„Nun, mich soll er nicht unterdrücken,“ rief das junge Mädchen, das Köpfchen trotzig zurückwerfend. „O, er dachte auch mich zu schrecken mit seinen finstern Augen, die sich so tief einbohren, als wollten sie einem die geheimsten Gedanken aus der Seele lesen, aber ich fürchte mich ganz und gar nicht davor. Wir wollen doch sehen, ob er auch mich zwingt, wie all die Anderen.“
Die Baronin erschrak; sie fürchtete nicht mit Unrecht, ihre sehr verzogene Tochter, die der Mutter gegenüber eine unbedingte Herrschaft behauptete und überhaupt nicht gewohnt war, sich Zwang aufzuerlegen, werde auch dem Freiherrn gegenüber ihrem Eigensinne die Zügel schießen lassen. Sie erschöpfte sich daher in Bitten und Vorstellungen, aber vergebens – Fräulein Gabriele schien ein eigenes Vergnügen in dem angesprochenen Trotze gegen ihren Vormund zu finden und war durchaus nicht geneigt, die bereits eingenommene kriegerische Stellung ihm gegenüber [ 162] aufzugeben. Ueberdies war sie schon ungewöhnlich lange ernst gewesen und kehrte nun schleunigst zu dem alten Uebermuthe zurück.
„Mama, ich glaube, Du fürchtest Dich im vollen Ernste vor diesem Währwolf von Onkel,“ rief sie fröhlich auflachend. „Da bin ich tapferer. Ich trete ihm gerade unter die Augen, und – verlaß Dich darauf! – mich verschlingt er nicht.“
Das Regierungsgebäude von R. war ein ehemaliges Schloß und lange Jahre hindurch der Wohnsitz einer fürstlichen Familie gewesen. Später war es an den Staat gefallen und diente jetzt zum Sitz der Provinzialregierung und zum Aufenthalte des jeweiligen Gouverneurs. Das große, weitläuftige Gebäude lag auf einer Anhöhe, oberhalb der Stadt, und hatte sich trotz seiner jetzigen Bestimmung noch einen Theil seines mittelalterlichen Ansehens bewahrt. Die vorspringenden Thürme und Erker und die hohe, die ganze Umgebung beherrschende Lage gaben ihm etwas Malerisches. Die alten Mauern und Befestigungen waren freilich schon längst der Neuzeit gewichen, aber dafür umrauschte jetzt ein ganzer Wald prächtiger Bäume den Schloßberg, an dessen Vorderseite ein breiter, bequemer Weg in die Stadt hinunterführte. Von den Fenstern des Schlosses, das sich stolz und mächtig über die Baumwipfel emporhob, genoß man den vollen Blick über die Stadt und das ganze weite Thal, das die Berge wie mit einem Kranze umgaben. Das Hauptgebäude war ausschließlich zur Verfügung des Gouverneurs gestellt, der das obere Stockwerk bewohnte, während sich in dem unteren seine Kanzlei befand; die beiden Seitenflügel enthielten die übrigen Bureaus und die Dienstwohnungen einzelner Beamten. Trotz dieser Einrichtung war auch dem Inneren sein alterthümlicher Charakter geblieben, der sich nicht verwischen ließ, weil er in der Bauart lag. Die gewölbten Zimmer mit ihren tiefen Thür- und Fensternischen gehörten noch dem vorigen Jahrhunderte an; lange, düstere Bogengänge und Galerien kreuzten sich in den verschiedensten Richtungen; hallende Steintreppen führten von einem Stockwerke in das andere, und der alte Schloßhof wie der ehemalige Schloßgarten waren noch ganz in ihrer ursprünglichen Gestalt erhalten. Jedenfalls war und blieb das „Schloß“, wie es kurzweg in der ganzen Umgegend genannt wurde, eine Zierde der Stadt.
Der jetzige Gouverneur bekleidete schon seit einer ganzen Reihe von Jahren seinen Posten. Hätte man nicht gewußt, daß er der Sohn eines mittellosen, früh verstorbenen Subalternbeamten war, man würde an seiner bürgerlichen Herkunft gezweifelt haben, denn sein Auftreten und seine Art zu leben waren so durch und durch aristokratisch, wie der Eindruck seiner Persönlichkeit. Wie Raven eigentlich der Günstling des damals allmächtigen Ministers geworden war, dem er seine spätere Laufbahn verdankte, das wußte Niemand. Vermuthlich hatte der Scharfblick des Ministers in dem jungen Manne eine ungewöhnliche Begabung entdeckt. Einige wollten auch wissen, daß noch andere geheime Beweggründe dabei mitgewirkt hätten; genug, er wurde urplötzlich zum Secretär Seiner Excellenz ernannt und hatte in dieser Eigenschaft nun freilich mehr Gelegenheit, seine Fähigkeiten zu entwickeln, als in der bisherigen untergeordneten Stellung. Der Secretär avancirte bald genug zum Vertrauten seines Chefs, der ihn bei jeder Gelegenheit bevorzugte und beförderte und ihm sogar seinen Familienkreis öffnete. Die unteren Stufen des Beamtenthums wurden rasch überwunden, und eines Tages wurden die vornehmen Kreise der Residenz mit der anfangs kaum geglaubten Nachricht überrascht, daß die älteste Tochter des Ministers sich dem jungen Ministerialrath verlobt habe. Allerdings erfolgte bald darauf dessen Erhebung in den Freiherrnstand, und damit war ihm die große Carrière geöffnet.
