Seitdem waren Jahre vergangen; man hatte sich schließlich an das despotische Regiment des Freiherrn gewöhnt, und Dieser hatte sich die Achtung erzwungen, die einem energischen, consequenten Charakter nie versagt wird, selbst wo man ihn als Feind betrachtet. Ueberdies verdankte man ihm eine ganze Reihe von Verbesserungen und Reformen, denen selbst seine Gegner den Beifall nicht vorenthalten konnten. Der in politischer Hinsicht so viel gehaßte und angefeindete Mann wurde auf anderem Gebiete der Wohltäter der ihm anvertrauten Provinz, ihr unermüdlicher Vertreter, wo es galt, gemeinnützige Einrichtungen in’s Leben zu rufen oder durchzuführen. Seine mächtige Thatkraft, so verderblich auf der einen Seite, wirkte auf der andern entschieden segensreich. Er trat überall ein, wo es galt, die Industrie, den Landbau, den Wohlstand überhaupt zu heben, und knüpfte dadurch eine Menge von Interessen an seine Person, die in ihm ihren eifrigsten Förderer sahen und ihn mit der Zeit einen Anhang schufen, der fast so groß war, wie die Zahl seiner Gegner. Seine Verwaltung war ein Muster von Ordnung, Unbestechlichkeit und strenger Disciplin, und seine neue Schöpfungen, mit praktischem Scharfblick entworfen und mit fester Hand durchgeführt, blühten überall mächtig empor.
Der Gouverneur lebte auf großem Fuße, da ihm außer seinem Einkommen noch ein bedeutendes Vermögen zur Seite stand. Sein verstorbener Schwiegervater war sehr reich gewesen und nach dessen Tode fiel das Vermögen an seine beiden Töchter, Frau von Raven und die Baronin Harder. Die Ehe des Freiherrn war eines jener Convenienzverhältnisse, wie man sie oft in der großen Welt findet. Raven hatte sich bei seiner Wahl einzig und allein von der Berechnung leiten lassen, aber er vergaß es nicht, daß diese Verbindung ihm seine Laufbahn geöffnet, und seine Gemahlin hatte sich nie über einen Mangel an Artigkeit und Rücksicht von seiner Seite zu beklagen; die Neigung, welche so vollständig fehlte, vermißte sie nicht. Frau von Raven war eine geistig sehr untergeordnete Natur, die wohl überhaupt keine Neigung einflößen konnte; sie hatte dem Günstling ihres Vaters, von dem sie täglich hörte, daß ihm eine bedeutende Zukunft bevorstehe, ihre Hand nicht versagt, und da sich diese Vorhersagung erfüllte, so blieb ihr nichts zu wünschen übrig. Der Gemahl erfüllte freigebig all ihre Ansprüche an einen glänzenden Haushalt, prachtvolle Toilette und hohe Lebensstellung, also kam es auch niemals zu einer Differenz zwischen ihnen, und im Uebrigen lebten sie auf vornehmen Fuße, so getrennt und fremd wie nur
[ 176] möglich. Die in den Augen der Welt musterhafte, aber kinderlose Ehe hatte vor sieben Jahren mit dem Tode der Frau von Raven ihr Ende gefunden, und der Freiherr, dem laut Testament das ganze Vermögen zufiel, schritt zu keiner zweiten Vermählung. Der stolze, immer nur mit seinen ehrgeizigen Plänen beschäftigte Mann hatte niemals Empfänglichkeit für die Liebe und die Freuden der Häuslichkeit gehabt und hätte wahrscheinlich nie geheirathet, wäre die Heirath ihm nicht eine Staffel zum Emporsteigen gewesen. Da dieser Grund nun fortfiel, dachte er nicht daran, sich von Neuem zu fesseln, und jetzt, wo er am Ende der Vierzig stand, war ja überhaupt keine Rede mehr davon.
Es war am Morgen nach der Ankunft der Baronin Harder und ihrer Tochter, als die Erstere sich mit ihrem Schwager in dem kleinen Salon ihrer Wohnung befand. Die Baronin zeigte noch Spuren einstiger Schönheit, war aber bereits vollständig verblüht. Die Menge der aufgewendeten Toilettenkünste mochte vielleicht noch Abends beim Kerzenschein ihre trügerische Wirkung thun, das helle Tageslicht aber enthüllte die Wahrheit unbarmherzig dem Auge des Freiherrn, der ihr gegenüber saß.
