„Mein Gott Ronda“, denk ich verstört, „wenn du nur wüsstest.“ Aber Ronda weiß es. Sie weiß es, weil ich fühlen kann, dass sie es weiß. Womöglich hatte Ronda ja denselben Traum.
In den nächsten Nächten häufen sich die Ronda-Träume.
Und ich bin froh darüber, weil sie mir so viel von mir und Ronda, von der ganzen Sache die mir über den Kopf wächst, erzählen.
Ich träume von einer Schule. Ronda ist Englischlehrerin und ich muss in ihr Büro, meiner schlechten Note wegen, die sie mir gibt. Ich stehe also wie ein Schulmädchen vor Ronda, die unglaublich streng ist und mir einfach ´ne Fünf in Englisch ins Zeugnis rein knallt. „Keine Chance“, sagt sie, „du musst einfach mehr lernen.“ Sie sitzt da und wirkt kalt und abweisend auf mich, bis sie plötzlich eine andere Ronda zum Vorschein kommen lässt. Mit einem Mal ist sie freundlich und lieb, sie wird nervös als sie mir erklärt, dass sie mich unheimlich mag, mich so gerne weiter in der Schule hätte. Sie könnte es nur schwer ertragen, wenn ich ihr jetzt der schlechten Note wegen aus dem Weg gehe. Mir ist mit einem Mal alles egal. „Soll sie mir ein Nicht Genügend geben“, denke ich angepisst und gehe aus dem Büro. Ihr Kalt und Heiß Spiel kann sie sich sparen. Ronda ruft mir nach: „Bleib doch, so bleib doch noch hier!“ Ich drehe mich noch einmal zu ihr um und sehe, dass sie weint. „Selbst Schuld“, denke ich und verschwinde in den Keller. Am Stiegenabgang ist mir klar, dass Ronda und ich einfach nicht dieselbe Sprache sprechen, und daran kann auch ich nichts ändern. Und diese Schule soll wohl als Symbol für unser System herhalten. Das ja kalt und abschreckend sein kann wie nur was.
Ronda macht auf cool. Hat die Pausenaufsicht über und ich bin gerade dabei, die Schule zu verlassen, für immer. Noch stehe ich am Stiegenabgang und will nach oben. Meine gesamte Kleidung liegt in einer Ecke auf den Stufen und Ronda bemerkt mich nicht. Ich schnappe mir also einen Pullover und streif ihn mir über den Kopf und während ich das tue, gehe ich einige Stufen nach oben, Ronda entgegen, die sofort das Gespräch mit irgendeinem Schüler abbricht. Ronda zieht mich zu sich. Ihr Gesicht ist dem meinen ganz nah. Sie legt meine Hand in die ihren und beginnt über meine Finger zu streicheln. Ich spüre irre Erregung in mir aufkeimen, während Ronda mich weiterstreichelt und dabei das Gespräch mit zwei anderen Schülern aufgenommen hat. Die zwei schauen uns zu und wissen von Rondas tiefen Gefühlen zu mir.
Dann löse ich meine Hand aus Rondas sanftem Griff und gehe. Ronda fragt mich noch, ob ich jemals wieder kommen werde. Aber ich bin schon längst über alle Berge. Ich komme nie wieder. Mit Sicherheit werde ich Rondas Schule nicht mehr betreten.
Im Anschluss befinden Ronda und ich uns mitten auf einer Waldlichtung. Ich bin eine Indianerin und laufe barfuß. Irgendwer erzählte mir, dass ich für mein Vorhaben Schuhe benötigen würde und dass die benötigten Schuhe in einem ganz besonderen Geschäft zu haben seien. Plötzlich steht Ronda vor mir. Ganz nah. Sie zieht mich an sich und beginnt mich zu küssen. Ich lasse mich ein auf diesen Kuss. Mich Ronda zu entziehen ist fast unmöglich für mich, aber ich muss los, muss mir die Schuhe besorgen, von denen mir erzählt wurde. Ich reiße mich los von Rondas sinnlichem Mund und besorge die Schuhe. Stolz zeige ich Ronda meinen Kauf, der dazu noch sehr günstig war. Es sind schwarze, hohe Haken, sehr feminin und elegant, die meine Weiblichkeit unterstreichen. Ronda wünscht sich ebensolche Schuhe und will wissen, wo ich sie herhabe. Ich ziehe sie mir über und verschwinde aus der Waldlichtung. Ronda versteht die Welt nicht mehr und bleibt verstört zurück. „Warum, warum willst du gehen?“ ruft sie mir noch traurig nach. „Wir könnten glücklich werden, wir beide!“ Und jetzt, wo ich die Schuhe anhabe, bemerke ich, dass ich mich aus der Haut der Indianerin geschält habe, nicht mehr die Ureinwohnerin bin und nie mehr wieder zurück in meine Heimat kommen werde. Weil ich mit den neuen Schuhen meinen Platz aufgegeben habe, mich gelöst habe von meinem Stamm. Und das ist gut so. Für wen genau weiß ich nicht. Ich brauche aber auch den Weg zurück nicht mehr zu finden.
Meine Träume haben recht. Ich muss mich langsam, aber sicher von Ronda lösen. Das was sich zwischen uns aufgestaut hat, werden wir nie, niemals in dieser Konstellation auflösen können. Denn es fühlt sich an, als wäre Ronda die Liebe meines Lebens. Die Liebe, für die man eintausend Leben auf sich nehmen würde, nur um ein einziges Mal davon kosten zu dürfen. Jetzt weiß ich auch, dass sich mein Körper eingeklinkt hat in das Liebesgefühl, das so lange Zeit nur seelisch und geistig in mir vorhanden war. Ich habe Ronda in jeder Pore, in allem, was ich bin, in mir. Und das kann und wird nie gut gehen. Nicht solange Ronda in Funktion zu mir steht.
