben, weil sie irgendwo und irgendwann zum selben Zeitpunkt einen ganz bestimmten Song klasse fanden, der Stimmung wegen, in der sie sich befanden, so kreiere ich neue Namen für Menschen in besonderen Situationen. Ich schätze mal, dass diese Eigenheit aus einer meiner früheren Inkarnationen als Indianer herrührt, die ja Namen anhand von Fähigkeiten oder herausstechenden Handlungen gegeben haben. Ich stehe nun einfach mal auf Urnamen, die die Ursprünglichkeit eines Wesens erkennbar machen.
Wenn ich mir die Monikas dieser Welt ansehe, dann erkenne ich eine große Portion Ähnlichkeit unter diesen Namensvertretern. Und das ist ganz egal, woher welche Monika auch immer kommen mag. Monikas aus den USA sind genauso blond wie Monikas aus Europa. Monikas haben meistens einen üppigen Vorbau, schulterlanges Haar, ein vorlautes Mundwerk und sind meistens sehr frühreif. Ich kannte einige Monikas, und eine davon war lange Zeit eine meiner liebsten Freundinnen. Meiner Freundin Monika gab ich einen solchen Urnamen, einen für sie passenderen, wie ich meinte, als ich herausfand, wer Monika tief in ihrer Seele war. Monika war keine Monika im Sinne des Wortes, auch wenn sie wie eine typische Monika etwas dümmlich, mit ihren Reizen spielend, durchs Leben stakste, samt ihren hohen Haken. Aber einmal, nur einmal erwischte ich sie mitten in der Stadt. Und es war ihr nicht mal groß peinlich, dass ich sie mit zerschlissenem Höschen, einem knappen Shirt und barfuß laufend in der Wirtschaftskammer ortete. Und wie Monika so dastand, beinahe unbekleidet mitten im Foyer, lugte ich auf ihre nackten Füße. Sie zappelte mit den Zehen, weil ihr scheinbar der eiskalte Marmorboden an den Fußsohlen zu schaffen machte. Und ich fragte mich nicht weiter, wo sie wahrscheinlich gerade gewesen war, oben in den oberen Stöcken in der Abteilung der Bestechlichkeit, aber von da an nannte ich Monika anders. Ich gab ihr also einen neuen Namen. Ich nannte sie Barfuß-Pezi. Und immer wenn ich von nun an von Monika sprach bemerkte ich, dass ich nicht mehr wie früher lange und breite Erklärungen abgeben musste, damit man wusste welche Monika ich denn überhaupt meinte, sondern jeder kannte auf Anhieb von nun an meine Barfuß-Pezi.
Also das kürzt die Dinge unglaublich ab. Mit dieser erstaunlichen Erfahrung der neuen Namensgebung und gleichzeitiger Charakterisierung derselben, erleichterte ich mein Leben ungemein.
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