„Ich kann Ihnen die Auseinandersetzung nicht ersparen, Mathilde,“ sagte er, „wenn ich auch begreife, wie peinlich sie Ihnen ist, aber einmal wenigstens muß die Sache zwischen uns erörtert werden. Auf Ihren Wunsch habe ich es unternommen, den Nachlaß des Barons zu ordnen, so weit sich das von hier aus thun ließ. Es war ein Chaos, das ich kaum mit Hülfe Ihres Rechtsanwaltes bewältigen konnte; jetzt endlich ist es geschehen. Ich habe Ihnen das Resultat bereits nach der Schweiz gemeldet.“
Die Baronin drückte ihr Taschentuch an die Augen. „Ein trostloses Resultat!“
„Aber kein unerwartetes! Es ist leider nicht möglich gewesen, Ihnen auch nur einen geringen Theil des Vermögens zu retten. Ich gab Ihnen den Rath, auf einige Zeit in’s Ausland zu gehen, denn es wäre für Sie doch zu demüthigend gewesen, den Verkauf Ihres Hotels und die Auflösung Ihres ganzen Haushaltes in der Residenz mit ansehen zu müssen. Ihre Entfernung ließ diesen Act der Nothwendigkeit mehr als freien Entschluß erscheinen, und ich habe dafür gesorgt, daß man in der Gesellschaft so wenig wie möglich von der Lage der Dinge erfuhr. Jedenfalls ist die Ehre des Namens gewahrt, den Sie und Gabriele tragen, und Sie brauchen nicht zu fürchten, daß er von einem der Gläubiger an den Pranger gestellt wird.“
„Ich weiß, welche große persönliche Opfer Sie gebracht haben,“ sagte Frau von Harder. „Mein Rechtsanwalt hat mir ausführlich geschrieben – Arno, ich danke Ihnen.“
Es war wohl eine Aufwallung wirklichen Gefühls, mit dem sie ihm die Hand hinstreckte, aber die abwehrende Bewegung des Freiherrn war so eisig, daß jede wärmere Empfindung davor erstarb.
„Ich that nur, was das Andenken meines Schwiegervaters mir zur Pflicht machte,“ entgegnete er. „Seine Tochter und seine Enkelin haben unter allen Umständen Anspruch auf meinen Schutz, und ihr Name mußte um jeden Preis rein gehalten werden. Diesen Rücksichten habe ich die Opfer gebracht, nicht Gefühlsregungen, zu denen ich keine Ursache hatte, denn Sie wissen, der verstorbene Baron und ich waren alles Andere, nur nicht Freunde.“
„Ich habe diese Entfremdung stets tief beklagt,“ versicherte die Baronin. „Mein Gatte suchte in den letzten Jahren vergebens eine Annäherung. Sie waren es, der sich völlig unzugänglich zeigte. Konnte er Ihnen einen höheren Beweis seiner Achtung, seines Vertrauens geben, als den, sein Theuerstes Ihren Händen anzuvertrauen? Er ernannte Sie auf seinem Sterbebette zum Vormunde Gabrielens.“
„Das heißt, nachdem er sich ruinirt hatte, überließ er die Sorge für Weib und Kind mir, den er im Leben bei jeder Gelegenheit angefeindet. Ich weiß, wie hoch ich diesen Beweis des Vertrauens zu schätzen habe.“
Die Baronin nahm wieder ihre Zuflucht zu dem Taschentuche. „Arno, Sie wissen nicht, wie grausam Ihre Worte sind. Haben Sie denn keine Schonung für die Gefühle einer schwergebeugten Wittwe?“
Statt aller Antwort glitt der Blick des Freiherrn langsam über das elegante graue Seidenkleid der Dame hin. Sie hatte pünktlich mit Ablauf des Wittwenjahres die Trauer abgelegt, da sie wußte, daß Schwarz sie sehr unvorteilhaft kleidete. Der unverkennbare Spott, der in dem Blicke ihres Schwagers lag, rief aber doch eine leichte Röthe des Aergers oder der Verlegenheit auf ihrem Antlitz hervor, als sie fortfuhr:
„Ich fange jetzt erst an nach der furchtbaren Katastrophe wieder aufzuathmen. Wenn Sie ahnten, welche Sorgen und Demüthigungen ihr vorangingen, welche Verluste von allen Seiten auf uns einstürmten – es war entsetzlich.“
Um die Lippen des Freiherrn zuckte es wie bitterer Sarkasmus. Er wußte sehr gut, daß die Verluste des Barons am Spieltisch entstanden waren und daß die Sorgen seiner Gemahlin darin bestanden, mit ihrer Toilette und ihren Equipagen alle übrigen Damen der Residenz zu verdunkeln. Die Baronin hatte bei dem Tode des Ministers das gleiche Vermögen empfangen, wie ihre Schwester; es war bis auf den letzten Rest verschwendet worden, während das der Frau von Raven sich noch unangetastet in den Händen ihres Gatten befand.
„Genug!“ sagte er abbrechend. „Lassen wir diesen unerquicklichen Gegenstand fallen! Ich habe Ihnen mein Haus angeboten und freue mich, daß Sie den Vorschlag annahmen. Seit dem Tode meiner Frau habe ich mich mit Freunden behelfen müssen, die wohl dem Haushalte vorstehen, aber doch nicht den Ansprüchen genügen konnten, die man an die Dame des Hauses stellt. Sie verstehen und lieben die Repräsentation, Mathilde, und ich habe gerade in dieser Beziehung viel vermißt. Unsere beiderseitigen Interessen begegnen sich also, und ich denke, wir werden mit einander zufrieden sein.“
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