Manchmal frage ich mich, ob ich nur ihretwegen lesbisch geworden bin. Weil irgendetwas in mir wusste, das mir die große Liebe eines Tages im Körper einer Frau begegnen würde.
Ich weiß, dass alle Träume in dieselbe Richtung deuten und mir mein Dilemma, in dem ich stecke, zeigen. Sie zeigen mir aber auch den Ausweg, und den zu nehmen wird mir immer plausibler. Ronda versteht meine Sprache nicht und ich spreche nicht die ihre. Unsere wahre und ehrliche Kommunikation läuft ausschließlich über unsere Empfindungen, doch darüber kommunizieren Ronda und ich nicht. Wir verstehen den anderen nicht, missverstehen uns immer häufiger, werden immer unsicherer, und schweigen bei Dingen, über die wir dringend sprechen sollten. Ich verliere meine Heimat, den Indianerstamm, meine Intuition, alles was mich in dieser Welt noch hält. Ronda hat mich mit dem Fünfer abgemahnt. Ich soll ihre Sprache lernen. Es ist nichts weiter als ein verdammtes Egospiel. Und ich will ihre Sprache nicht sprechen. Ich will keine oberflächliche, funktionalisierte Sprache sprechen, die nur Halbwahrheiten kennt. Aber irgendwie müssen wir es schaffen, uns wenigstens halbwegs miteinander verständigen zu können. Und ich weiß, mein Ego ist kleiner als ihres. Daher werde ich es versuchen. Doch es wird mir viel abverlangen, weil ich auf ihren Straßen laufen lernen muss, auf ihren Wegen, und dazu brauche ich eine gute Erdung, weil es mir sonst meine Füße zerreißt. Ich brauche gutes Schuhwerk, weibliches Schuhwerk, unnatürliches Schuhwerk. Mein barfuß Laufen wird mir auf den harten Straßen des Patriarchates nicht weiterhelfen. Und deshalb werde ich mir die Schuhe für Ronda umschnallen, werde versuchen in den unbequemen Dingern zu laufen. Ich werde so tun, als ob mir ihre Straßen und Wege gefallen, dabei hätten wir beide ein schöneres zu Hause in Wien. Eines das uns beiden gehört, in dem es uns beiden gut geht. Denn Rondas Geburtsstadt ist wie die meine Wien. Ihre Wurzel ist auch die meine. Da, und nur da liegt unsere beider Wurzel. Genau dort sollten wir beginnen miteinander zu sprechen. Ich hoffe, dass es sich lohnt, dass ich Ronda entgegengehe auf halbem Wege, und dass sie eines Tages erkennt, dass auch sie mir entgegen gehen wird müssen, wenn wir ein ausgleichendes Miteinander erleben wollen. Aber noch will Ronda diese unsere Ursprache mit mir nicht sprechen. Sie ist Therapeutin und darf mit mir nicht über sich sprechen, sie darf nicht sein, wer sie ist. Denn sie ist die funktionalisierte Fremdsprache in Person. Und um ihre Sprache zu erlernen, muss ich mich von mir selbst, meinem Volk der Indianer, entfernen. Mich verkaufen, wie meine Huren-Mutter, um ja niemals an den Kern der Sache heranzukommen. Und diese mir völlig fremde Sprache, die zu sprechen ich mich seit ich denken kann geweigert habe, zu erlernen, dafür hat Ronda sehr, sehr viel Geld und Zeit investiert. Hat sich den Stock-im-Arsch regelrecht gekauft, mitsamt einer Seelenzensur auf Lebzeit. Ich würde niemals den Beruf des Therapeuten ausüben wollen. Aber ich habe mich dazu entschlossen, Ronda ein Stück weit entgegen zu gehen. In ihre Welt, auf ihren Wegen, und ich weiß es jetzt schon, dass es Irrwege sind. Aber vielleicht sieht Ronda mein Bemühen, meinen Mut und meine Bereitschaft, mein Ego hinten anzustellen, nur damit wir in unserer Kommunikation nicht mehr länger auf der Stelle treten. Aber um ehrlich zu sein. Ronda hätte auch von mir ein Nicht Genügend in der lebenden Fremdsprache oder besser in der Muttersprache gekriegt. Und auch sie wird, wenn es ihr wichtig ist, das Versagen auszubessern, mir entgegen kommen müssen. Das blöde ist nur, Ronda spricht die Traumsprache der Intuition nicht, sie spricht die Muttersprache einfach nicht, daher hat sie ihr Zeugnis noch nicht einmal abgeholt, um zu wissen dass sie durchgefallen ist und der Nachzipf so wie bei mir bereits ansteht. „Verdammt Ronda“, denk ich. „Wir beide sind Lehrer und Schüler gleichsam. Doch das erkennst du nicht, weil dich dein Ego in deiner Funktion über mich erhebt und versucht ist, mich erniedrigt unter dir leidend zu sehen, damit du dein Leid nicht sehen musst. Ich hasse Bewertungen. Aber ich brauche für alles was so ist im Leben, einen passenden Namen. Und Rondas Problem hat wohl den Namen Narzissmus. Ronda steht eindeutig für das patriarchale System, das sich über die weibliche Natur stellt, sie Wege laufen lässt in unnatürlichem Schuhwerk, sie dreht und wendet nach männlichem Belieben und Bestreben.
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