“Hoch geehrter und gelehrter Herr Wang, ich bitte Sie, meinen überfallartigen Besuch zu entschuldigen. Ich bin hier, um einen schwierigen Sachverhalt aufzuklären. Wie ich erfahren habe, ist Ihnen die Dame Mao vom kaiserlichen Hof bekannt. Um sie geht es bei meinen Nachforschungen.”
Wang zuckte bei der Erwähnung des Namens seiner Geliebten zusammen, aber blieb ansonsten ruhig.
“Ich bin etwas erstaunt, dass ein Arzt in dieser Angelegenheit zu mir kommt, da ja die Dame kürzlich verstorben ist. Viel eher hätte ich jemanden von der Palastwache erwartet.”
“Nun, ich bin wohl zu den Untersuchungen über den Tod der Dame hinzugezogen worden, aber meines Wissens verfolgt die Palastwache noch keine konkrete Spur. Ich habe bei der Untersuchung der Leiche ein Stück einer Kalligrafie gefunden, die offensichtlich von Ihnen stammt. Ein Besuch im Buddha-Tempel brachte mir dann die Erkenntnis, dass Sie die Dame Mao häufiger gesehen haben. Da die Dame schwanger war und kurz vor ihrem Tod ihr Kind durch eine Vergiftung verloren hat, muss ich Sie fragen, ob dieses Kind von Ihnen sein könnte.” Der Beamte schwieg eine Weile und erwiderte dann:
“Ich kann dies zumindest nicht ausschließen, denn unsere Beziehung war sehr innig, wir liebten uns. Wir hatten einander als zwei verwandte Seelen erkannt und uns in einander verliebt. Wir wussten natürlich, dass dies frevelhaft war und bei Entdeckung schwer bestraft werden würde. Aber unsere Gefühle waren mächtiger als die Drohung mit dem Tod. Allerdings, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, muss unsere Beziehung jemandem, der uns kannte, aufgefallen sein. Jedenfalls erhielt die Dame Mao Drohungen, dass man sie verraten würde, wenn sie nicht eine gewisse Geldsumme bezahlen würde. Mehrmals bekam sie anonyme Briefe mit dieser Drohung und schließlich mit genauen Anweisungen, wie sie das Geld übergeben sollte. Ich war bereit, diese Summe aufzubringen. Ich hätte mein Landhaus verkauft und einige meiner besten Kalligrafien. Aber die edle Dame wollte davon nichts wissen, sondern glaubte, dass sie nur herauszufinden brauchte, wer der Erpresser sei und ihn dann durch ihren Einfluss vom Hofe verbannen lassen könnte. Aber als dann der Giftanschlag auf sie erfolgte, war mir klar, dass sie die Gefahr unterschätzt hatte. Ich machte mich daher daran, das Geld für den Erpresser zu besorgen. Aber schon am nächsten Morgen bekam ich über einen Mönch im Tempel die Nachricht, dass die Dame an den Folgen der Vergiftung verstorben war.”
“Dies ist nicht ganz korrekt. Frau Mao wäre noch am Leben, wenn nicht jemand ihr nochmals eine giftige Substanz eingeflößt hätte. Ihre Dienerin kommt dafür nicht in Frage. Es muss aber jemand vom Hofe sein. Es ist auch anzunehmen, dass es der Erpresser war, der die Dame mundtot machen wollte, da er die Aufdeckung seiner Taten befürchtete. Haben sie eventuell noch einen der Briefe des Erpressers?”
“Nun, zwei davon hatte Frau Mao in ihrem Zimmer verwahrt, aber den Dritten hatte sie mir gegeben. Ich hole ihn.”
Er stand auf, ging zu einem Schränkchen und entnahm aus einer Schublade einen gefalteten Brief, den er Yao übergab. In dem Brief stand:
“Eine letzte Warnung, wenn ich nicht meine Entlohnung erhalte für mein Schweigen, wird dieses böse Folgen haben!“ Der Doktor meinte:
“Ich muss die Schrift dieses Briefes mit der Schrift einiger möglicher verdächtiger Angehöriger des Hofes vergleichen. Es gab nur wenige, die Zutritt zum Zimmer der Dame hatten und unter diesen muss der Mörder zu finden sein.”
“Sehr gelehrter Herr Doktor, Ihre Weisheit ist außerordentlich. Sie werden sicher verstehen, dass ich mich in einer äußert schwierigen Situation befinde. Daher kann ich nicht als Zeuge in diesem Fall dienen. Ich setze sonst mein Leben aufs Spiel. Dieses ist nach dem Tod meiner Geliebten allerdings nur noch wenig wert.”