Der Schwiegersohn des einflußreichen Mannes fand überall die Bahn frei, aber es war nicht dies allein, was ihn so schwindelnd schnell emportrug. Seine in der That glänzende Begabung schien jetzt erst ihr eigentliches Feld gefunden zu haben und zeigte sich bald in einer Weise, die jede Begünstigung von anderer Seite überflüssig machte. Schon nach wenigen Jahren fand man die „Unbegreiflichkeit“ des Ministers, der, statt sich dieser Heirath zu widersetzen, sie begünstigt hatte, vollkommen begreiflich; er kannte seinen Schwiegersohn; er wußte, was von dessen Zukunft zu erwarten war, und seine Tochter spielte als Frau von Raven jedenfalls eine glänzendere Rolle, als ihre Schwester, die einen Baron von altem Adel, aber sehr unbedeutender Persönlichkeit geheirathet hatte.
[ 175] Als der Freiherr auf den wichtigen und verantwortungsreichen Posten in R. berufen wurde, fand er dort sehr schwierige Verhältnisse vor. Der Sturm, der vor einigen Jahren das ganze Land erschütterte, hatte zwar ausgetobt, aber verschiedene Anzeichen verriethen, daß er nur zurückgedrängt, nicht bewältigt worden war. In der -schen Provinz besonders gährte es noch überall, und die Provinzialhauptstadt, das große und volkreiche R., stand an der Spitze der Opposition, die sich gegen die Regierung richtete. Verschiedene hohe Beamte, die rasch auf einander gefolgt waren, hatten es vergebens versucht, diesen Zuständen ein Ende zu machen; es fehlte ihnen entweder die nöthige Entschiedenheit oder die nöthige Vollmacht, und sie beschränkten sich auf Vermittelungen, welche die augenblicklichen Differenzen zwar beilegten, den Zwiespalt selbst aber in seiner vollen Schärfe bestehen ließen. Da wurde Raven zum Chef der Verwaltung ernannt, und Stadt und Provinz mußten es bald genug empfinden in wessen Hand die Zügel jetzt lagen. Der neue Gouverneur ging mit einer Energie, aber auch mit einer Rücksichtslosigkeit vor, die einen wahren Sturm gegen ihn entfesselte. Widerspruch, Proteste, Klagen bei der Regierung jagten einander förmlich, aber die letztere wußte zu gut, was sie an ihrem Vertreter hatte, um ihn nicht mit voller Macht zu stützen. Ein Anderer hätte wahrscheinlich die grenzenlose Unpopularität gescheut, die ihm aus diesem Vorgehen erwuchs, oder wäre den endlosen Widerwärtigkeiten und Schwierigkeiten gewichen, die man ihm in Folge dessen bereitete – Raven blieb auf seinem Posten. Er war ein Mann, der in jeder Lebenslage den Kampf eher aufsuchte, als daß er ihn mied, und seine im Grunde despotisch angelegte Natur fand gerade hier volle Gelegenheit zu ihrer Entfaltung. Er kümmerte sich nicht viel darum, ob seine Maßregeln in den gesetzlichen Schranken blieben, und setzte all den gegen ihn geschleuderten Vorwürfen von Willkür und Gewalt sein unerschütterliches „Es bleibt dabei!“ entgegen. Damit erzwang er denn auch in der That die Unterwerfung der widerstrebenden Elemente. Stadt und Provinz sahen endlich ein, daß sie den Kampf mit einem Manne nicht durchführen konnten der nicht ihre Rechte, sondern seine Macht zur Richtschnur seines Handelns nahm; zum offenen Widerstand war die Zeit nicht angethan. Die eben mit voller Macht hereinbrechende Reactionsperiode unterdrückte ihn im Keime, man fügte sich also, zwar grollend und widerwillig, aber man fügte sich doch, und der Gouverneur, dem seine Aufgabe so vorzüglich gelungen war, wurde mit Auszeichnungen überhäuft.
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