“Ich verstehe ihre Lage sehr gut und bedauere, dass ich ihnen kaum Trost spenden kann. Ich empfehle Ihnen aber, sich in den Ruhestand versetzen zu lassen und sich weit weg von der Hauptstadt zu begeben. Ich werde aber alles tun, um ihren Namen aus der Angelegenheit herauszuhalten. Da die Briefe sich an die Dame Mao richteten und nicht deutlich angeben, was der Erpresser enthüllen wollte, erscheint dies mir möglich. Die beiden anderen Briefe wurden wohl auch vernichtet, denn in der Wohnung der Dame wurde nichts gefunden.” Nachdem Yao sich von Wang verabschiedet hatte, ließ er sich eilig wieder in die Verbotene Stadt zurückbringen.
Es war schon sehr spät, als er in das Teehaus kam, in dem er sich immer mit seinem Freund Song traf. Dieser war glücklicherweise noch dort und Yao berichtete ihm, was er erfahren hatte. Er übergab ihm den Brief und bat ihn, diesen mit verschiedenen Schriftstücken vom Hofe zu vergleichen, vor allem mit solchen, die aus dem Palast des fortgesetzten Glücks kamen. Ihm war klar, dass es kaum ein einfachen Diener des Palastes gewesen sein. Die waren zumeist nicht des Schreibens mächtig. Vermutlich hatte eine gebildete Person das geschrieben. Die Schrift des Briefes stammte auch eher von einem Mann als von einer Frau. Dies engte die Gruppe der Verdächtigen stark ein. Einer der Mönche kam sicher auch nicht in Frage. Er hätte keine Möglichkeit gehabt, in den inneren Bezirk zu kommen, um den Giftanschlag zu vollführen.
Am nächsten Morgen begab sich Yao zur Palastwache und erkundigte sich nach dem Stand der Untersuchungen. Man gab an, dass sich bisher keinerlei Beweise für eine Mordtat gefunden hätten. Er entgegnete, dass er eventuell in Kürze solch einen Beweis vorlegen könnte, wozu er aber noch einige Erkundigungen einziehen müsse. Er ließ den überraschten Offizier der Palastwache stehen und begab sich in die Bibliothek, wo er Song zu treffen hoffte. Da dieser aber noch nicht dort war, ging er in sein eigenes Zimmer und sah sich die Zettel an, die er gelegentlich als Nachricht bekam, wenn er zu einer kranken Dame gerufen worden war. Die meisten hob er nicht lange auf, aber die der letzten Woche lagen noch auf seinem Schreibtisch. Dabei war auch die Nachricht über die Erkrankung von Frau Mao. Dieser Brief war in der Kanzleischrift des Hofes geschrieben und die Schrift ähnelte stark der des Erpresserbriefes. Doch im Gegensatz zu diesem trug er eine Unterschrift. Er eilte zurück zur Bibliothek und dort war Song nun auch eingetroffen und zuckte mit den Schultern. Er hatte noch nichts gefunden.
“Alter Freund, ich danke dir für deine Bemühungen”, erwiderte ihm Yao, “aber ich war selbst erfolgreich“ und zog den Brief hervor.
“Bitte gib mir die Briefe! Diese beiden Schreiben werden den Täter überführen. Es gibt ein Motiv für den Mord und starke Indizien,” entgegnete ihm Freund Song. Beide eilten zur Palastwache und ließen sich zu Oberst Zhang bringen, dem Stellvertreter des Generals. Diesem übergab Song die beiden Briefe und schilderte ihm kurz, was sich nach Doktor Yaos Meinung abgespielt hatte:
“Der Täter hatte beobachtet, dass die Dame Mao mit einem Mann von außerhalb der Verbotenen Stadt in Kontakt stand. Er erpresste sie mit diesem Wissen. Als sie sich weigerte, das Schweigegeld zu zahlen, vergiftete er sie, da er befürchtete, dass sie ihn verraten würde. Sie hatte sich sich als wesentlich selbstsicherer erwiesen, als er erwartet hatte. Nachdem der erste Giftanschlag misslang, musste der Täter sie umso dringlicher beseitigen und flößte ihr, was in ihrem hilflosen Zustand leicht war, nochmals Gift ein. Allerdings konnte das nur jemand tun, der Zutritt zum Haus der edlen Damen hatte. Außer den Damen selbst waren das nur Eunuchen und Dienerinnen. Und dieser Brief war eindeutig nicht von einer Frau geschrieben. Hier zum Vergleich ein anderes Schreiben, dessen Schrift der des Erpresserbriefes gleicht. Es ist unterzeichnet vom Obereunuch Siao. Dieser wollte durch Erpressung sein Einkommen aufbessern. Er hat auch von Anfang an alle Nachforschungen behindert!” Der Oberst schaute betroffen auf die Briefe und musste beschämt eingestehen, dass seine Truppe bisher nichts herausgefunden hatte und dass die Tatsachen für sich sprächen. Sogleich wurden Wachen aus geschickt, die den Eunuchen festnehmen sollten. Seine Verurteilung aufgrund der Beweise war nun so gut wie sicher und es wartete ein Todesurteil auf ihn.
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